hindurch mit einer unglaublichen Menge Schnee be- deckt. Den Winter über vermag die innere Wärme der Berge, von welcher Ursache sie herkomme, so viel, daß immer von dem Schnee, da wo er auf wärmern Stellen aufliegt, etwas schmelzt und an den Felsen, herausrinnt. Jm Sommer hat die Sonne so viel Kraft, daß sie täglich so viel, als nöthig ist, schmel- zen macht. Tausend kleine unter dem Schnee hervor- rinnende Wasseradern sammeln sich allmählig in Bä- che, und diese vereinigen sich von vielen Seiten her in Ströme, deren etliche endlich in einen großen Fluß zusammenstoßen.
Man begreift leicht, daß dieses Schneemagazin nie erschöpft wird; so viel die Wärme täglich davon zerfließen und herabrinnen macht, so viel ohngefähr wird auch durch den aus der Luft herunterfallenden Schnee wieder ersetzt. Dieses allein wäre zum im- merwährenden Fließen der Bäche und Quellen schon hinlänglich. Aber im Sommer kommt noch eine Ur- sache hinzu. Auf den hohen Bergen fällt ein sehr reicher Thau; und selbst die Wolken, welche an den Bergen hangen, triefen beständig Wasser herab. Jch habe oft mit Verwunderung gesehen, wie auf den Ge- bürgen in den Morgenstunden von jeder Pflanze das Wasser abtröpfelt. Dies macht den Boden überall naß. Etwas von der Nässe sammelt sich in kleine Wasseräderchen, und fließt gleich ab, um die klein- sten Bächelchen zu vergrößern; ein andrer Theil zieht sich in die Erde, und rinnt in kleine Felsenhöhlen zu- sammen, woraus hernach beständige Quellen entsprin- gen. Darum sind die Felsenberge überall gespalten, um das einrinnende Wasser durchzulassen.
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von Nizza nach Deutſchland.
hindurch mit einer unglaublichen Menge Schnee be- deckt. Den Winter uͤber vermag die innere Waͤrme der Berge, von welcher Urſache ſie herkomme, ſo viel, daß immer von dem Schnee, da wo er auf waͤrmern Stellen aufliegt, etwas ſchmelzt und an den Felſen, herausrinnt. Jm Sommer hat die Sonne ſo viel Kraft, daß ſie taͤglich ſo viel, als noͤthig iſt, ſchmel- zen macht. Tauſend kleine unter dem Schnee hervor- rinnende Waſſeradern ſammeln ſich allmaͤhlig in Baͤ- che, und dieſe vereinigen ſich von vielen Seiten her in Stroͤme, deren etliche endlich in einen großen Fluß zuſammenſtoßen.
Man begreift leicht, daß dieſes Schneemagazin nie erſchoͤpft wird; ſo viel die Waͤrme taͤglich davon zerfließen und herabrinnen macht, ſo viel ohngefaͤhr wird auch durch den aus der Luft herunterfallenden Schnee wieder erſetzt. Dieſes allein waͤre zum im- merwaͤhrenden Fließen der Baͤche und Quellen ſchon hinlaͤnglich. Aber im Sommer kommt noch eine Ur- ſache hinzu. Auf den hohen Bergen faͤllt ein ſehr reicher Thau; und ſelbſt die Wolken, welche an den Bergen hangen, triefen beſtaͤndig Waſſer herab. Jch habe oft mit Verwunderung geſehen, wie auf den Ge- buͤrgen in den Morgenſtunden von jeder Pflanze das Waſſer abtroͤpfelt. Dies macht den Boden uͤberall naß. Etwas von der Naͤſſe ſammelt ſich in kleine Waſſeraͤderchen, und fließt gleich ab, um die klein- ſten Baͤchelchen zu vergroͤßern; ein andrer Theil zieht ſich in die Erde, und rinnt in kleine Felſenhoͤhlen zu- ſammen, woraus hernach beſtaͤndige Quellen entſprin- gen. Darum ſind die Felſenberge uͤberall geſpalten, um das einrinnende Waſſer durchzulaſſen.
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von Nizza nach Deutſchland.
hindurch mit einer unglaublichen Menge Schnee be-
deckt. Den Winter uͤber vermag die innere Waͤrme
der Berge, von welcher Urſache ſie herkomme, ſo viel,
daß immer von dem Schnee, da wo er auf waͤrmern
Stellen aufliegt, etwas ſchmelzt und an den Felſen,
herausrinnt. Jm Sommer hat die Sonne ſo viel
Kraft, daß ſie taͤglich ſo viel, als noͤthig iſt, ſchmel-
zen macht. Tauſend kleine unter dem Schnee hervor-
rinnende Waſſeradern ſammeln ſich allmaͤhlig in Baͤ-
che, und dieſe vereinigen ſich von vielen Seiten her in
Stroͤme, deren etliche endlich in einen großen Fluß
zuſammenſtoßen.
Man begreift leicht, daß dieſes Schneemagazin
nie erſchoͤpft wird; ſo viel die Waͤrme taͤglich davon
zerfließen und herabrinnen macht, ſo viel ohngefaͤhr
wird auch durch den aus der Luft herunterfallenden
Schnee wieder erſetzt. Dieſes allein waͤre zum im-
merwaͤhrenden Fließen der Baͤche und Quellen ſchon
hinlaͤnglich. Aber im Sommer kommt noch eine Ur-
ſache hinzu. Auf den hohen Bergen faͤllt ein ſehr
reicher Thau; und ſelbſt die Wolken, welche an den
Bergen hangen, triefen beſtaͤndig Waſſer herab. Jch
habe oft mit Verwunderung geſehen, wie auf den Ge-
buͤrgen in den Morgenſtunden von jeder Pflanze das
Waſſer abtroͤpfelt. Dies macht den Boden uͤberall
naß. Etwas von der Naͤſſe ſammelt ſich in kleine
Waſſeraͤderchen, und fließt gleich ab, um die klein-
ſten Baͤchelchen zu vergroͤßern; ein andrer Theil zieht
ſich in die Erde, und rinnt in kleine Felſenhoͤhlen zu-
ſammen, woraus hernach beſtaͤndige Quellen entſprin-
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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/397>, abgerufen am 22.07.2024.
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