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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Petri Busse.
mit dir ins Gefängniß und in den Tod zu gehen.
Nun glaubte er, jeder, der ihn ansichtig würde, würde ihm
wegen seiner Untreue, und wegen seiner Wankelmuth
Vorwürfe machen: jeder Rechtschaffene würde ihn mit
Abscheu betrachten, und seinen Umgang vermeiden. --
Ach, wie weit bin ich noch von dieser Gesinnung entfer-
net! Vielleicht kann ich ohne Schaam, ohne Reue, oh-
ne Traurigkeit meine Mißhandlung ausüben? Vielleicht
breitet sich nicht einmal eine Schamröthe auf meinem Ge-
sicht aus, wenn ich Spöttereyen, Zoten, Verläumdun-
gen, Lügen rede, oder sie von andern anhore? Viel-
leicht setze ich eine Ehre darinn, nach dem herrschenden Ge-
schmack meines verderbten Zeitalters gesinnet zu seyn?
Doch nein: so tief bin ich noch nicht gefallen, so fühllos
ist mein Herz noch nicht worden. Ich bin es mir wohl
bewußt, daß ich mich gegen Gott verschuldet habe, und ich
bin nicht schamlos, wenn mir mein Gewissen oder mein
Freund meine Fehler entdeckt. Aber warum sind mir den-
noch die Sünden, deren ich mich schämen muß, so ange-
nehm? -- Ach Gott, du kennest meine Thorheit. Zer-
knirsche mein Herz, und demüthige meinen stolzen Geist.

Der gefallene Petrus, der bisher ohne Thränen sei-
nen Meister verläugnen, ohne Thränen dessen Schmach
betrachten konnte, fühlte nun plötzlich die gewaltigste Er-
schütterung seines Herzens, die seine Augen zu Thränen-
quellen machte. Er weinte bitterlich. Dies war die er-
ste Erleichterung, die seine beklommene Seele fand, und
zugleich die erste Wirkung von der göttlichen Kraft des
Blickes Jesu. Sein Herz war gegen die Anklagen seines
Gewissens nicht verhärtet. Er fühlte ganz die Grösse
seiner Versündigung, und gerieth über dieselbe in die hef-
tigste Unruhe. -- Auch ich, auch ich müsse weinen, bit-
terlich müsse ich weinen, wenn ich an meine Fehltritte

ge-

Petri Buſſe.
mit dir ins Gefängniß und in den Tod zu gehen.
Nun glaubte er, jeder, der ihn anſichtig würde, würde ihm
wegen ſeiner Untreue, und wegen ſeiner Wankelmuth
Vorwürfe machen: jeder Rechtſchaffene würde ihn mit
Abſcheu betrachten, und ſeinen Umgang vermeiden. —
Ach, wie weit bin ich noch von dieſer Geſinnung entfer-
net! Vielleicht kann ich ohne Schaam, ohne Reue, oh-
ne Traurigkeit meine Mißhandlung ausüben? Vielleicht
breitet ſich nicht einmal eine Schamröthe auf meinem Ge-
ſicht aus, wenn ich Spöttereyen, Zoten, Verläumdun-
gen, Lügen rede, oder ſie von andern anhore? Viel-
leicht ſetze ich eine Ehre darinn, nach dem herrſchenden Ge-
ſchmack meines verderbten Zeitalters geſinnet zu ſeyn?
Doch nein: ſo tief bin ich noch nicht gefallen, ſo fühllos
iſt mein Herz noch nicht worden. Ich bin es mir wohl
bewußt, daß ich mich gegen Gott verſchuldet habe, und ich
bin nicht ſchamlos, wenn mir mein Gewiſſen oder mein
Freund meine Fehler entdeckt. Aber warum ſind mir den-
noch die Sünden, deren ich mich ſchämen muß, ſo ange-
nehm? — Ach Gott, du kenneſt meine Thorheit. Zer-
knirſche mein Herz, und demüthige meinen ſtolzen Geiſt.

Der gefallene Petrus, der bisher ohne Thränen ſei-
nen Meiſter verläugnen, ohne Thränen deſſen Schmach
betrachten konnte, fühlte nun plötzlich die gewaltigſte Er-
ſchütterung ſeines Herzens, die ſeine Augen zu Thränen-
quellen machte. Er weinte bitterlich. Dies war die er-
ſte Erleichterung, die ſeine beklommene Seele fand, und
zugleich die erſte Wirkung von der göttlichen Kraft des
Blickes Jeſu. Sein Herz war gegen die Anklagen ſeines
Gewiſſens nicht verhärtet. Er fühlte ganz die Gröſſe
ſeiner Verſündigung, und gerieth über dieſelbe in die hef-
tigſte Unruhe. — Auch ich, auch ich müſſe weinen, bit-
terlich müſſe ich weinen, wenn ich an meine Fehltritte

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[77/0099] Petri Buſſe. mit dir ins Gefängniß und in den Tod zu gehen. Nun glaubte er, jeder, der ihn anſichtig würde, würde ihm wegen ſeiner Untreue, und wegen ſeiner Wankelmuth Vorwürfe machen: jeder Rechtſchaffene würde ihn mit Abſcheu betrachten, und ſeinen Umgang vermeiden. — Ach, wie weit bin ich noch von dieſer Geſinnung entfer- net! Vielleicht kann ich ohne Schaam, ohne Reue, oh- ne Traurigkeit meine Mißhandlung ausüben? Vielleicht breitet ſich nicht einmal eine Schamröthe auf meinem Ge- ſicht aus, wenn ich Spöttereyen, Zoten, Verläumdun- gen, Lügen rede, oder ſie von andern anhore? Viel- leicht ſetze ich eine Ehre darinn, nach dem herrſchenden Ge- ſchmack meines verderbten Zeitalters geſinnet zu ſeyn? Doch nein: ſo tief bin ich noch nicht gefallen, ſo fühllos iſt mein Herz noch nicht worden. Ich bin es mir wohl bewußt, daß ich mich gegen Gott verſchuldet habe, und ich bin nicht ſchamlos, wenn mir mein Gewiſſen oder mein Freund meine Fehler entdeckt. Aber warum ſind mir den- noch die Sünden, deren ich mich ſchämen muß, ſo ange- nehm? — Ach Gott, du kenneſt meine Thorheit. Zer- knirſche mein Herz, und demüthige meinen ſtolzen Geiſt. Der gefallene Petrus, der bisher ohne Thränen ſei- nen Meiſter verläugnen, ohne Thränen deſſen Schmach betrachten konnte, fühlte nun plötzlich die gewaltigſte Er- ſchütterung ſeines Herzens, die ſeine Augen zu Thränen- quellen machte. Er weinte bitterlich. Dies war die er- ſte Erleichterung, die ſeine beklommene Seele fand, und zugleich die erſte Wirkung von der göttlichen Kraft des Blickes Jeſu. Sein Herz war gegen die Anklagen ſeines Gewiſſens nicht verhärtet. Er fühlte ganz die Gröſſe ſeiner Verſündigung, und gerieth über dieſelbe in die hef- tigſte Unruhe. — Auch ich, auch ich müſſe weinen, bit- terlich müſſe ich weinen, wenn ich an meine Fehltritte ge-

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/99>, abgerufen am 24.11.2024.