Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905bewohnte, während es jetzt ihr dauernder Witwensitz geworden war. Dorthin kamen sie, nicht nur um materielle Hilfe zu suchen, sondern auch moralischen Halt, der öfter schon Revolten hintangehalten hatte. Denn diese freimütige Frau besaß die Gabe, schon allein durch ihre überquellende Güte zu beruhigen, zu versöhnen, Mißverständnisse zu beseitigen, den rechten Weg zu erkennen und jedem zu zeigen. Sie tat das alles ohne moralisierende Redensarten, ohne schöne Tiraden, ohne frömmelnde Predigten. Sozialistische Schlagworte waren ihr fremd, wie überhaupt ihr philosophisch ungeschultes Denken auch nicht den Schatten einer Theorie aufkommen ließ. Sie war eine ehrliche Natur, mit klarem Sinn für Recht und Unrecht, erfüllt von fast krankhafter Empfindsamkeit sodaß sie oft darunter litt, wenn ihre Seele von den vielen sie umgebenden Leid getroffen ward. Jeder Gedanke, jede Handlung Frau von Ellissen's hatten Quelle und Triebfeder in ihrem Herzen. Von etwas schwachem Charakter, besaß sie nur Kraft zur Liebe. Diese war, wie sie sagte, die Achse, die treibende Kraft, der Ausgangspunkt ihrer Lebensäußerungen, die allein das Räderwerk ihrer Maschine in Bewegung setzte. Dieses Bildes bediente sie sich, um den Arbeitern bewohnte, während es jetzt ihr dauernder Witwensitz geworden war. Dorthin kamen sie, nicht nur um materielle Hilfe zu suchen, sondern auch moralischen Halt, der öfter schon Revolten hintangehalten hatte. Denn diese freimütige Frau besaß die Gabe, schon allein durch ihre überquellende Güte zu beruhigen, zu versöhnen, Mißverständnisse zu beseitigen, den rechten Weg zu erkennen und jedem zu zeigen. Sie tat das alles ohne moralisierende Redensarten, ohne schöne Tiraden, ohne frömmelnde Predigten. Sozialistische Schlagworte waren ihr fremd, wie überhaupt ihr philosophisch ungeschultes Denken auch nicht den Schatten einer Theorie aufkommen ließ. Sie war eine ehrliche Natur, mit klarem Sinn für Recht und Unrecht, erfüllt von fast krankhafter Empfindsamkeit sodaß sie oft darunter litt, wenn ihre Seele von den vielen sie umgebenden Leid getroffen ward. Jeder Gedanke, jede Handlung Frau von Ellissen’s hatten Quelle und Triebfeder in ihrem Herzen. Von etwas schwachem Charakter, besaß sie nur Kraft zur Liebe. Diese war, wie sie sagte, die Achse, die treibende Kraft, der Ausgangspunkt ihrer Lebensäußerungen, die allein das Räderwerk ihrer Maschine in Bewegung setzte. Dieses Bildes bediente sie sich, um den Arbeitern <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015" n="14"/> bewohnte, während es jetzt ihr dauernder Witwensitz geworden war. Dorthin kamen sie, nicht nur um materielle Hilfe zu suchen, sondern auch moralischen Halt, der öfter schon Revolten hintangehalten hatte. Denn diese freimütige Frau besaß die Gabe, schon allein durch ihre überquellende Güte zu beruhigen, zu versöhnen, Mißverständnisse zu beseitigen, den rechten Weg zu erkennen und jedem zu zeigen. Sie tat das alles ohne moralisierende Redensarten, ohne schöne Tiraden, ohne frömmelnde Predigten. Sozialistische Schlagworte waren ihr fremd, wie überhaupt ihr philosophisch ungeschultes Denken auch nicht den Schatten einer Theorie aufkommen ließ. Sie war eine ehrliche Natur, mit klarem Sinn für Recht und Unrecht, erfüllt von fast krankhafter Empfindsamkeit sodaß sie oft darunter litt, wenn ihre Seele von den vielen sie umgebenden Leid getroffen ward. Jeder Gedanke, jede Handlung Frau von Ellissen’s hatten Quelle und Triebfeder in ihrem Herzen. Von etwas schwachem Charakter, besaß sie nur Kraft zur Liebe. Diese war, wie sie sagte, die Achse, die treibende Kraft, der Ausgangspunkt ihrer Lebensäußerungen, die allein das Räderwerk ihrer Maschine in Bewegung setzte. Dieses Bildes bediente sie sich, um den Arbeitern </p> </div> </body> </text> </TEI> [14/0015]
bewohnte, während es jetzt ihr dauernder Witwensitz geworden war. Dorthin kamen sie, nicht nur um materielle Hilfe zu suchen, sondern auch moralischen Halt, der öfter schon Revolten hintangehalten hatte. Denn diese freimütige Frau besaß die Gabe, schon allein durch ihre überquellende Güte zu beruhigen, zu versöhnen, Mißverständnisse zu beseitigen, den rechten Weg zu erkennen und jedem zu zeigen. Sie tat das alles ohne moralisierende Redensarten, ohne schöne Tiraden, ohne frömmelnde Predigten. Sozialistische Schlagworte waren ihr fremd, wie überhaupt ihr philosophisch ungeschultes Denken auch nicht den Schatten einer Theorie aufkommen ließ. Sie war eine ehrliche Natur, mit klarem Sinn für Recht und Unrecht, erfüllt von fast krankhafter Empfindsamkeit sodaß sie oft darunter litt, wenn ihre Seele von den vielen sie umgebenden Leid getroffen ward. Jeder Gedanke, jede Handlung Frau von Ellissen’s hatten Quelle und Triebfeder in ihrem Herzen. Von etwas schwachem Charakter, besaß sie nur Kraft zur Liebe. Diese war, wie sie sagte, die Achse, die treibende Kraft, der Ausgangspunkt ihrer Lebensäußerungen, die allein das Räderwerk ihrer Maschine in Bewegung setzte. Dieses Bildes bediente sie sich, um den Arbeitern
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Zitationshilfe: | Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/15>, abgerufen am 17.02.2025. |