Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Tagebuch von einer nach Nizza
der Herzog von York gestorben ist. Der Hof vor
dem Schlosse ist mit einem Portico umgeben, an wel-
chem alte, aber sehr schadhafte Frescomalereyen zu se-
hen sind, die von einem großen Meister herrühren
müssen. Aber niemand konnte mir sagen, von wem
sie seyen. An dem großen Paradeplatze vor dem
Schlosse stehet an der Abendseite gegen das Meer hin
eine lange Reihe sehr schöner metallener Kanonen von
24 Pf. Caliber, alle auf eisernen Lavetten. Von
diesem Platze hat man eine herrliche Aussicht gegen
Abend über den Golfo nach Antibes, und gegen
Morgen auf die Küste, die sich von Ventimiglia
nach Osten hinzieht. Gegen Südost konnten wir
auch von diesem Platze die Jnsel Corsica sehen.

Die sämtlichen Einkünfte dieses Fürstenthums
sollen sich nicht viel über 100000 Livres französisches
Geld belaufen. Und dieses ist sehr glaublich; denn
im ganzen Fürstenthume sind nur die zwey Städte, die
ich beschrieben habe, und dann ein elendes, an der
Höhe der beschriebenen kahlen Berge gelegenes Dorf,
das ich nur von weitem gesehen habe, ohne errathen zu
können, wovon diese mitten unter kahlen Felsen woh-
nende Menschen ihre Nahrung her bekommen. Jch
glaube, daß in Deutschland viele Dörfer sind, zu de-
nen mehr angebautes Land gehört, als das ganze Für-
stenthum hat.

Das Justizcollegium, welches die Rechtshändel
des Fürstenthums entscheidet, hat, wie es in mehr
Ländern in Jtalien gebräuchlich ist, immer einen frem-
den Rechtsgelehrten zum Präsidenten. Der Fürst
nimmt ihn gewöhnlichermaßen nur für drey Jahr in
seine Dienste. Bisweilen aber wird die Zeit seines

Dien-

Tagebuch von einer nach Nizza
der Herzog von York geſtorben iſt. Der Hof vor
dem Schloſſe iſt mit einem Portico umgeben, an wel-
chem alte, aber ſehr ſchadhafte Freſcomalereyen zu ſe-
hen ſind, die von einem großen Meiſter herruͤhren
muͤſſen. Aber niemand konnte mir ſagen, von wem
ſie ſeyen. An dem großen Paradeplatze vor dem
Schloſſe ſtehet an der Abendſeite gegen das Meer hin
eine lange Reihe ſehr ſchoͤner metallener Kanonen von
24 Pf. Caliber, alle auf eiſernen Lavetten. Von
dieſem Platze hat man eine herrliche Ausſicht gegen
Abend uͤber den Golfo nach Antibes, und gegen
Morgen auf die Kuͤſte, die ſich von Ventimiglia
nach Oſten hinzieht. Gegen Suͤdoſt konnten wir
auch von dieſem Platze die Jnſel Corſica ſehen.

Die ſaͤmtlichen Einkuͤnfte dieſes Fuͤrſtenthums
ſollen ſich nicht viel uͤber 100000 Livres franzoͤſiſches
Geld belaufen. Und dieſes iſt ſehr glaublich; denn
im ganzen Fuͤrſtenthume ſind nur die zwey Staͤdte, die
ich beſchrieben habe, und dann ein elendes, an der
Hoͤhe der beſchriebenen kahlen Berge gelegenes Dorf,
das ich nur von weitem geſehen habe, ohne errathen zu
koͤnnen, wovon dieſe mitten unter kahlen Felſen woh-
nende Menſchen ihre Nahrung her bekommen. Jch
glaube, daß in Deutſchland viele Doͤrfer ſind, zu de-
nen mehr angebautes Land gehoͤrt, als das ganze Fuͤr-
ſtenthum hat.

Das Juſtizcollegium, welches die Rechtshaͤndel
des Fuͤrſtenthums entſcheidet, hat, wie es in mehr
Laͤndern in Jtalien gebraͤuchlich iſt, immer einen frem-
den Rechtsgelehrten zum Praͤſidenten. Der Fuͤrſt
nimmt ihn gewoͤhnlichermaßen nur fuͤr drey Jahr in
ſeine Dienſte. Bisweilen aber wird die Zeit ſeines

