Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.Tagebuch von der Rückreise ich mich sorglos und bequem sitzend fortziehen lassen,und sah vor und um mich nichts als Fruchtbarkeit, Reichthum der Erde und Annehmlichkeit, die ich jetzt ohne irgend einen sorgsamen Gedanken genießen konnte. Es fiel mir natürlicher Weise dabey ein, wie dem Heer des Hannibals muß zu Muthe gewesen seyn, als dieser Heerführer ihm nach einem unendlich beschwer- lichen Zuge über die Alpen, von denen ich jetzt einen Theil überstiegen hatte, von der Höhe herunter dieses herrliche Land zeigte. Gegen Mittag kam ich in Coni an. Dieses ist Man
Tagebuch von der Ruͤckreiſe ich mich ſorglos und bequem ſitzend fortziehen laſſen,und ſah vor und um mich nichts als Fruchtbarkeit, Reichthum der Erde und Annehmlichkeit, die ich jetzt ohne irgend einen ſorgſamen Gedanken genießen konnte. Es fiel mir natuͤrlicher Weiſe dabey ein, wie dem Heer des Hannibals muß zu Muthe geweſen ſeyn, als dieſer Heerfuͤhrer ihm nach einem unendlich beſchwer- lichen Zuge uͤber die Alpen, von denen ich jetzt einen Theil uͤberſtiegen hatte, von der Hoͤhe herunter dieſes herrliche Land zeigte. Gegen Mittag kam ich in Coni an. Dieſes iſt Man
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Tagebuch von der Ruͤckreiſe
ich mich ſorglos und bequem ſitzend fortziehen laſſen,
und ſah vor und um mich nichts als Fruchtbarkeit,
Reichthum der Erde und Annehmlichkeit, die ich jetzt
ohne irgend einen ſorgſamen Gedanken genießen
konnte. Es fiel mir natuͤrlicher Weiſe dabey ein, wie
dem Heer des Hannibals muß zu Muthe geweſen ſeyn,
als dieſer Heerfuͤhrer ihm nach einem unendlich beſchwer-
lichen Zuge uͤber die Alpen, von denen ich jetzt einen
Theil uͤberſtiegen hatte, von der Hoͤhe herunter dieſes
herrliche Land zeigte.
Gegen Mittag kam ich in Coni an. Dieſes iſt
eine wohlgebaute, angenehme Stadt, zwiſchen den
Fluͤſſen Geſſo und Stura, und, wie bekannt, eine
der wichtigſten Feſtungen in Piemont, die zwar eini-
gemal belagert, aber nie erobert worden iſt. Denn
es iſt ein Verſehen, wenn Hr. Buͤſching in ſeiner
Erdbeſchreibung meldet, daß die Franzoſen 1641
die Feſtung eingenommen haben. Sie wird darum
auch Coni la vergine genannt. An der Nordſeite
der Stadt haben die erwaͤhnten, ſich hier in viel Arme
vertheilten Fluͤſſe eine betraͤchtliche Strecke Landes der-
geſtalt vertiefet, daß die Feſtung von dieſer Seite ei-
nen 50 bis 60 Fuß tiefen und einige tauſend Fuß brei-
ten natuͤrlichen Graben vor ſich hat. Wenn man
aus dieſem vertieften Grunde auf die Ebene herauf
kommt, ſo hat man von da bis nach Turin ein voll-
kommen ebenes und wie mit der Waſſerwage abgewo-
genes Land vor ſich. Auch die Landſtraße iſt breit
und ſchoͤn. Doch glaube ich, daß ſie bey naſſem
Wetter etwas weich wird, weil der Damm mehr aus
harter Erde, als aus Steinen zuſammengeſchla-
gen iſt.
Man
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