Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweyter Abschnitt.
Praktische Anmerkungen.

1. Wie vieler Mittel bedient sich Gott, den Sünder heilsam
zu erschrecken und zum Nachdenken zu bringen! Aber wie oft
werden die Absichten Gottes aus Schuld des Sünders vereitelt!

2. Jesus empfand an der Stelle der Menschen das Elend in
seiner unendlichen Grösse, welches in der Verlassung von Gott
besteht, und erwarb dadurch die Gnade seines Vaters.

3. Jesus verlohr auch unter dem empfindlichsten Leiden nicht
im geringsten die Liebe und das Zutrauen zu seinem himmlischen
Vater. Ich will daher in aller Noth ihn feste halten.

4. Wie groß muß der Haß Gottes gegen die Sünde seyn, da
Jesus um derselben willen so sehr gemartert und zerschlagen ist!

5. Da Jesus, der geliebte Sohn des Vaters, verlassen wur-
de, wie kann es mir fremde dünken, wenn ich Stunden erlebe,
worinn mir nach Trost und Hülfe bange ist?

6. Der am Kreuze verlassene Jesus sey mein Trost gegen alle
Widerwärtigkeiten des Lebens, gegen die Furcht des Todes, und
gegen die Schrecken des Grabes!

7. Diejenigen, die Jesum in seiner grossen Angst verspotteten,
sind ein verabscheuungswürdiges Bild von der Denkungsart und
Bosheit der heutigen Religionsspötter.

48. Durst und Tränkung Jesu.

Von diesem Augenblicke an nahm die tödtliche Ent-
kräftung Jesu sichtbar zu. Er wußte, daß nun beynahe
alles, was von ihm geweissaget worden war, in Erfüllung
gegangen. Nur fehlte noch vor seinem Tode, daß er, nach
der Weissagung des zwey und zwanzigsten Psalms, sei-
nen Durst zu erkennen gäbe. Auch dis erfüllte er dadurch,
da er ausrief: Mich dürstet. Die Soldaten, welche
um das Kreuz standen, machten sogleich Anstalt, ihn zu
tränken. Es stand ein Gefäß in der Nähe, worinn Wein-
eßig, der Trank der Soldaten, aufbehalten war. Man
füllte einen Schwamm mit diesem Getränk an, und reichte
ihn Jesu an einem Ysopenstengel dar. Auch dieser Umstand

gab
Zweyter Abſchnitt.
Praktiſche Anmerkungen.

1. Wie vieler Mittel bedient ſich Gott, den Sünder heilſam
zu erſchrecken und zum Nachdenken zu bringen! Aber wie oft
werden die Abſichten Gottes aus Schuld des Sünders vereitelt!

2. Jeſus empfand an der Stelle der Menſchen das Elend in
ſeiner unendlichen Gröſſe, welches in der Verlaſſung von Gott
beſteht, und erwarb dadurch die Gnade ſeines Vaters.

3. Jeſus verlohr auch unter dem empfindlichſten Leiden nicht
im geringſten die Liebe und das Zutrauen zu ſeinem himmliſchen
Vater. Ich will daher in aller Noth ihn feſte halten.

4. Wie groß muß der Haß Gottes gegen die Sünde ſeyn, da
Jeſus um derſelben willen ſo ſehr gemartert und zerſchlagen iſt!

5. Da Jeſus, der geliebte Sohn des Vaters, verlaſſen wur-
de, wie kann es mir fremde dünken, wenn ich Stunden erlebe,
worinn mir nach Troſt und Hülfe bange iſt?

6. Der am Kreuze verlaſſene Jeſus ſey mein Troſt gegen alle
Widerwärtigkeiten des Lebens, gegen die Furcht des Todes, und
gegen die Schrecken des Grabes!

7. Diejenigen, die Jeſum in ſeiner groſſen Angſt verſpotteten,
ſind ein verabſcheuungswürdiges Bild von der Denkungsart und
Bosheit der heutigen Religionsſpötter.

48. Durſt und Tränkung Jeſu.

Von dieſem Augenblicke an nahm die tödtliche Ent-
kräftung Jeſu ſichtbar zu. Er wußte, daß nun beynahe
alles, was von ihm geweiſſaget worden war, in Erfüllung
gegangen. Nur fehlte noch vor ſeinem Tode, daß er, nach
der Weiſſagung des zwey und zwanzigſten Pſalms, ſei-
nen Durſt zu erkennen gäbe. Auch dis erfüllte er dadurch,
da er ausrief: Mich dürſtet. Die Soldaten, welche
um das Kreuz ſtanden, machten ſogleich Anſtalt, ihn zu
tränken. Es ſtand ein Gefäß in der Nähe, worinn Wein-
eßig, der Trank der Soldaten, aufbehalten war. Man
füllte einen Schwamm mit dieſem Getränk an, und reichte
ihn Jeſu an einem Yſopenſtengel dar. Auch dieſer Umſtand

