Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905"Ja, der Arzt riet zu dieser Leibesübung, die mich entsetzt." "Nun es ist ja keine Gefahr dabei!" "Weiß man es? Es ist eben Mode. Alles will mit dem Rade herumfliegen. Welche Zeiten, welche Sitten!" "Wem sagen Sie das? Ich, die sie den ganzen Tag während des Unterrichtes plappern höre, muß mich taub stellen, um nicht die Lektionen in Vorträge über Moral zu verwandeln. Würden Sie glauben, daß Fräulein Alice Henneberg ihr neulich vorschlug, ein Wettrennen über dem Ringe zu veranstalten?" "Entsetzlich," rief Frau von Ellissen. "Dafür stehe ich gut: Stella's Dreirad wird nicht über die Grenzen des Parks hinauskommen. Ich habe ihr sogar ausdrücklich ein eigenes Kostüm verweigert, damit es ihr nicht eines schönen Morgens einfällt, mir durchzugehen. Und da sie hier niemand sehen kann, schaue ich geduldig zu. ... Sehen Sie, da kommt sie eben. Sie sieht doch wie eine Närrin aus - ihre Haare im Nacken zerzaust, ihre Füße ganz frei - ja, ihre Füße!" Vorgebeugt wie ein Professionswettfahrer, mit geröteten Wangen, kam Stella die Allee herab geradelt, „Ja, der Arzt riet zu dieser Leibesübung, die mich entsetzt.“ „Nun es ist ja keine Gefahr dabei!“ „Weiß man es? Es ist eben Mode. Alles will mit dem Rade herumfliegen. Welche Zeiten, welche Sitten!“ „Wem sagen Sie das? Ich, die sie den ganzen Tag während des Unterrichtes plappern höre, muß mich taub stellen, um nicht die Lektionen in Vorträge über Moral zu verwandeln. Würden Sie glauben, daß Fräulein Alice Henneberg ihr neulich vorschlug, ein Wettrennen über dem Ringe zu veranstalten?“ „Entsetzlich,“ rief Frau von Ellissen. „Dafür stehe ich gut: Stella’s Dreirad wird nicht über die Grenzen des Parks hinauskommen. Ich habe ihr sogar ausdrücklich ein eigenes Kostüm verweigert, damit es ihr nicht eines schönen Morgens einfällt, mir durchzugehen. Und da sie hier niemand sehen kann, schaue ich geduldig zu. … Sehen Sie, da kommt sie eben. Sie sieht doch wie eine Närrin aus – ihre Haare im Nacken zerzaust, ihre Füße ganz frei – ja, ihre Füße!“ Vorgebeugt wie ein Professionswettfahrer, mit geröteten Wangen, kam Stella die Allee herab geradelt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0038" n="37"/> <p>„Ja, der Arzt riet zu dieser Leibesübung, die mich entsetzt.“</p> <p>„Nun es ist ja keine Gefahr dabei!“</p> <p>„Weiß man es? Es ist eben Mode. Alles will mit dem Rade herumfliegen. Welche Zeiten, welche Sitten!“</p> <p>„Wem sagen Sie das? Ich, die sie den ganzen Tag während des Unterrichtes plappern höre, muß mich taub stellen, um nicht die Lektionen in Vorträge über Moral zu verwandeln. Würden Sie glauben, daß Fräulein Alice Henneberg ihr neulich vorschlug, ein Wettrennen über dem Ringe zu veranstalten?“</p> <p>„Entsetzlich,“ rief Frau von Ellissen. „Dafür stehe ich gut: Stella’s Dreirad wird nicht über die Grenzen des Parks hinauskommen. Ich habe ihr sogar ausdrücklich ein eigenes Kostüm verweigert, damit es ihr nicht eines schönen Morgens einfällt, mir durchzugehen. Und da sie hier niemand sehen kann, schaue ich geduldig zu. … Sehen Sie, da kommt sie eben. Sie sieht doch wie eine Närrin aus – ihre Haare im Nacken zerzaust, ihre Füße ganz frei – ja, ihre Füße!“</p> <p>Vorgebeugt wie ein Professionswettfahrer, mit geröteten Wangen, kam Stella die Allee herab geradelt, </p> </div> </body> </text> </TEI> [37/0038]
„Ja, der Arzt riet zu dieser Leibesübung, die mich entsetzt.“
„Nun es ist ja keine Gefahr dabei!“
„Weiß man es? Es ist eben Mode. Alles will mit dem Rade herumfliegen. Welche Zeiten, welche Sitten!“
„Wem sagen Sie das? Ich, die sie den ganzen Tag während des Unterrichtes plappern höre, muß mich taub stellen, um nicht die Lektionen in Vorträge über Moral zu verwandeln. Würden Sie glauben, daß Fräulein Alice Henneberg ihr neulich vorschlug, ein Wettrennen über dem Ringe zu veranstalten?“
„Entsetzlich,“ rief Frau von Ellissen. „Dafür stehe ich gut: Stella’s Dreirad wird nicht über die Grenzen des Parks hinauskommen. Ich habe ihr sogar ausdrücklich ein eigenes Kostüm verweigert, damit es ihr nicht eines schönen Morgens einfällt, mir durchzugehen. Und da sie hier niemand sehen kann, schaue ich geduldig zu. … Sehen Sie, da kommt sie eben. Sie sieht doch wie eine Närrin aus – ihre Haare im Nacken zerzaust, ihre Füße ganz frei – ja, ihre Füße!“
Vorgebeugt wie ein Professionswettfahrer, mit geröteten Wangen, kam Stella die Allee herab geradelt,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |