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Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

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Manche Familie, die früher gut leben, ein Haus machen, Pferd und Wagen halten konnte, war nun in die bescheidene Existenz einer kleinen Beamtenfamilie eingeengt. Die Töchter mit aufgeschürzten Röcken, die Hände in alten Handschuhen, kochten selbst, bürsteten bei geschlossenen Türen den Boden, wischten den Staub von den Möbeln und modernisierten ihre abgetragenen Kleider. In seinem Bettelstolze rächte sich dieses Bürgertum an der neuen offiziellen und industriellen Welt, von der es in den Schatten gestellt wurde, durch herausforderndes Benehmen. Schon an der Kopfhaltung konnte man dies leicht erkennen, wenn diese Familien Sonntags nach der Kirche ihre Töchter der alten Sitte gemäß auf dem Ringe spazieren führten, nicht weniger auch an dem Reden, an ihren anmaßenden verächtlichen Blicken, die sich schnell wie empört abwendeten, wenn sie auf Leute fielen, die nicht aus ihrer Kaste waren, die nicht, wie sie, dem alten Bürgertum entstammten, das nur von seinen Renten lebte und noch lebt. Das hinderte sie aber nicht, eifrig nach vorteilhaften Heiratsverbindungen mit dieser anderen Welt zu streben und zur Erreichung dieses Zieles alle Hebel in Bewegung zu setzen.

Manche Familie, die früher gut leben, ein Haus machen, Pferd und Wagen halten konnte, war nun in die bescheidene Existenz einer kleinen Beamtenfamilie eingeengt. Die Töchter mit aufgeschürzten Röcken, die Hände in alten Handschuhen, kochten selbst, bürsteten bei geschlossenen Türen den Boden, wischten den Staub von den Möbeln und modernisierten ihre abgetragenen Kleider. In seinem Bettelstolze rächte sich dieses Bürgertum an der neuen offiziellen und industriellen Welt, von der es in den Schatten gestellt wurde, durch herausforderndes Benehmen. Schon an der Kopfhaltung konnte man dies leicht erkennen, wenn diese Familien Sonntags nach der Kirche ihre Töchter der alten Sitte gemäß auf dem Ringe spazieren führten, nicht weniger auch an dem Reden, an ihren anmaßenden verächtlichen Blicken, die sich schnell wie empört abwendeten, wenn sie auf Leute fielen, die nicht aus ihrer Kaste waren, die nicht, wie sie, dem alten Bürgertum entstammten, das nur von seinen Renten lebte und noch lebt. Das hinderte sie aber nicht, eifrig nach vorteilhaften Heiratsverbindungen mit dieser anderen Welt zu streben und zur Erreichung dieses Zieles alle Hebel in Bewegung zu setzen.

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[51/0052] Manche Familie, die früher gut leben, ein Haus machen, Pferd und Wagen halten konnte, war nun in die bescheidene Existenz einer kleinen Beamtenfamilie eingeengt. Die Töchter mit aufgeschürzten Röcken, die Hände in alten Handschuhen, kochten selbst, bürsteten bei geschlossenen Türen den Boden, wischten den Staub von den Möbeln und modernisierten ihre abgetragenen Kleider. In seinem Bettelstolze rächte sich dieses Bürgertum an der neuen offiziellen und industriellen Welt, von der es in den Schatten gestellt wurde, durch herausforderndes Benehmen. Schon an der Kopfhaltung konnte man dies leicht erkennen, wenn diese Familien Sonntags nach der Kirche ihre Töchter der alten Sitte gemäß auf dem Ringe spazieren führten, nicht weniger auch an dem Reden, an ihren anmaßenden verächtlichen Blicken, die sich schnell wie empört abwendeten, wenn sie auf Leute fielen, die nicht aus ihrer Kaste waren, die nicht, wie sie, dem alten Bürgertum entstammten, das nur von seinen Renten lebte und noch lebt. Das hinderte sie aber nicht, eifrig nach vorteilhaften Heiratsverbindungen mit dieser anderen Welt zu streben und zur Erreichung dieses Zieles alle Hebel in Bewegung zu setzen.

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Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/52>, abgerufen am 22.11.2024.