Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905Vergebens, daß Stella rief: "Au! Sie brennen mich! Reißen Sie doch nicht so stark!" Die Künstlerin hatte kaum ihr Werk vollendet, als Stella, empört, die Frisur mit einem Stoß zerstörte, um sich nach eigenem Geschmack, auf weniger banale Art, das Haar zu richten. Nun überzeugt, nicht allen andern zu gleichen, lachte sie laut auf, berauscht von der jugendlichen Freude sich so reizend zu sehen. Mit dem Fächer in der Hand lief sie unter dem Rauschen des Flitters, der wie Regentropfen ihr grünes Kleid bedeckte, aus ihrem Ankleidezimmer, wie eine Najade aus dem Bade, und stürzte in den Salon ihrer Stiefmutter. Frau von Ellissen hatte sich darauf eingerichtet, in der Erwartung von Stellas Rückkehr einen langen Abend an ihrem Kamin lesend zu verbringen. Sie hatte sich's bequem gemacht und ein hellblaues Morgenkleid angelegt, das ihre herrlichen Formen zur Geltung brachte und sich der zarten Blässe ihres Gesichts prächtig anpaßte. Frohe Heiterkeit flog über ihre Züge als sie Stella erblickte, die ihr beim Eintreten zurief: "Bin ich schön, was!" Vergebens, daß Stella rief: „Au! Sie brennen mich! Reißen Sie doch nicht so stark!“ Die Künstlerin hatte kaum ihr Werk vollendet, als Stella, empört, die Frisur mit einem Stoß zerstörte, um sich nach eigenem Geschmack, auf weniger banale Art, das Haar zu richten. Nun überzeugt, nicht allen andern zu gleichen, lachte sie laut auf, berauscht von der jugendlichen Freude sich so reizend zu sehen. Mit dem Fächer in der Hand lief sie unter dem Rauschen des Flitters, der wie Regentropfen ihr grünes Kleid bedeckte, aus ihrem Ankleidezimmer, wie eine Najade aus dem Bade, und stürzte in den Salon ihrer Stiefmutter. Frau von Ellissen hatte sich darauf eingerichtet, in der Erwartung von Stellas Rückkehr einen langen Abend an ihrem Kamin lesend zu verbringen. Sie hatte sich’s bequem gemacht und ein hellblaues Morgenkleid angelegt, das ihre herrlichen Formen zur Geltung brachte und sich der zarten Blässe ihres Gesichts prächtig anpaßte. Frohe Heiterkeit flog über ihre Züge als sie Stella erblickte, die ihr beim Eintreten zurief: „Bin ich schön, was!“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0070" n="69"/> <p>Vergebens, daß Stella rief: „Au! Sie brennen mich! Reißen Sie doch nicht so stark!“</p> <p>Die Künstlerin hatte kaum ihr Werk vollendet, als Stella, empört, die Frisur mit einem Stoß zerstörte, um sich nach eigenem Geschmack, auf weniger banale Art, das Haar zu richten.</p> <p>Nun überzeugt, nicht allen andern zu gleichen, lachte sie laut auf, berauscht von der jugendlichen Freude sich so reizend zu sehen. Mit dem Fächer in der Hand lief sie unter dem Rauschen des Flitters, der wie Regentropfen ihr grünes Kleid bedeckte, aus ihrem Ankleidezimmer, wie eine Najade aus dem Bade, und stürzte in den Salon ihrer Stiefmutter.</p> <p>Frau von Ellissen hatte sich darauf eingerichtet, in der Erwartung von Stellas Rückkehr einen langen Abend an ihrem Kamin lesend zu verbringen. Sie hatte sich’s bequem gemacht und ein hellblaues Morgenkleid angelegt, das ihre herrlichen Formen zur Geltung brachte und sich der zarten Blässe ihres Gesichts prächtig anpaßte.</p> <p>Frohe Heiterkeit flog über ihre Züge als sie Stella erblickte, die ihr beim Eintreten zurief:</p> <p>„Bin ich schön, was!“</p> </div> </body> </text> </TEI> [69/0070]
Vergebens, daß Stella rief: „Au! Sie brennen mich! Reißen Sie doch nicht so stark!“
Die Künstlerin hatte kaum ihr Werk vollendet, als Stella, empört, die Frisur mit einem Stoß zerstörte, um sich nach eigenem Geschmack, auf weniger banale Art, das Haar zu richten.
Nun überzeugt, nicht allen andern zu gleichen, lachte sie laut auf, berauscht von der jugendlichen Freude sich so reizend zu sehen. Mit dem Fächer in der Hand lief sie unter dem Rauschen des Flitters, der wie Regentropfen ihr grünes Kleid bedeckte, aus ihrem Ankleidezimmer, wie eine Najade aus dem Bade, und stürzte in den Salon ihrer Stiefmutter.
Frau von Ellissen hatte sich darauf eingerichtet, in der Erwartung von Stellas Rückkehr einen langen Abend an ihrem Kamin lesend zu verbringen. Sie hatte sich’s bequem gemacht und ein hellblaues Morgenkleid angelegt, das ihre herrlichen Formen zur Geltung brachte und sich der zarten Blässe ihres Gesichts prächtig anpaßte.
Frohe Heiterkeit flog über ihre Züge als sie Stella erblickte, die ihr beim Eintreten zurief:
„Bin ich schön, was!“
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Zitationshilfe: | Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/70>, abgerufen am 16.02.2025. |