6. Lasset uns mit Jesu hinausgehen ausser dem Lager und seine Schmach tragen.
38. Rede Christi auf dem Wege nach Golgatha.
Auf dem Wege nach Golgatha wurde Jesus von ei- ner grossen Menge Menschen begleitet. Einige derselben wollten seine Hinrichtung aus Neugier ansehen; einige aber folgten ihm aus Achtung und Liebe nach. Unter diefer Anzahl befanden sich auch einige Frauenspersonen, die Je- sum beklagten, an ihre Brust schlugen und sein Schicksal beweinten. Bey den meisten war dis blos eine Regung der Menschlichkeit, und nur wenige erkannten ihn als den Meßias und glaubten an ihn. Jesus wandte sich zu ih- nen um und sprach: Ihr Töchter von Jerusalem, weinet nicht sowohl über mich, als vielmehr über euch selbst und über eure Kinder. Denn ich versichre euch, nach wenigen Jahren wird eine so trübsalvolle Zeit über euch einbrechen, wo man die Mütter glücklich preisen wird, die nie Kinder gebohren und gesäugt haben. Denn werdet ihr in den Hölen auf Bergen und Felsen euch zu verbergen suchen, und es vor ein Glück halten, wenn sie über euch zusammen fallen und eures Lebens ein Ende machen. Denn wenn frisches Holz abgehauen wird, wie vielmehr wird man dürre und unfruchtbare Bäume wegneh- men und ins Feuer werfen! Wenn man mich, den Unschuldigsten, zu einer solchen Marter überantwor- tet, wie wird es euch ergehen, deren Verschuldung so schwer ist?
Praktische Anmerkungen.
1. Wie unlauter sind die Absichten vieler Christen bey der Be- trachtung des Leidens Jesu! Wie wenige empfinden dasjenige dabey, was eigentlich die Hauptsache desselben ausmacht!
2. Jesus
Zweyter Abſchnitt.
6. Laſſet uns mit Jeſu hinausgehen auſſer dem Lager und ſeine Schmach tragen.
38. Rede Chriſti auf dem Wege nach Golgatha.
Auf dem Wege nach Golgatha wurde Jeſus von ei- ner groſſen Menge Menſchen begleitet. Einige derſelben wollten ſeine Hinrichtung aus Neugier anſehen; einige aber folgten ihm aus Achtung und Liebe nach. Unter diefer Anzahl befanden ſich auch einige Frauensperſonen, die Je- ſum beklagten, an ihre Bruſt ſchlugen und ſein Schickſal beweinten. Bey den meiſten war dis blos eine Regung der Menſchlichkeit, und nur wenige erkannten ihn als den Meßias und glaubten an ihn. Jeſus wandte ſich zu ih- nen um und ſprach: Ihr Töchter von Jeruſalem, weinet nicht ſowohl über mich, als vielmehr über euch ſelbſt und über eure Kinder. Denn ich verſichre euch, nach wenigen Jahren wird eine ſo trübſalvolle Zeit über euch einbrechen, wo man die Mütter glücklich preiſen wird, die nie Kinder gebohren und geſäugt haben. Denn werdet ihr in den Hölen auf Bergen und Felſen euch zu verbergen ſuchen, und es vor ein Glück halten, wenn ſie über euch zuſammen fallen und eures Lebens ein Ende machen. Denn wenn friſches Holz abgehauen wird, wie vielmehr wird man dürre und unfruchtbare Bäume wegneh- men und ins Feuer werfen! Wenn man mich, den Unſchuldigſten, zu einer ſolchen Marter überantwor- tet, wie wird es euch ergehen, deren Verſchuldung ſo ſchwer iſt?
Praktiſche Anmerkungen.
1. Wie unlauter ſind die Abſichten vieler Chriſten bey der Be- trachtung des Leidens Jeſu! Wie wenige empfinden dasjenige dabey, was eigentlich die Hauptſache deſſelben ausmacht!
2. Jeſus
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Zweyter Abſchnitt.
6. Laſſet uns mit Jeſu hinausgehen auſſer dem Lager und ſeine
Schmach tragen.
38. Rede Chriſti auf dem Wege nach Golgatha.
Auf dem Wege nach Golgatha wurde Jeſus von ei-
ner groſſen Menge Menſchen begleitet. Einige derſelben
wollten ſeine Hinrichtung aus Neugier anſehen; einige aber
folgten ihm aus Achtung und Liebe nach. Unter diefer
Anzahl befanden ſich auch einige Frauensperſonen, die Je-
ſum beklagten, an ihre Bruſt ſchlugen und ſein Schickſal
beweinten. Bey den meiſten war dis blos eine Regung
der Menſchlichkeit, und nur wenige erkannten ihn als den
Meßias und glaubten an ihn. Jeſus wandte ſich zu ih-
nen um und ſprach: Ihr Töchter von Jeruſalem,
weinet nicht ſowohl über mich, als vielmehr über
euch ſelbſt und über eure Kinder. Denn ich verſichre
euch, nach wenigen Jahren wird eine ſo trübſalvolle
Zeit über euch einbrechen, wo man die Mütter
glücklich preiſen wird, die nie Kinder gebohren und
geſäugt haben. Denn werdet ihr in den Hölen auf
Bergen und Felſen euch zu verbergen ſuchen, und es
vor ein Glück halten, wenn ſie über euch zuſammen
fallen und eures Lebens ein Ende machen. Denn
wenn friſches Holz abgehauen wird, wie vielmehr
wird man dürre und unfruchtbare Bäume wegneh-
men und ins Feuer werfen! Wenn man mich, den
Unſchuldigſten, zu einer ſolchen Marter überantwor-
tet, wie wird es euch ergehen, deren Verſchuldung
ſo ſchwer iſt?
Praktiſche Anmerkungen.
1. Wie unlauter ſind die Abſichten vieler Chriſten bey der Be-
trachtung des Leidens Jeſu! Wie wenige empfinden dasjenige
dabey, was eigentlich die Hauptſache deſſelben ausmacht!
2. Jeſus
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/292>, abgerufen am 16.02.2025.
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