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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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Tagebuch von der Rückreise
Der Dom.

Von dem so berühmten Dom in Meiland, an
dem seit Jahrhunderten gebaut wird, ohne daß er fer-
tig ist, noch vermuthlich jemals fertig werden wird,
will ich, da von andern so viel davon geschrieben
worden, nur eines Umstandes gedenten, der mir
wohl gefallen hat. Es werden jährlich nur gewisse be-
stimmte Summen auf den Bau verwendet. Wenn
es sich nun trifft, daß ein Bildhauer etwa eine Sta-
tue anbietet, die man gerne anschaffen möchte, oder
daß ein andrer Künstler etwas für den Dom arbeitet,
das beträchtlich ins Geld läuft, so wird die Arbeit
auf die Bedingung angenommen, daß der Künstler
nur nach und nach bezahlt wird, und jährlich nur hun-
dert Thaler bekommt, die aber auch seinen Erben ver-
sichert sind, falls er stirbt, ehe die ganze Summe
bezahlt worden. Dadurch vermeidet man, den Fond
der Kirche mit Schulden zu beladen, die nicht bezahlt
werden könnten, welches bey andern Kirchen öfters
geschieht. Man siehet überhaupt in der Lombardey
sehr viele unausgebaute, bisweilen auch halb fertig ge-
wordene und verlassene Kirchen. Die Klöster oder
Brüderschaften, oder andere Gemeinden, fangen oft
auf Hoffnung künftiger nachdrücklicher Beyhülfe den
Bau groß an, und müssen dann, wenn die Beyhülfe
nicht so kommt, wie sie gehofft hatten, ihn liegen
lassen.

Jch will bey dieser Gelegenheit anmerken, daß
der kindische Geist der abergläubischen Mönchsorden
sich vielfältig dadurch äußert, daß sie es für eine der
wichtigsten Angelegenheiten halten, mit irgend etwas
vorzüglichem an ihren Kirchen zu prahlen. Wenn
sie sich etwa durch ein besseres Geläute von andern un-

ter-
Tagebuch von der Ruͤckreiſe
Der Dom.

Von dem ſo beruͤhmten Dom in Meiland, an
dem ſeit Jahrhunderten gebaut wird, ohne daß er fer-
tig iſt, noch vermuthlich jemals fertig werden wird,
will ich, da von andern ſo viel davon geſchrieben
worden, nur eines Umſtandes gedenten, der mir
wohl gefallen hat. Es werden jaͤhrlich nur gewiſſe be-
ſtimmte Summen auf den Bau verwendet. Wenn
es ſich nun trifft, daß ein Bildhauer etwa eine Sta-
tue anbietet, die man gerne anſchaffen moͤchte, oder
daß ein andrer Kuͤnſtler etwas fuͤr den Dom arbeitet,
das betraͤchtlich ins Geld laͤuft, ſo wird die Arbeit
auf die Bedingung angenommen, daß der Kuͤnſtler
nur nach und nach bezahlt wird, und jaͤhrlich nur hun-
dert Thaler bekommt, die aber auch ſeinen Erben ver-
ſichert ſind, falls er ſtirbt, ehe die ganze Summe
bezahlt worden. Dadurch vermeidet man, den Fond
der Kirche mit Schulden zu beladen, die nicht bezahlt
werden koͤnnten, welches bey andern Kirchen oͤfters
geſchieht. Man ſiehet uͤberhaupt in der Lombardey
ſehr viele unausgebaute, bisweilen auch halb fertig ge-
wordene und verlaſſene Kirchen. Die Kloͤſter oder
Bruͤderſchaften, oder andere Gemeinden, fangen oft
auf Hoffnung kuͤnftiger nachdruͤcklicher Beyhuͤlfe den
Bau groß an, und muͤſſen dann, wenn die Beyhuͤlfe
nicht ſo kommt, wie ſie gehofft hatten, ihn liegen
laſſen.

Jch will bey dieſer Gelegenheit anmerken, daß
der kindiſche Geiſt der aberglaͤubiſchen Moͤnchsorden
ſich vielfaͤltig dadurch aͤußert, daß ſie es fuͤr eine der
wichtigſten Angelegenheiten halten, mit irgend etwas
vorzuͤglichem an ihren Kirchen zu prahlen. Wenn
ſie ſich etwa durch ein beſſeres Gelaͤute von andern un-

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[338/0358] Tagebuch von der Ruͤckreiſe Von dem ſo beruͤhmten Dom in Meiland, an dem ſeit Jahrhunderten gebaut wird, ohne daß er fer- tig iſt, noch vermuthlich jemals fertig werden wird, will ich, da von andern ſo viel davon geſchrieben worden, nur eines Umſtandes gedenten, der mir wohl gefallen hat. Es werden jaͤhrlich nur gewiſſe be- ſtimmte Summen auf den Bau verwendet. Wenn es ſich nun trifft, daß ein Bildhauer etwa eine Sta- tue anbietet, die man gerne anſchaffen moͤchte, oder daß ein andrer Kuͤnſtler etwas fuͤr den Dom arbeitet, das betraͤchtlich ins Geld laͤuft, ſo wird die Arbeit auf die Bedingung angenommen, daß der Kuͤnſtler nur nach und nach bezahlt wird, und jaͤhrlich nur hun- dert Thaler bekommt, die aber auch ſeinen Erben ver- ſichert ſind, falls er ſtirbt, ehe die ganze Summe bezahlt worden. Dadurch vermeidet man, den Fond der Kirche mit Schulden zu beladen, die nicht bezahlt werden koͤnnten, welches bey andern Kirchen oͤfters geſchieht. Man ſiehet uͤberhaupt in der Lombardey ſehr viele unausgebaute, bisweilen auch halb fertig ge- wordene und verlaſſene Kirchen. Die Kloͤſter oder Bruͤderſchaften, oder andere Gemeinden, fangen oft auf Hoffnung kuͤnftiger nachdruͤcklicher Beyhuͤlfe den Bau groß an, und muͤſſen dann, wenn die Beyhuͤlfe nicht ſo kommt, wie ſie gehofft hatten, ihn liegen laſſen. Jch will bey dieſer Gelegenheit anmerken, daß der kindiſche Geiſt der aberglaͤubiſchen Moͤnchsorden ſich vielfaͤltig dadurch aͤußert, daß ſie es fuͤr eine der wichtigſten Angelegenheiten halten, mit irgend etwas vorzuͤglichem an ihren Kirchen zu prahlen. Wenn ſie ſich etwa durch ein beſſeres Gelaͤute von andern un- ter-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/358>, abgerufen am 22.11.2024.