Sulzer, Johann Georg: Beschreibung einiger Merckwüdigkeiten, Welche er in einer Ao. 1742. gemachten Berg-Reise durch einige Oerter der Schweitz beobachtet hat. Zürich, 1742.Vorbericht. Man kan von den Pflanzen überhaupt eben das sagen/ was von ste
Vorbericht. Man kan von den Pflanzen uͤberhaupt eben das ſagen/ was von ſte
<TEI> <text> <body> <div type="preface" n="1"> <pb facs="#f0022" n="18"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vorbericht.</hi> </fw><lb/> <p>Man kan von den Pflanzen uͤberhaupt eben das ſagen/ was von<lb/> den Mineralien/ daß ein Naturforſcher ſich laͤßt angelegen ſeyn/ erſt<lb/> alle Arten/ die er nur entdecken kan/ zu kennen/ und hernach ihre<lb/> Natur zu erforſchen. Zu dieſem Ende muß er auf ſeinen Reiſen nicht<lb/> auf den gebahnten Wegen bleiben/ denn da zeigen ſich die wenigſten<lb/> Pflanzen. Er muß die Gruͤnde und Thaͤler/ die dunckele und un-<lb/> wegſame Waͤlder durchſuchen. Er muß die Huͤgel und Hoͤhen/ die<lb/> hervorſtehenden Felsklippen beſteigen/ er muß ſich ſogar in das Waſ-<lb/> ſer/ in Suͤmpfe und Teiche wagen/ weil er faſt allemal an ſolchen<lb/> Orten Pflanzen antreffen wird/ die er ſonſt vergeblich ſuchen wuͤrde.<lb/> Jnſonderheit muͤſſen feuchte und ganz fette/ oder magere und faſt<lb/> verbrennte Plaͤtze von ihm allemal ſorgfaͤltig durchgeſucht werden/<lb/> weil nicht ſelten rare Pflanzen an ſolchen Orten angetroffen werden.<lb/> Jndeſſen aber muß er nicht nur ſeinen Arm/ ſondern auch ſeinen Geiſt<lb/> anfuͤllen. Er muß bey jeder Pflanze die Beſchaffenheit des Orts/<lb/> wo ſie waͤchßt/ und des Erdreichs/ worin ſie ſtehet/ bemercken. Er<lb/> muß inſonderheit ſorgfaͤltig ſeyn/ die Verſchiedenheit der Natur in<lb/> einerley Arten/ die von der Verſchiedenheit der Umſtaͤnde herkommt/<lb/> mit Fleiß zu betrachten. Es muß ihm nicht genug ſeyn/ daß er alle<lb/> Arten/ die er antrifft/ ausgraͤbt und behalt/ auch die/ welche er ſte-<lb/> hen laͤßt/ muß er betrachten/ und ſie mit einander vergleichen;<lb/> Denn dadurch lernet er die Abweichungen der Natur von den ge-<lb/> woͤhnlichſten Regeln erkennen/ und dieſes ſetzt ihn in Stande/ von<lb/> den natuͤrlichen Geſchlechtern/ welche der Haupt-Vorwurff eines<lb/> klugen <hi rendition="#aq">Botanici</hi> ſind/ gruͤndlich zu urtheilen. Die Natur aͤndert<lb/> in einerley Art die Groͤſſe/ Farbe/ Geſtalt/ Verhaͤltniß und Lage<lb/> der Theile. Wer nicht auf dieſe Veraͤnderungen acht hat/ wer ſie<lb/> nicht fleißig erforſchet/ um dadurch die Genie der Natur zu erken-<lb/> nen/ der wird in ſeinen Eintheilungen immer von der Natur abwei-<lb/> chen. Dieſe Sachen aber koͤnnen nur auf Reiſen geſehen werden.<lb/> Man muß ſich auch angelegen ſeyn laſſen/ von dem verſtaͤndigen<lb/> Landmann und Hirte die ihm gewoͤhnlichen Namen der Pflanzen/<lb/> und was er von ihrer Natur und Wuͤrckung kennt/ zu erfragen.<lb/> Dieſe Leute haben oft durch eine lange Erfahrung/ welche der ſicher-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſte</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [18/0022]
Vorbericht.
