Fremder ist sicher, daß in einer solchen Tischgesell- schaft keine zu neugierige oder unbescheidene Frage an ihn geschieht.
Die einzigen Menschen, über die ich mich auf dieser Reise zu beklagen fand, sind die Barbierer, die alle zugleich Friseurs sind. Sie gehen mit Bart und Haaren gar unbarmherzig um, reiben, stoßen und reissen so brutal, als wenn sie einen unempfindlichen Ochsenkopf unter den Händen hätten. Jch gerieth allemal in Versuchung, diesen groben Kerln unter den Händen zu entspringen.
Des fürtrefflichen Clima in der untern Provence ungeachtet, schien sie mir doch, im Ganzen genom- men, kein angenehmes Land. Die meisten Provin- zen von Deutschland übertreffen sie meines Erachtens an Fruchtbarkeit und Annehmlichkeit sehr weit. Nur die kalten und rauhen Winter! dafür aber sind denn auch die Sommer in der Provence desto beschwerlicher. Den unbeschreiblichen Reichthum an Oel ausgenom- men, ist die Provence ein armes Land; und jener Franzose, der sie eine Gueuse parfumee nannte, scheint eben nicht ganz unrecht geurtheilt zu haben.
Beschrei-
Tagebuch von einer nach Nizza
Fremder iſt ſicher, daß in einer ſolchen Tiſchgeſell- ſchaft keine zu neugierige oder unbeſcheidene Frage an ihn geſchieht.
Die einzigen Menſchen, uͤber die ich mich auf dieſer Reiſe zu beklagen fand, ſind die Barbierer, die alle zugleich Friſeurs ſind. Sie gehen mit Bart und Haaren gar unbarmherzig um, reiben, ſtoßen und reiſſen ſo brutal, als wenn ſie einen unempfindlichen Ochſenkopf unter den Haͤnden haͤtten. Jch gerieth allemal in Verſuchung, dieſen groben Kerln unter den Haͤnden zu entſpringen.
Des fuͤrtrefflichen Clima in der untern Provence ungeachtet, ſchien ſie mir doch, im Ganzen genom- men, kein angenehmes Land. Die meiſten Provin- zen von Deutſchland uͤbertreffen ſie meines Erachtens an Fruchtbarkeit und Annehmlichkeit ſehr weit. Nur die kalten und rauhen Winter! dafuͤr aber ſind denn auch die Sommer in der Provence deſto beſchwerlicher. Den unbeſchreiblichen Reichthum an Oel ausgenom- men, iſt die Provence ein armes Land; und jener Franzoſe, der ſie eine Gueuſe parfumée nannte, ſcheint eben nicht ganz unrecht geurtheilt zu haben.
Beſchrei-
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="diaryEntry"n="2"><p><pbfacs="#f0196"n="176"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Tagebuch von einer nach Nizza</hi></fw><lb/>
Fremder iſt ſicher, daß in einer ſolchen Tiſchgeſell-<lb/>ſchaft keine zu neugierige oder unbeſcheidene Frage an<lb/>
ihn geſchieht.</p><lb/><p>Die einzigen Menſchen, uͤber die ich mich auf<lb/>
dieſer Reiſe zu beklagen fand, ſind die Barbierer, die<lb/>
alle zugleich Friſeurs ſind. Sie gehen mit Bart und<lb/>
Haaren gar unbarmherzig um, reiben, ſtoßen und<lb/>
reiſſen ſo brutal, als wenn ſie einen unempfindlichen<lb/>
Ochſenkopf unter den Haͤnden haͤtten. Jch gerieth<lb/>
allemal in Verſuchung, dieſen groben Kerln unter den<lb/>
Haͤnden zu entſpringen.</p><lb/><p>Des fuͤrtrefflichen Clima in der untern Provence<lb/>
ungeachtet, ſchien ſie mir doch, im Ganzen genom-<lb/>
men, kein angenehmes Land. Die meiſten Provin-<lb/>
zen von Deutſchland uͤbertreffen ſie meines Erachtens<lb/>
an Fruchtbarkeit und Annehmlichkeit ſehr weit. Nur<lb/>
die kalten und rauhen Winter! dafuͤr aber ſind denn<lb/>
auch die Sommer in der Provence deſto beſchwerlicher.<lb/>
Den unbeſchreiblichen Reichthum an Oel ausgenom-<lb/>
men, iſt die Provence ein armes Land; und jener<lb/>
Franzoſe, der ſie eine <hirendition="#aq">Gueuſe parfumée</hi> nannte,<lb/>ſcheint eben nicht ganz unrecht geurtheilt zu haben.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Beſchrei-</hi></fw><lb/></body></text></TEI>
[176/0196]
Tagebuch von einer nach Nizza
Fremder iſt ſicher, daß in einer ſolchen Tiſchgeſell-
ſchaft keine zu neugierige oder unbeſcheidene Frage an
ihn geſchieht.
Die einzigen Menſchen, uͤber die ich mich auf
dieſer Reiſe zu beklagen fand, ſind die Barbierer, die
alle zugleich Friſeurs ſind. Sie gehen mit Bart und
Haaren gar unbarmherzig um, reiben, ſtoßen und
reiſſen ſo brutal, als wenn ſie einen unempfindlichen
Ochſenkopf unter den Haͤnden haͤtten. Jch gerieth
allemal in Verſuchung, dieſen groben Kerln unter den
Haͤnden zu entſpringen.
Des fuͤrtrefflichen Clima in der untern Provence
ungeachtet, ſchien ſie mir doch, im Ganzen genom-
men, kein angenehmes Land. Die meiſten Provin-
zen von Deutſchland uͤbertreffen ſie meines Erachtens
an Fruchtbarkeit und Annehmlichkeit ſehr weit. Nur
die kalten und rauhen Winter! dafuͤr aber ſind denn
auch die Sommer in der Provence deſto beſchwerlicher.
Den unbeſchreiblichen Reichthum an Oel ausgenom-
men, iſt die Provence ein armes Land; und jener
Franzoſe, der ſie eine Gueuſe parfumée nannte,
ſcheint eben nicht ganz unrecht geurtheilt zu haben.
Beſchrei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/196>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.