Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905ihr dazu reserviert war, am Trapez, mit Handeln, am Reck, Übungen, die ihren Körper geschmeidig machten und entwickelten, ihn zur Äußerung einer Lebenskraft anspornten, deren Reflex auch in ihrem Intellekt zum Ausdruck kommen mußte. Der Versuch von Miß war eine Erholung für Frau von Ellissen, die durch Stellas stetes plötzliches Auftauchen fortwährend zusammenschreckte. Das junge Mädchen verfolgte sie durchs ganze Haus, als ob sie sie mit ihrer Gegenwart, mit ihrem Geplauder quälen wollte. "Kommen Sie schnell, Miß, ich habe Ihnen so viel zu sagen." Miß ahnte wohl, daß sich hinter der bleichen Stirne der jungen Frau ein großer Kummer verbarg. Schon lange fürchtete ihre verständige Freundschaft die traurige Stunde. Auch ohne Miras Geständnis ahnte sie das zärtliche Geheimnis, das sie wie eine Schuld verbarg. Sie wäre auch weiter gar nicht darüber erschrocken, da sie, die Reine, auch an die Reinheit der Liebe dieser beiden so vertrauten Wesen glaubte, hätte sie nicht Stellas despotischen Charakter gefürchtet. Sie sah einen Konflikt heraufbeschworen, ihr dazu reserviert war, am Trapez, mit Handeln, am Reck, Übungen, die ihren Körper geschmeidig machten und entwickelten, ihn zur Äußerung einer Lebenskraft anspornten, deren Reflex auch in ihrem Intellekt zum Ausdruck kommen mußte. Der Versuch von Miß war eine Erholung für Frau von Ellissen, die durch Stellas stetes plötzliches Auftauchen fortwährend zusammenschreckte. Das junge Mädchen verfolgte sie durchs ganze Haus, als ob sie sie mit ihrer Gegenwart, mit ihrem Geplauder quälen wollte. „Kommen Sie schnell, Miß, ich habe Ihnen so viel zu sagen.“ Miß ahnte wohl, daß sich hinter der bleichen Stirne der jungen Frau ein großer Kummer verbarg. Schon lange fürchtete ihre verständige Freundschaft die traurige Stunde. Auch ohne Miras Geständnis ahnte sie das zärtliche Geheimnis, das sie wie eine Schuld verbarg. Sie wäre auch weiter gar nicht darüber erschrocken, da sie, die Reine, auch an die Reinheit der Liebe dieser beiden so vertrauten Wesen glaubte, hätte sie nicht Stellas despotischen Charakter gefürchtet. Sie sah einen Konflikt heraufbeschworen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0140" n="139"/> ihr dazu reserviert war, am Trapez, mit Handeln, am Reck, Übungen, die ihren Körper geschmeidig machten und entwickelten, ihn zur Äußerung einer Lebenskraft anspornten, deren Reflex auch in ihrem Intellekt zum Ausdruck kommen mußte.</p> <p>Der Versuch von Miß war eine Erholung für Frau von Ellissen, die durch Stellas stetes plötzliches Auftauchen fortwährend zusammenschreckte. Das junge Mädchen verfolgte sie durchs ganze Haus, als ob sie sie mit ihrer Gegenwart, mit ihrem Geplauder quälen wollte.</p> <p>„Kommen Sie schnell, Miß, ich habe Ihnen so viel zu sagen.“</p> <p>Miß ahnte wohl, daß sich hinter der bleichen Stirne der jungen Frau ein großer Kummer verbarg. Schon lange fürchtete ihre verständige Freundschaft die traurige Stunde. Auch ohne Miras Geständnis ahnte sie das zärtliche Geheimnis, das sie wie eine Schuld verbarg. Sie wäre auch weiter gar nicht darüber erschrocken, da sie, die Reine, auch an die Reinheit der Liebe dieser beiden so vertrauten Wesen glaubte, hätte sie nicht Stellas despotischen Charakter gefürchtet. Sie sah einen Konflikt heraufbeschworen, </p> </div> </body> </text> </TEI> [139/0140]
ihr dazu reserviert war, am Trapez, mit Handeln, am Reck, Übungen, die ihren Körper geschmeidig machten und entwickelten, ihn zur Äußerung einer Lebenskraft anspornten, deren Reflex auch in ihrem Intellekt zum Ausdruck kommen mußte.
Der Versuch von Miß war eine Erholung für Frau von Ellissen, die durch Stellas stetes plötzliches Auftauchen fortwährend zusammenschreckte. Das junge Mädchen verfolgte sie durchs ganze Haus, als ob sie sie mit ihrer Gegenwart, mit ihrem Geplauder quälen wollte.
„Kommen Sie schnell, Miß, ich habe Ihnen so viel zu sagen.“
Miß ahnte wohl, daß sich hinter der bleichen Stirne der jungen Frau ein großer Kummer verbarg. Schon lange fürchtete ihre verständige Freundschaft die traurige Stunde. Auch ohne Miras Geständnis ahnte sie das zärtliche Geheimnis, das sie wie eine Schuld verbarg. Sie wäre auch weiter gar nicht darüber erschrocken, da sie, die Reine, auch an die Reinheit der Liebe dieser beiden so vertrauten Wesen glaubte, hätte sie nicht Stellas despotischen Charakter gefürchtet. Sie sah einen Konflikt heraufbeschworen,
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