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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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gethanen Reise.
hen habe, die begierig nach Kenntnissen, und wirklich
von aufgeklärtem Geiste waren. Dieses sind aber so
seltene Dinge hier, daß sie der allgemeinen Anmer-
kung über den Mangel an Kenntnissen, der hier herr-
schet, kaum eine Einschränkung geben.

Alle Thätigkeit und Aufmerksamkeit der Men-
schen scheinet hier blos auf den sehr engen Kreis der
ihnen zunächst vor den Augen liegenden Gegenstände
gerichtet. Daher macht jedes kleine Familien- oder
Gesellschaftsgeschichtchen, und was etwa täglich in der
Stadt vorgeht, viel Aufsehens. Ein kleines Histör-
chen von Galanterie, oder ein ganz unbedeutender
Vorfall, der sich etwa in der Conversatione oder beym
Ball geäußert hat, ist viele Tage lang fast der einzi-
ge Jnhalt der Gespräche. Auch macht der Mangel
an wichtigern Beschäfftigungen, daß bey dem gering-
sten kleinen Vorfall alles in Bewegung kommt. Bey
den in der That nichtsbedeutenden Festins des gemei-
nen Volks, wovon ich hernach sprechen werde, sieht
man gemeiniglich alle Vornehmere als Zuschauer ver-
sammelt. Während meines Aufenthalts in Nizza
wurde das hier in Besatzung liegende Bataillon abge-
wechselt; und ich sah beym Einmarsch des ankommen-
den Bataillons alle Straßen vor der Stadt auf eine
halbe Stunde Weges weit mit den Einwohnern der
Stadt vornehmern und geringern Standes besetzt, um
an einer so merkwürdigen Begebenheit Theil zu neh-
men. Eben so sieht man in den letzten Tagen des
Carnevals, da der Pöbel einige Mummereyen und
Fastnachtslustbarkeiten vornimmt, alles auf den Stras-
sen der Stadt, um das abgeschmackte Schauspiel zu
sehen. Alles zeiget eine ungemeine Gierigkeit nach

Zeit-
N 3

gethanen Reiſe.
hen habe, die begierig nach Kenntniſſen, und wirklich
von aufgeklaͤrtem Geiſte waren. Dieſes ſind aber ſo
ſeltene Dinge hier, daß ſie der allgemeinen Anmer-
kung uͤber den Mangel an Kenntniſſen, der hier herr-
ſchet, kaum eine Einſchraͤnkung geben.

Alle Thaͤtigkeit und Aufmerkſamkeit der Men-
ſchen ſcheinet hier blos auf den ſehr engen Kreis der
ihnen zunaͤchſt vor den Augen liegenden Gegenſtaͤnde
gerichtet. Daher macht jedes kleine Familien- oder
Geſellſchaftsgeſchichtchen, und was etwa taͤglich in der
Stadt vorgeht, viel Aufſehens. Ein kleines Hiſtoͤr-
chen von Galanterie, oder ein ganz unbedeutender
Vorfall, der ſich etwa in der Converſatione oder beym
Ball geaͤußert hat, iſt viele Tage lang faſt der einzi-
ge Jnhalt der Geſpraͤche. Auch macht der Mangel
an wichtigern Beſchaͤfftigungen, daß bey dem gering-
ſten kleinen Vorfall alles in Bewegung kommt. Bey
den in der That nichtsbedeutenden Feſtins des gemei-
nen Volks, wovon ich hernach ſprechen werde, ſieht
man gemeiniglich alle Vornehmere als Zuſchauer ver-
ſammelt. Waͤhrend meines Aufenthalts in Nizza
wurde das hier in Beſatzung liegende Bataillon abge-
wechſelt; und ich ſah beym Einmarſch des ankommen-
den Bataillons alle Straßen vor der Stadt auf eine
halbe Stunde Weges weit mit den Einwohnern der
Stadt vornehmern und geringern Standes beſetzt, um
an einer ſo merkwuͤrdigen Begebenheit Theil zu neh-
men. Eben ſo ſieht man in den letzten Tagen des
Carnevals, da der Poͤbel einige Mummereyen und
Faſtnachtsluſtbarkeiten vornimmt, alles auf den Straſ-
ſen der Stadt, um das abgeſchmackte Schauſpiel zu
ſehen. Alles zeiget eine ungemeine Gierigkeit nach

Zeit-
N 3
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[197/0217] gethanen Reiſe. hen habe, die begierig nach Kenntniſſen, und wirklich von aufgeklaͤrtem Geiſte waren. Dieſes ſind aber ſo ſeltene Dinge hier, daß ſie der allgemeinen Anmer- kung uͤber den Mangel an Kenntniſſen, der hier herr- ſchet, kaum eine Einſchraͤnkung geben. Alle Thaͤtigkeit und Aufmerkſamkeit der Men- ſchen ſcheinet hier blos auf den ſehr engen Kreis der ihnen zunaͤchſt vor den Augen liegenden Gegenſtaͤnde gerichtet. Daher macht jedes kleine Familien- oder Geſellſchaftsgeſchichtchen, und was etwa taͤglich in der Stadt vorgeht, viel Aufſehens. Ein kleines Hiſtoͤr- chen von Galanterie, oder ein ganz unbedeutender Vorfall, der ſich etwa in der Converſatione oder beym Ball geaͤußert hat, iſt viele Tage lang faſt der einzi- ge Jnhalt der Geſpraͤche. Auch macht der Mangel an wichtigern Beſchaͤfftigungen, daß bey dem gering- ſten kleinen Vorfall alles in Bewegung kommt. Bey den in der That nichtsbedeutenden Feſtins des gemei- nen Volks, wovon ich hernach ſprechen werde, ſieht man gemeiniglich alle Vornehmere als Zuſchauer ver- ſammelt. Waͤhrend meines Aufenthalts in Nizza wurde das hier in Beſatzung liegende Bataillon abge- wechſelt; und ich ſah beym Einmarſch des ankommen- den Bataillons alle Straßen vor der Stadt auf eine halbe Stunde Weges weit mit den Einwohnern der Stadt vornehmern und geringern Standes beſetzt, um an einer ſo merkwuͤrdigen Begebenheit Theil zu neh- men. Eben ſo ſieht man in den letzten Tagen des Carnevals, da der Poͤbel einige Mummereyen und Faſtnachtsluſtbarkeiten vornimmt, alles auf den Straſ- ſen der Stadt, um das abgeſchmackte Schauſpiel zu ſehen. Alles zeiget eine ungemeine Gierigkeit nach Zeit- N 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/217>, abgerufen am 25.11.2024.