man von diesen herunter fährt, so öffnet sich bey dem letztgenannten Städtchen eine große Pläne in die soge- nannte Comtat von Avignon hinein. Jn dem die- ser Gegend gegenüberliegenden Distrikt jenseit der Rho- ne, wächst ein lieblicher weisser Wein, der Vin de St. Peres genennt wird. Er hat einige Aehnlichkeit mit dem Champagner, ist aber süßer als dieser.
Von Donzere aus ist das Land höchst elend. An- fänglich sind die Felder noch ganz dünne mit magern Weinreben besetzt; weiter hin aber ist es nichts als bloßer Schutt von Kieselsteinen und Kiessand. Das meiste liegt unbebaut. Hier und da sah ich noch ein Feld mit magern Maulbeer-Mandel-Nuß- und Fei- genbäumen besetzt.
Jch habe schon einmal über die große Unreinlich- keit der französischen Gasthöfe auf dieser Straße ge- klagt; aber ich hätte die Klage bis hieher versparen sollen. Jn La Palud, wo ich heute über Nacht blieb, war sie völlig unausstehlich. Jch glaubte des Morgens, als ich wieder in den Wagen steigen konnte, aus einer Cloak errettet geworden zu seyn. Wehe dem, der auf dieser Straße im Essen ekel ist; er muß verhungern. Speisen werden zwar im Ueberfluß aufgetragen, auch wirklich gute Sachen, wenn sie reinlich behandelt würden; aber der Ekel verderbt al- les. Teller, Löffel, Gabeln, (denn Messer wer- den, ich weiß nicht warum, nie vorgelegt,) sind in dem schlechtesten Zustande. Das Tischzeug ist zwar rein, aber unausstehlich grob. Weit besser wäre es, wenn man blos reinliche Zimmer fände, und jeder Rei- sende sein Essen selbst anschaffen müßte.
Den
Tagebuch von einer nach Nizza
man von dieſen herunter faͤhrt, ſo oͤffnet ſich bey dem letztgenannten Staͤdtchen eine große Plaͤne in die ſoge- nannte Comtat von Avignon hinein. Jn dem die- ſer Gegend gegenuͤberliegenden Diſtrikt jenſeit der Rho- ne, waͤchſt ein lieblicher weiſſer Wein, der Vin de St. Perès genennt wird. Er hat einige Aehnlichkeit mit dem Champagner, iſt aber ſuͤßer als dieſer.
Von Donzere aus iſt das Land hoͤchſt elend. An- faͤnglich ſind die Felder noch ganz duͤnne mit magern Weinreben beſetzt; weiter hin aber iſt es nichts als bloßer Schutt von Kieſelſteinen und Kiesſand. Das meiſte liegt unbebaut. Hier und da ſah ich noch ein Feld mit magern Maulbeer-Mandel-Nuß- und Fei- genbaͤumen beſetzt.
Jch habe ſchon einmal uͤber die große Unreinlich- keit der franzoͤſiſchen Gaſthoͤfe auf dieſer Straße ge- klagt; aber ich haͤtte die Klage bis hieher verſparen ſollen. Jn La Palud, wo ich heute uͤber Nacht blieb, war ſie voͤllig unausſtehlich. Jch glaubte des Morgens, als ich wieder in den Wagen ſteigen konnte, aus einer Cloak errettet geworden zu ſeyn. Wehe dem, der auf dieſer Straße im Eſſen ekel iſt; er muß verhungern. Speiſen werden zwar im Ueberfluß aufgetragen, auch wirklich gute Sachen, wenn ſie reinlich behandelt wuͤrden; aber der Ekel verderbt al- les. Teller, Loͤffel, Gabeln, (denn Meſſer wer- den, ich weiß nicht warum, nie vorgelegt,) ſind in dem ſchlechteſten Zuſtande. Das Tiſchzeug iſt zwar rein, aber unausſtehlich grob. Weit beſſer waͤre es, wenn man blos reinliche Zimmer faͤnde, und jeder Rei- ſende ſein Eſſen ſelbſt anſchaffen muͤßte.
Den
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Tagebuch von einer nach Nizza
man von dieſen herunter faͤhrt, ſo oͤffnet ſich bey dem
letztgenannten Staͤdtchen eine große Plaͤne in die ſoge-
nannte Comtat von Avignon hinein. Jn dem die-
ſer Gegend gegenuͤberliegenden Diſtrikt jenſeit der Rho-
ne, waͤchſt ein lieblicher weiſſer Wein, der Vin de
St. Perès genennt wird. Er hat einige Aehnlichkeit
mit dem Champagner, iſt aber ſuͤßer als dieſer.
Von Donzere aus iſt das Land hoͤchſt elend. An-
faͤnglich ſind die Felder noch ganz duͤnne mit magern
Weinreben beſetzt; weiter hin aber iſt es nichts als
bloßer Schutt von Kieſelſteinen und Kiesſand. Das
meiſte liegt unbebaut. Hier und da ſah ich noch ein
Feld mit magern Maulbeer-Mandel-Nuß- und Fei-
genbaͤumen beſetzt.
Jch habe ſchon einmal uͤber die große Unreinlich-
keit der franzoͤſiſchen Gaſthoͤfe auf dieſer Straße ge-
klagt; aber ich haͤtte die Klage bis hieher verſparen
ſollen. Jn La Palud, wo ich heute uͤber Nacht
blieb, war ſie voͤllig unausſtehlich. Jch glaubte des
Morgens, als ich wieder in den Wagen ſteigen konnte,
aus einer Cloak errettet geworden zu ſeyn. Wehe
dem, der auf dieſer Straße im Eſſen ekel iſt; er muß
verhungern. Speiſen werden zwar im Ueberfluß
aufgetragen, auch wirklich gute Sachen, wenn ſie
reinlich behandelt wuͤrden; aber der Ekel verderbt al-
les. Teller, Loͤffel, Gabeln, (denn Meſſer wer-
den, ich weiß nicht warum, nie vorgelegt,) ſind in
dem ſchlechteſten Zuſtande. Das Tiſchzeug iſt zwar
rein, aber unausſtehlich grob. Weit beſſer waͤre es,
wenn man blos reinliche Zimmer faͤnde, und jeder Rei-
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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/118>, abgerufen am 16.02.2025.
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