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Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

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"Ich denke nicht mehr an Glück! Ich war zufrieden mit dem Guten, das ich tun durfte, mit meiner Schreiberei, meinen Büchern - -"

"Und das hat dir genügt?"

"Es scheint so," sagte Frau von Ellissen leicht verwirrt.

"Das ist eben das Unglück, daß eine solche Milchsuppe von Glück meinen Appetit gar nicht stillen würde. Ich brauche kräftigere Kost."

"Es ist aber doch ein großes Glück, liebes Kind, sich selbst für das Wohl seiner Nebenmenschen aufzuopfern."

"Nach deiner Meinung sollte also das ganze Leben nur dazu verwendet werden, sich mit den andern und nicht mit sich selbst zu beschäftigen?"

"Gewiß!"

"Nun, diese Philosophie liegt meinem Verständnisse gänzlich fern. Wenn ich nur leben sollte, um mich für das Wohl anderer zu begeistern, dann wollte ich, ich wäre nie geboren."

"Ach, Stella, ich hoffe, daß das Leben deine Ansichten ändern wird."

"Ich denke nicht."

„Ich denke nicht mehr an Glück! Ich war zufrieden mit dem Guten, das ich tun durfte, mit meiner Schreiberei, meinen Büchern – –“

„Und das hat dir genügt?“

„Es scheint so,“ sagte Frau von Ellissen leicht verwirrt.

„Das ist eben das Unglück, daß eine solche Milchsuppe von Glück meinen Appetit gar nicht stillen würde. Ich brauche kräftigere Kost.“

„Es ist aber doch ein großes Glück, liebes Kind, sich selbst für das Wohl seiner Nebenmenschen aufzuopfern.“

„Nach deiner Meinung sollte also das ganze Leben nur dazu verwendet werden, sich mit den andern und nicht mit sich selbst zu beschäftigen?“

„Gewiß!“

„Nun, diese Philosophie liegt meinem Verständnisse gänzlich fern. Wenn ich nur leben sollte, um mich für das Wohl anderer zu begeistern, dann wollte ich, ich wäre nie geboren.“

„Ach, Stella, ich hoffe, daß das Leben deine Ansichten ändern wird.“

„Ich denke nicht.“

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[76/0077] „Ich denke nicht mehr an Glück! Ich war zufrieden mit dem Guten, das ich tun durfte, mit meiner Schreiberei, meinen Büchern – –“ „Und das hat dir genügt?“ „Es scheint so,“ sagte Frau von Ellissen leicht verwirrt. „Das ist eben das Unglück, daß eine solche Milchsuppe von Glück meinen Appetit gar nicht stillen würde. Ich brauche kräftigere Kost.“ „Es ist aber doch ein großes Glück, liebes Kind, sich selbst für das Wohl seiner Nebenmenschen aufzuopfern.“ „Nach deiner Meinung sollte also das ganze Leben nur dazu verwendet werden, sich mit den andern und nicht mit sich selbst zu beschäftigen?“ „Gewiß!“ „Nun, diese Philosophie liegt meinem Verständnisse gänzlich fern. Wenn ich nur leben sollte, um mich für das Wohl anderer zu begeistern, dann wollte ich, ich wäre nie geboren.“ „Ach, Stella, ich hoffe, daß das Leben deine Ansichten ändern wird.“ „Ich denke nicht.“

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Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/77>, abgerufen am 24.11.2024.