Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905es vorgezogen, die Scheiben zu zerbrechen; wie er will. Es ist doch natürlich, nicht wahr, wenn man das Gitter des Käfigs zerbricht, daß der Vogel davonfliegt. Das ist doch nur logisch. Mein einziges Bedauern ist der Kummer, den ich euch beiden bereite. Aber schließlich, es ist zu spat für alles ... da ich in den Armen eines Anderen sein werde. Also, meine Liebe, ich umarme dich und sage dir adieu, auf Wiedersehen, wenn der Zufall es so fügt. Stella." Mira stand stumm und totenblaß da. Da trat der Diener ein und reichte ihr auf einer kleinen Tasse ein Telegramm. Es enthielt nur die beiden Worte: "Kommen Sie! Fred." Herzzerreißend schrie das junge Weib auf: "Er ruft mich - - - das heißt, daß er stirbt!" Noch in derselben Nacht reiste Frau von Ellissen ab. Es war ihr unmöglich zu warten; wie verzweifelt stürzte sie sich in den nächsten Zug. Ihr ganzes Wesen konzentrierte sich auf diese eine Zeile, die sie in der nahenden Dämmerung noch lesen konnte. Unter den aufgetürmten Wolkenmassen glänzte noch ein grüngoldener Schein am Horizont. Dort war Fred, von dort aus rief er sie. es vorgezogen, die Scheiben zu zerbrechen; wie er will. Es ist doch natürlich, nicht wahr, wenn man das Gitter des Käfigs zerbricht, daß der Vogel davonfliegt. Das ist doch nur logisch. Mein einziges Bedauern ist der Kummer, den ich euch beiden bereite. Aber schließlich, es ist zu spat für alles … da ich in den Armen eines Anderen sein werde. Also, meine Liebe, ich umarme dich und sage dir adieu, auf Wiedersehen, wenn der Zufall es so fügt. Stella.“ Mira stand stumm und totenblaß da. Da trat der Diener ein und reichte ihr auf einer kleinen Tasse ein Telegramm. Es enthielt nur die beiden Worte: „Kommen Sie! Fred.“ Herzzerreißend schrie das junge Weib auf: „Er ruft mich – – – das heißt, daß er stirbt!“ Noch in derselben Nacht reiste Frau von Ellissen ab. Es war ihr unmöglich zu warten; wie verzweifelt stürzte sie sich in den nächsten Zug. Ihr ganzes Wesen konzentrierte sich auf diese eine Zeile, die sie in der nahenden Dämmerung noch lesen konnte. Unter den aufgetürmten Wolkenmassen glänzte noch ein grüngoldener Schein am Horizont. Dort war Fred, von dort aus rief er sie. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0277" n="276"/> es vorgezogen, die Scheiben zu zerbrechen; wie er will. Es ist doch natürlich, nicht wahr, wenn man das Gitter des Käfigs zerbricht, daß der Vogel davonfliegt. Das ist doch nur logisch. Mein einziges Bedauern ist der Kummer, den ich euch beiden bereite. Aber schließlich, es ist zu spat für alles … da ich in den Armen eines Anderen sein werde. Also, meine Liebe, ich umarme dich und sage dir adieu, auf Wiedersehen, wenn der Zufall es so fügt.</p> <p rendition="#right">Stella.“</p> <p>Mira stand stumm und totenblaß da. Da trat der Diener ein und reichte ihr auf einer kleinen Tasse ein Telegramm. Es enthielt nur die beiden Worte:</p> <p>„Kommen Sie!</p> <p rendition="#right">Fred.“</p> <p>Herzzerreißend schrie das junge Weib auf: „Er ruft mich – – – das heißt, daß er stirbt!“</p> <p>Noch in derselben Nacht reiste Frau von Ellissen ab. Es war ihr unmöglich zu warten; wie verzweifelt stürzte sie sich in den nächsten Zug. Ihr ganzes Wesen konzentrierte sich auf diese eine Zeile, die sie in der nahenden Dämmerung noch lesen konnte. Unter den aufgetürmten Wolkenmassen glänzte noch ein grüngoldener Schein am Horizont. Dort war Fred, von dort aus rief er sie.</p> </div> </body> </text> </TEI> [276/0277]
es vorgezogen, die Scheiben zu zerbrechen; wie er will. Es ist doch natürlich, nicht wahr, wenn man das Gitter des Käfigs zerbricht, daß der Vogel davonfliegt. Das ist doch nur logisch. Mein einziges Bedauern ist der Kummer, den ich euch beiden bereite. Aber schließlich, es ist zu spat für alles … da ich in den Armen eines Anderen sein werde. Also, meine Liebe, ich umarme dich und sage dir adieu, auf Wiedersehen, wenn der Zufall es so fügt.
Stella.“
Mira stand stumm und totenblaß da. Da trat der Diener ein und reichte ihr auf einer kleinen Tasse ein Telegramm. Es enthielt nur die beiden Worte:
„Kommen Sie!
Fred.“
Herzzerreißend schrie das junge Weib auf: „Er ruft mich – – – das heißt, daß er stirbt!“
Noch in derselben Nacht reiste Frau von Ellissen ab. Es war ihr unmöglich zu warten; wie verzweifelt stürzte sie sich in den nächsten Zug. Ihr ganzes Wesen konzentrierte sich auf diese eine Zeile, die sie in der nahenden Dämmerung noch lesen konnte. Unter den aufgetürmten Wolkenmassen glänzte noch ein grüngoldener Schein am Horizont. Dort war Fred, von dort aus rief er sie.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |