Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905Er ist ein liebenswürdiger und charmanter Kamerad, der mir gefällt, der mich unterhält und den ich mir bewahren werde. Da hast du die volle Wahrheit, und die bitte ich dich auch seiner alten mürrischen Mutter zu sagen. Auf Wiedersehen Mira! ..." Und so wie sie es gesagt hatte ging Stella zur Präfektur, wo Alice mit ihrem Manne wohnte. Stella kannte sie gut. Tückisch und falsch, wie Stella war, sehr nachgiebig, fähig sich entzückt zu zeigen und dabei die bösesten Hintergedanken zu haben, spielte sie seit lange dieses Spiel, und hielt es durch die Überlegenheit ihrer Kraft und ihres beherrschenden Willens auch aufrecht. Sie fühlte, daß Alice sich fürchtete, ohne jedoch noch zu wagen genau anzugeben wogegen sich ihre Befürchtigungen richteten. Naiv wie Alice übrigens war, ließ sie sich leicht überzeugen und war durch einen Rest romantischer Gefühle leicht in Rührung zu versetzen. Mit einem Herzenserguß war sie schnell zu erobern. Ihre Nerven gaben selbst bei einer banalen Umarmung, wenn diese nur mit der nötigen Leidenschaft ausgeführt wurde, so schnell nach, daß sie, wenn jemand ihr nur Liebe heuchelte, sich ihm ganz unterwarf. Er ist ein liebenswürdiger und charmanter Kamerad, der mir gefällt, der mich unterhält und den ich mir bewahren werde. Da hast du die volle Wahrheit, und die bitte ich dich auch seiner alten mürrischen Mutter zu sagen. Auf Wiedersehen Mira! …“ Und so wie sie es gesagt hatte ging Stella zur Präfektur, wo Alice mit ihrem Manne wohnte. Stella kannte sie gut. Tückisch und falsch, wie Stella war, sehr nachgiebig, fähig sich entzückt zu zeigen und dabei die bösesten Hintergedanken zu haben, spielte sie seit lange dieses Spiel, und hielt es durch die Überlegenheit ihrer Kraft und ihres beherrschenden Willens auch aufrecht. Sie fühlte, daß Alice sich fürchtete, ohne jedoch noch zu wagen genau anzugeben wogegen sich ihre Befürchtigungen richteten. Naiv wie Alice übrigens war, ließ sie sich leicht überzeugen und war durch einen Rest romantischer Gefühle leicht in Rührung zu versetzen. Mit einem Herzenserguß war sie schnell zu erobern. Ihre Nerven gaben selbst bei einer banalen Umarmung, wenn diese nur mit der nötigen Leidenschaft ausgeführt wurde, so schnell nach, daß sie, wenn jemand ihr nur Liebe heuchelte, sich ihm ganz unterwarf. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0225" n="224"/> Er ist ein liebenswürdiger und charmanter Kamerad, der mir gefällt, der mich unterhält und den ich mir bewahren werde. Da hast du die volle Wahrheit, und die bitte ich dich auch seiner alten mürrischen Mutter zu sagen. Auf Wiedersehen Mira! …“</p> <p>Und so wie sie es gesagt hatte ging Stella zur Präfektur, wo Alice mit ihrem Manne wohnte. Stella kannte sie gut. Tückisch und falsch, wie Stella war, sehr nachgiebig, fähig sich entzückt zu zeigen und dabei die bösesten Hintergedanken zu haben, spielte sie seit lange dieses Spiel, und hielt es durch die Überlegenheit ihrer Kraft und ihres beherrschenden Willens auch aufrecht. Sie fühlte, daß Alice sich fürchtete, ohne jedoch noch zu wagen genau anzugeben wogegen sich ihre Befürchtigungen richteten.</p> <p>Naiv wie Alice übrigens war, ließ sie sich leicht überzeugen und war durch einen Rest romantischer Gefühle leicht in Rührung zu versetzen. Mit einem Herzenserguß war sie schnell zu erobern. Ihre Nerven gaben selbst bei einer banalen Umarmung, wenn diese nur mit der nötigen Leidenschaft ausgeführt wurde, so schnell nach, daß sie, wenn jemand ihr nur Liebe heuchelte, sich ihm ganz unterwarf.</p> </div> </body> </text> </TEI> [224/0225]
Er ist ein liebenswürdiger und charmanter Kamerad, der mir gefällt, der mich unterhält und den ich mir bewahren werde. Da hast du die volle Wahrheit, und die bitte ich dich auch seiner alten mürrischen Mutter zu sagen. Auf Wiedersehen Mira! …“
Und so wie sie es gesagt hatte ging Stella zur Präfektur, wo Alice mit ihrem Manne wohnte. Stella kannte sie gut. Tückisch und falsch, wie Stella war, sehr nachgiebig, fähig sich entzückt zu zeigen und dabei die bösesten Hintergedanken zu haben, spielte sie seit lange dieses Spiel, und hielt es durch die Überlegenheit ihrer Kraft und ihres beherrschenden Willens auch aufrecht. Sie fühlte, daß Alice sich fürchtete, ohne jedoch noch zu wagen genau anzugeben wogegen sich ihre Befürchtigungen richteten.
Naiv wie Alice übrigens war, ließ sie sich leicht überzeugen und war durch einen Rest romantischer Gefühle leicht in Rührung zu versetzen. Mit einem Herzenserguß war sie schnell zu erobern. Ihre Nerven gaben selbst bei einer banalen Umarmung, wenn diese nur mit der nötigen Leidenschaft ausgeführt wurde, so schnell nach, daß sie, wenn jemand ihr nur Liebe heuchelte, sich ihm ganz unterwarf.
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Zitationshilfe: | Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/225>, abgerufen am 28.06.2024. |