gab
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0304" n="282"/>
            <fw place="top" type="header">Zweyter Ab&#x017F;chnitt.</fw><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#fr">Prakti&#x017F;che Anmerkungen.</hi> </head><lb/>
              <p>1. Wie vieler Mittel bedient &#x017F;ich Gott, den Sünder heil&#x017F;am<lb/>
zu er&#x017F;chrecken und zum Nachdenken zu bringen! Aber wie oft<lb/>
werden die Ab&#x017F;ichten Gottes aus Schuld des Sünders vereitelt!</p><lb/>
              <p>2. Je&#x017F;us empfand an der Stelle der Men&#x017F;chen das Elend in<lb/>
&#x017F;einer unendlichen Grö&#x017F;&#x017F;e, welches in der Verla&#x017F;&#x017F;ung von Gott<lb/>
be&#x017F;teht, und erwarb dadurch die Gnade &#x017F;eines Vaters.</p><lb/>
              <p>3. Je&#x017F;us verlohr auch unter dem empfindlich&#x017F;ten Leiden nicht<lb/>
im gering&#x017F;ten die Liebe und das Zutrauen zu &#x017F;einem himmli&#x017F;chen<lb/>
Vater. Ich will daher in aller Noth ihn fe&#x017F;te halten.</p><lb/>
              <p>4. Wie groß muß der Haß Gottes gegen die Sünde &#x017F;eyn, da<lb/>
Je&#x017F;us um der&#x017F;elben willen &#x017F;o &#x017F;ehr gemartert und zer&#x017F;chlagen i&#x017F;t!</p><lb/>
              <p>5. Da Je&#x017F;us, der geliebte Sohn des Vaters, verla&#x017F;&#x017F;en wur-<lb/>
de, wie kann es mir fremde dünken, wenn ich Stunden erlebe,<lb/>
worinn mir nach Tro&#x017F;t und Hülfe bange i&#x017F;t?</p><lb/>
              <p>6. Der am Kreuze verla&#x017F;&#x017F;ene Je&#x017F;us &#x017F;ey mein Tro&#x017F;t gegen alle<lb/>
Widerwärtigkeiten des Lebens, gegen die Furcht des Todes, und<lb/>
gegen die Schrecken des Grabes!</p><lb/>
              <p>7. Diejenigen, die Je&#x017F;um in &#x017F;einer gro&#x017F;&#x017F;en Ang&#x017F;t ver&#x017F;potteten,<lb/>
&#x017F;ind ein verab&#x017F;cheuungswürdiges Bild von der Denkungsart und<lb/>
Bosheit der heutigen Religions&#x017F;pötter.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>48. Dur&#x017F;t und Tränkung Je&#x017F;u.</head><lb/>
            <p>Von die&#x017F;em Augenblicke an nahm die tödtliche Ent-<lb/>
kräftung Je&#x017F;u &#x017F;ichtbar zu. Er wußte, daß nun beynahe<lb/>
alles, was von ihm gewei&#x017F;&#x017F;aget worden war, in Erfüllung<lb/>
gegangen. Nur fehlte noch vor &#x017F;einem Tode, daß er, nach<lb/>
der Wei&#x017F;&#x017F;agung des zwey und zwanzig&#x017F;ten P&#x017F;alms, &#x017F;ei-<lb/>
nen Dur&#x017F;t zu erkennen gäbe. Auch dis erfüllte er dadurch,<lb/>
da er ausrief: <hi rendition="#fr">Mich dür&#x017F;tet.</hi> Die Soldaten, welche<lb/>
um das Kreuz &#x017F;tanden, machten &#x017F;ogleich An&#x017F;talt, ihn zu<lb/>
tränken. Es &#x017F;tand ein Gefäß in der Nähe, worinn Wein-<lb/>
eßig, der Trank der Soldaten, aufbehalten war. Man<lb/>
füllte einen Schwamm mit die&#x017F;em Getränk an, und reichte<lb/>
ihn Je&#x017F;u an einem Y&#x017F;open&#x017F;tengel dar. Auch die&#x017F;er Um&#x017F;tand<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gab</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0304] Zweyter Abſchnitt. Praktiſche Anmerkungen. 1. Wie vieler Mittel bedient ſich Gott, den Sünder heilſam zu erſchrecken und zum Nachdenken zu bringen! Aber wie oft werden die Abſichten Gottes aus Schuld des Sünders vereitelt! 2. Jeſus empfand an der Stelle der Menſchen das Elend in ſeiner unendlichen Gröſſe, welches in der Verlaſſung von Gott beſteht, und erwarb dadurch die Gnade ſeines Vaters. 3. Jeſus verlohr auch unter dem empfindlichſten Leiden nicht im geringſten die Liebe und das Zutrauen zu ſeinem himmliſchen Vater. Ich will daher in aller Noth ihn feſte halten. 4. Wie groß muß der Haß Gottes gegen die Sünde ſeyn, da Jeſus um derſelben willen ſo ſehr gemartert und zerſchlagen iſt! 5. Da Jeſus, der geliebte Sohn des Vaters, verlaſſen wur- de, wie kann es mir fremde dünken, wenn ich Stunden erlebe, worinn mir nach Troſt und Hülfe bange iſt? 6. Der am Kreuze verlaſſene Jeſus ſey mein Troſt gegen alle Widerwärtigkeiten des Lebens, gegen die Furcht des Todes, und gegen die Schrecken des Grabes! 7. Diejenigen, die Jeſum in ſeiner groſſen Angſt verſpotteten, ſind ein verabſcheuungswürdiges Bild von der Denkungsart und Bosheit der heutigen Religionsſpötter. 48. Durſt und Tränkung Jeſu. Von dieſem Augenblicke an nahm die tödtliche Ent- kräftung Jeſu ſichtbar zu. Er wußte, daß nun beynahe alles, was von ihm geweiſſaget worden war, in Erfüllung gegangen. Nur fehlte noch vor ſeinem Tode, daß er, nach der Weiſſagung des zwey und zwanzigſten Pſalms, ſei- nen Durſt zu erkennen gäbe. Auch dis erfüllte er dadurch, da er ausrief: Mich dürſtet. Die Soldaten, welche um das Kreuz ſtanden, machten ſogleich Anſtalt, ihn zu tränken. Es ſtand ein Gefäß in der Nähe, worinn Wein- eßig, der Trank der Soldaten, aufbehalten war. Man füllte einen Schwamm mit dieſem Getränk an, und reichte ihn Jeſu an einem Yſopenſtengel dar. Auch dieſer Umſtand gab

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/304
Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/304>, abgerufen am 23.11.2024.