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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Eilfte Betrachtung.
bisher mir fürchterlich war, eine andre Gestalt. Mein
mühseliges Leben wird ein Weg zur Vollendung; die Ge-
fahren, welche mir drohen, werden Mittel zur Bevestigung
meines Glaubens; der Tag meines Todes wird der Tag
meiner Erlösung; und die Verwesung meines Leibes ist
eine Zubereitung auf die künftige Verklärung. Von die-
ser Seite betrachtet, verlieren alle Dinge das Schreckliche,
welches sich bisher dabey befand. Erweckt mein Unver-
mögen, meine Hülflosigkeit Furcht: wie stark kann ich
werden, wenn ich mir an der Gnade Jesu genügen lasse!
Ist endlich die Gewalt des Sinnlichen eine Ursache mei-
ner bangen Furcht, wie getrost kann mich die gewisse Hof-
nung der unsichtbaren Güter machen, welche mir im Him-
mel aufbehalten sind, und deren ich durch das Leiden mei-
nes Jesu versichert werde.

Allein es ist auch zu meiner Sicherheit nothwendig,
daß ich auf eine behutsame Weise furchtsam bin, und mich
zum voraus auf gewisse Leiden zubereite, die mich etwa tref-
fen können. Hätte Petrus die Zufälle überdacht, die sei-
nen Muth etwa entkräften konnten, hätte er mehr Miß-
trauen in seine Kräfte gesetzt, so würde er nicht so leicht
von der Versuchung überwältiget worden seyn. Alle Leiden
werden blos dadurch so fürchterlich und nachtheilig, weil
sie uns unvermuthet überfallen. Es würde für mich
recht gut seyn, wenn ich mir mitten bey meinen Ergötz-
lichkeiten, bey meinem Glück, bey meiner Ruhe die Fälle,
die mich betreffen können, vorstellte, und mich mit fol-
genden Betrachtungen unterhielte: ich bin jetzt ruhig und
sorgenleer; wie bald kann aber die Stunde da seyn,
wo Unruhe und Kummer meine ganze Seele einnimmt.
Ich bin jetzt getrost und muthig, allen Anfällen Wider-
stand zu thun; allein wie leicht kann eine Prüfung da
seyn, die mich niederschlägt und verzagt macht. Jetzt

lie-

Eilfte Betrachtung.
bisher mir fürchterlich war, eine andre Geſtalt. Mein
mühſeliges Leben wird ein Weg zur Vollendung; die Ge-
fahren, welche mir drohen, werden Mittel zur Beveſtigung
meines Glaubens; der Tag meines Todes wird der Tag
meiner Erlöſung; und die Verweſung meines Leibes iſt
eine Zubereitung auf die künftige Verklärung. Von die-
ſer Seite betrachtet, verlieren alle Dinge das Schreckliche,
welches ſich bisher dabey befand. Erweckt mein Unver-
mögen, meine Hülfloſigkeit Furcht: wie ſtark kann ich
werden, wenn ich mir an der Gnade Jeſu genügen laſſe!
Iſt endlich die Gewalt des Sinnlichen eine Urſache mei-
ner bangen Furcht, wie getroſt kann mich die gewiſſe Hof-
nung der unſichtbaren Güter machen, welche mir im Him-
mel aufbehalten ſind, und deren ich durch das Leiden mei-
nes Jeſu verſichert werde.

Allein es iſt auch zu meiner Sicherheit nothwendig,
daß ich auf eine behutſame Weiſe furchtſam bin, und mich
zum voraus auf gewiſſe Leiden zubereite, die mich etwa tref-
fen können. Hätte Petrus die Zufälle überdacht, die ſei-
nen Muth etwa entkräften konnten, hätte er mehr Miß-
trauen in ſeine Kräfte geſetzt, ſo würde er nicht ſo leicht
von der Verſuchung überwältiget worden ſeyn. Alle Leiden
werden blos dadurch ſo fürchterlich und nachtheilig, weil
ſie uns unvermuthet überfallen. Es würde für mich
recht gut ſeyn, wenn ich mir mitten bey meinen Ergötz-
lichkeiten, bey meinem Glück, bey meiner Ruhe die Fälle,
die mich betreffen können, vorſtellte, und mich mit fol-
genden Betrachtungen unterhielte: ich bin jetzt ruhig und
ſorgenleer; wie bald kann aber die Stunde da ſeyn,
wo Unruhe und Kummer meine ganze Seele einnimmt.
Ich bin jetzt getroſt und muthig, allen Anfällen Wider-
ſtand zu thun; allein wie leicht kann eine Prüfung da
ſeyn, die mich niederſchlägt und verzagt macht. Jetzt

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[56/0078] Eilfte Betrachtung. bisher mir fürchterlich war, eine andre Geſtalt. Mein mühſeliges Leben wird ein Weg zur Vollendung; die Ge- fahren, welche mir drohen, werden Mittel zur Beveſtigung meines Glaubens; der Tag meines Todes wird der Tag meiner Erlöſung; und die Verweſung meines Leibes iſt eine Zubereitung auf die künftige Verklärung. Von die- ſer Seite betrachtet, verlieren alle Dinge das Schreckliche, welches ſich bisher dabey befand. Erweckt mein Unver- mögen, meine Hülfloſigkeit Furcht: wie ſtark kann ich werden, wenn ich mir an der Gnade Jeſu genügen laſſe! Iſt endlich die Gewalt des Sinnlichen eine Urſache mei- ner bangen Furcht, wie getroſt kann mich die gewiſſe Hof- nung der unſichtbaren Güter machen, welche mir im Him- mel aufbehalten ſind, und deren ich durch das Leiden mei- nes Jeſu verſichert werde. Allein es iſt auch zu meiner Sicherheit nothwendig, daß ich auf eine behutſame Weiſe furchtſam bin, und mich zum voraus auf gewiſſe Leiden zubereite, die mich etwa tref- fen können. Hätte Petrus die Zufälle überdacht, die ſei- nen Muth etwa entkräften konnten, hätte er mehr Miß- trauen in ſeine Kräfte geſetzt, ſo würde er nicht ſo leicht von der Verſuchung überwältiget worden ſeyn. Alle Leiden werden blos dadurch ſo fürchterlich und nachtheilig, weil ſie uns unvermuthet überfallen. Es würde für mich recht gut ſeyn, wenn ich mir mitten bey meinen Ergötz- lichkeiten, bey meinem Glück, bey meiner Ruhe die Fälle, die mich betreffen können, vorſtellte, und mich mit fol- genden Betrachtungen unterhielte: ich bin jetzt ruhig und ſorgenleer; wie bald kann aber die Stunde da ſeyn, wo Unruhe und Kummer meine ganze Seele einnimmt. Ich bin jetzt getroſt und muthig, allen Anfällen Wider- ſtand zu thun; allein wie leicht kann eine Prüfung da ſeyn, die mich niederſchlägt und verzagt macht. Jetzt lie-

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/78>, abgerufen am 24.11.2024.