Dien-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0266" n="246"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Tagebuch von einer nach Nizza</hi></fw><lb/>
der Herzog von <hi rendition="#fr">York</hi> ge&#x017F;torben i&#x017F;t. Der Hof vor<lb/>
dem Schlo&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t mit einem Portico umgeben, an wel-<lb/>
chem alte, aber &#x017F;ehr &#x017F;chadhafte Fre&#x017F;comalereyen zu &#x017F;e-<lb/>
hen &#x017F;ind, die von einem großen Mei&#x017F;ter herru&#x0364;hren<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Aber niemand konnte mir &#x017F;agen, von wem<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;eyen. An dem großen Paradeplatze vor dem<lb/>
Schlo&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tehet an der Abend&#x017F;eite gegen das Meer hin<lb/>
eine lange Reihe &#x017F;ehr &#x017F;cho&#x0364;ner metallener Kanonen von<lb/>
24 Pf. Caliber, alle auf ei&#x017F;ernen Lavetten. Von<lb/>
die&#x017F;em Platze hat man eine herrliche Aus&#x017F;icht gegen<lb/>
Abend u&#x0364;ber den <hi rendition="#fr">Golfo</hi> nach <hi rendition="#fr">Antibes,</hi> und gegen<lb/>
Morgen auf die Ku&#x0364;&#x017F;te, die &#x017F;ich von <hi rendition="#fr">Ventimiglia</hi><lb/>
nach O&#x017F;ten hinzieht. Gegen Su&#x0364;do&#x017F;t konnten wir<lb/>
auch von die&#x017F;em Platze die Jn&#x017F;el <hi rendition="#fr">Cor&#x017F;ica</hi> &#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p>Die &#x017F;a&#x0364;mtlichen Einku&#x0364;nfte die&#x017F;es Fu&#x0364;r&#x017F;tenthums<lb/>
&#x017F;ollen &#x017F;ich nicht viel u&#x0364;ber 100000 Livres franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ches<lb/>
Geld belaufen. Und die&#x017F;es i&#x017F;t &#x017F;ehr glaublich; denn<lb/>
im ganzen Fu&#x0364;r&#x017F;tenthume &#x017F;ind nur die zwey Sta&#x0364;dte, die<lb/>
ich be&#x017F;chrieben habe, und dann ein elendes, an der<lb/>
Ho&#x0364;he der be&#x017F;chriebenen kahlen Berge gelegenes Dorf,<lb/>
das ich nur von weitem ge&#x017F;ehen habe, ohne errathen zu<lb/>
ko&#x0364;nnen, wovon die&#x017F;e mitten unter kahlen Fel&#x017F;en woh-<lb/>
nende Men&#x017F;chen ihre Nahrung her bekommen. Jch<lb/>
glaube, daß in Deut&#x017F;chland viele Do&#x0364;rfer &#x017F;ind, zu de-<lb/>
nen mehr angebautes Land geho&#x0364;rt, als das ganze Fu&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;tenthum hat.</p><lb/>
        <p>Das Ju&#x017F;tizcollegium, welches die Rechtsha&#x0364;ndel<lb/>
des Fu&#x0364;r&#x017F;tenthums ent&#x017F;cheidet, hat, wie es in mehr<lb/>
La&#x0364;ndern in Jtalien gebra&#x0364;uchlich i&#x017F;t, immer einen frem-<lb/>
den Rechtsgelehrten zum Pra&#x0364;&#x017F;identen. Der Fu&#x0364;r&#x017F;t<lb/>
nimmt ihn gewo&#x0364;hnlichermaßen nur fu&#x0364;r drey Jahr in<lb/>
&#x017F;eine Dien&#x017F;te. Bisweilen aber wird die Zeit &#x017F;eines<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Dien-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0266] Tagebuch von einer nach Nizza der Herzog von York geſtorben iſt. Der Hof vor dem Schloſſe iſt mit einem Portico umgeben, an wel- chem alte, aber ſehr ſchadhafte Freſcomalereyen zu ſe- hen ſind, die von einem großen Meiſter herruͤhren muͤſſen. Aber niemand konnte mir ſagen, von wem ſie ſeyen. An dem großen Paradeplatze vor dem Schloſſe ſtehet an der Abendſeite gegen das Meer hin eine lange Reihe ſehr ſchoͤner metallener Kanonen von 24 Pf. Caliber, alle auf eiſernen Lavetten. Von dieſem Platze hat man eine herrliche Ausſicht gegen Abend uͤber den Golfo nach Antibes, und gegen Morgen auf die Kuͤſte, die ſich von Ventimiglia nach Oſten hinzieht. Gegen Suͤdoſt konnten wir auch von dieſem Platze die Jnſel Corſica ſehen. Die ſaͤmtlichen Einkuͤnfte dieſes Fuͤrſtenthums ſollen ſich nicht viel uͤber 100000 Livres franzoͤſiſches Geld belaufen. Und dieſes iſt ſehr glaublich; denn im ganzen Fuͤrſtenthume ſind nur die zwey Staͤdte, die ich beſchrieben habe, und dann ein elendes, an der Hoͤhe der beſchriebenen kahlen Berge gelegenes Dorf, das ich nur von weitem geſehen habe, ohne errathen zu koͤnnen, wovon dieſe mitten unter kahlen Felſen woh- nende Menſchen ihre Nahrung her bekommen. Jch glaube, daß in Deutſchland viele Doͤrfer ſind, zu de- nen mehr angebautes Land gehoͤrt, als das ganze Fuͤr- ſtenthum hat. Das Juſtizcollegium, welches die Rechtshaͤndel des Fuͤrſtenthums entſcheidet, hat, wie es in mehr Laͤndern in Jtalien gebraͤuchlich iſt, immer einen frem- den Rechtsgelehrten zum Praͤſidenten. Der Fuͤrſt nimmt ihn gewoͤhnlichermaßen nur fuͤr drey Jahr in ſeine Dienſte. Bisweilen aber wird die Zeit ſeines Dien-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/266
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/266>, abgerufen am 26.11.2024.