Man kan von den Pflanzen uͤberhaupt eben das ſagen/ was von
den Mineralien/ daß ein Naturforſcher ſich laͤßt angelegen ſeyn/ erſt
alle Arten/ die er nur entdecken kan/ zu kennen/ und hernach ihre
Natur zu erforſchen. Zu dieſem Ende muß er auf ſeinen Reiſen nicht
auf den gebahnten Wegen bleiben/ denn da zeigen ſich die wenigſten
Pflanzen. Er muß die Gruͤnde und Thaͤler/ die dunckele und un-
wegſame Waͤlder durchſuchen. Er muß die Huͤgel und Hoͤhen/ die
hervorſtehenden Felsklippen beſteigen/ er muß ſich ſogar in das Waſ-
ſer/ in Suͤmpfe und Teiche wagen/ weil er faſt allemal an ſolchen
Orten Pflanzen antreffen wird/ die er ſonſt vergeblich ſuchen wuͤrde.
Jnſonderheit muͤſſen feuchte und ganz fette/ oder magere und faſt
verbrennte Plaͤtze von ihm allemal ſorgfaͤltig durchgeſucht werden/
weil nicht ſelten rare Pflanzen an ſolchen Orten angetroffen werden.
Jndeſſen aber muß er nicht nur ſeinen Arm/ ſondern auch ſeinen Geiſt
anfuͤllen. Er muß bey jeder Pflanze die Beſchaffenheit des Orts/
wo ſie waͤchßt/ und des Erdreichs/ worin ſie ſtehet/ bemercken. Er
muß inſonderheit ſorgfaͤltig ſeyn/ die Verſchiedenheit der Natur in
einerley Arten/ die von der Verſchiedenheit der Umſtaͤnde herkommt/
mit Fleiß zu betrachten. Es muß ihm nicht genug ſeyn/ daß er alle
Arten/ die er antrifft/ ausgraͤbt und behalt/ auch die/ welche er ſte-
hen laͤßt/ muß er betrachten/ und ſie mit einander vergleichen;
Denn dadurch lernet er die Abweichungen der Natur von den ge-
woͤhnlichſten Regeln erkennen/ und dieſes ſetzt ihn in Stande/ von
den natuͤrlichen Geſchlechtern/ welche der Haupt-Vorwurff eines
klugen Botanici ſind/ gruͤndlich zu urtheilen. Die Natur aͤndert
in einerley Art die Groͤſſe/ Farbe/ Geſtalt/ Verhaͤltniß und Lage
der Theile. Wer nicht auf dieſe Veraͤnderungen acht hat/ wer ſie
nicht fleißig erforſchet/ um dadurch die Genie der Natur zu erken-
nen/ der wird in ſeinen Eintheilungen immer von der Natur abwei-
chen. Dieſe Sachen aber koͤnnen nur auf Reiſen geſehen werden.
Man muß ſich auch angelegen ſeyn laſſen/ von dem verſtaͤndigen
Landmann und Hirte die ihm gewoͤhnlichen Namen der Pflanzen/
und was er von ihrer Natur und Wuͤrckung kennt/ zu erfragen.
Dieſe Leute haben oft durch eine lange Erfahrung/ welche der ſicher-
ſte
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1742 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1742/22 |
Zitationshilfe: | Sulzer, Johann Georg: Beschreibung einiger Merckwüdigkeiten, Welche er in einer Ao. 1742. gemachten Berg-Reise durch einige Oerter der Schweitz beobachtet hat. Zürich, 1742, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1742/22>, abgerufen am 03.07.2024. |