einem engen Schlund der Berge herauskommt, und sich hier in die Roja ergießt. Jch versuchte, neben diesem Bache etwas gegen den Schlund der Berge, daher er kommt, hineinzugehen, konnte aber nicht weit kommen, weil das Ufer steil und wild mit Ge- sträuch bewachsen ist. Doch wurde mir der Gang dadurch belohnet, daß ich etwa hundert Schritte weit hinter meinem Gasthofe einen andern ganz kleinen Bach antraf, der sich von einer Höhe von 50 bis 60 Fuß in einem Wasserstrahl in den größern Bach her- unter stürzt.
Jn diesem Bache fand ich einen schwärzlichen Stein, der durchaus aus platten zirkelrunden verstei- nerten Schnecken besteht, und unter dem Namen lapis nummularis bekannt ist. Dieses ist die einzige Spur von versteinerten Seethieren, die ich in der Grafschaft Nizza, und überhaupt auf den sogenann- ten mittäglichen Alpen (alpes maritimes) angetroffen habe. Bey dieser Gelegenheit fällt mir ein, einige auf dieser Reise über die Schichten der Berge gemach- te Beobachtungen anzuführen.
Einige Gelehrte, die nicht weit aus ihren Cabi-Schichten der Berge. netten gekommen, scheinen sehr verlegen zu seyn, wie sie die meistentheils schiefe Lage der Felsenschichten, die ehedem nothwendig wagerecht müssen gelegen haben, erklären sollen. Dem, der mit einem etwas for- schenden Auge über viele Berge gereiset ist, bleiben hierüber wenig Zweifel übrig.
Freylich haben alle Felsenschichten ursprünglich wagerecht gelegen, und sind aus wiederholten Ueber- schwemmungen eines mit Erde vertrübten Wassers entstanden. Selbst diese Entstehung, die an einigen
Orten
von Nizza nach Deutſchland.
einem engen Schlund der Berge herauskommt, und ſich hier in die Roja ergießt. Jch verſuchte, neben dieſem Bache etwas gegen den Schlund der Berge, daher er kommt, hineinzugehen, konnte aber nicht weit kommen, weil das Ufer ſteil und wild mit Ge- ſtraͤuch bewachſen iſt. Doch wurde mir der Gang dadurch belohnet, daß ich etwa hundert Schritte weit hinter meinem Gaſthofe einen andern ganz kleinen Bach antraf, der ſich von einer Hoͤhe von 50 bis 60 Fuß in einem Waſſerſtrahl in den groͤßern Bach her- unter ſtuͤrzt.
Jn dieſem Bache fand ich einen ſchwaͤrzlichen Stein, der durchaus aus platten zirkelrunden verſtei- nerten Schnecken beſteht, und unter dem Namen lapis nummularis bekannt iſt. Dieſes iſt die einzige Spur von verſteinerten Seethieren, die ich in der Grafſchaft Nizza, und uͤberhaupt auf den ſogenann- ten mittaͤglichen Alpen (alpes maritimes) angetroffen habe. Bey dieſer Gelegenheit faͤllt mir ein, einige auf dieſer Reiſe uͤber die Schichten der Berge gemach- te Beobachtungen anzufuͤhren.
Einige Gelehrte, die nicht weit aus ihren Cabi-Schichten der Berge. netten gekommen, ſcheinen ſehr verlegen zu ſeyn, wie ſie die meiſtentheils ſchiefe Lage der Felſenſchichten, die ehedem nothwendig wagerecht muͤſſen gelegen haben, erklaͤren ſollen. Dem, der mit einem etwas for- ſchenden Auge uͤber viele Berge gereiſet iſt, bleiben hieruͤber wenig Zweifel uͤbrig.
Freylich haben alle Felſenſchichten urſpruͤnglich wagerecht gelegen, und ſind aus wiederholten Ueber- ſchwemmungen eines mit Erde vertruͤbten Waſſers entſtanden. Selbſt dieſe Entſtehung, die an einigen
Orten
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von Nizza nach Deutſchland.
einem engen Schlund der Berge herauskommt, und
ſich hier in die Roja ergießt. Jch verſuchte, neben
dieſem Bache etwas gegen den Schlund der Berge,
daher er kommt, hineinzugehen, konnte aber nicht
weit kommen, weil das Ufer ſteil und wild mit Ge-
ſtraͤuch bewachſen iſt. Doch wurde mir der Gang
dadurch belohnet, daß ich etwa hundert Schritte weit
hinter meinem Gaſthofe einen andern ganz kleinen
Bach antraf, der ſich von einer Hoͤhe von 50 bis 60
Fuß in einem Waſſerſtrahl in den groͤßern Bach her-
unter ſtuͤrzt.
Jn dieſem Bache fand ich einen ſchwaͤrzlichen
Stein, der durchaus aus platten zirkelrunden verſtei-
nerten Schnecken beſteht, und unter dem Namen
lapis nummularis bekannt iſt. Dieſes iſt die einzige
Spur von verſteinerten Seethieren, die ich in der
Grafſchaft Nizza, und uͤberhaupt auf den ſogenann-
ten mittaͤglichen Alpen (alpes maritimes) angetroffen
habe. Bey dieſer Gelegenheit faͤllt mir ein, einige
auf dieſer Reiſe uͤber die Schichten der Berge gemach-
te Beobachtungen anzufuͤhren.
Einige Gelehrte, die nicht weit aus ihren Cabi-
netten gekommen, ſcheinen ſehr verlegen zu ſeyn, wie
ſie die meiſtentheils ſchiefe Lage der Felſenſchichten, die
ehedem nothwendig wagerecht muͤſſen gelegen haben,
erklaͤren ſollen. Dem, der mit einem etwas for-
ſchenden Auge uͤber viele Berge gereiſet iſt, bleiben
hieruͤber wenig Zweifel uͤbrig.
Schichten
der Berge.
Freylich haben alle Felſenſchichten urſpruͤnglich
wagerecht gelegen, und ſind aus wiederholten Ueber-
ſchwemmungen eines mit Erde vertruͤbten Waſſers
entſtanden. Selbſt dieſe Entſtehung, die an einigen
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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/291>, abgerufen am 22.07.2024.
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