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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Zweyter Abschnitt.
wort Jesu auf diese Frage so ausfallen müsse, daß sie wenig-
stens mit einigem Schein eine Klage wider ihn führen könn-
ten. Allein die Weisheit Jesu vereitelte diesen Entwurf
der Bosheit. Ich habe, gab er ihm zur Antwort, öf-
fentlich und freymüthig vor der Welt gelehret. Ich
habe mich nicht gescheuet, an den öffentlichen Oer-
tern, sonderlich in den Synagogen und im Tempel,
wo sich alle Juden an den hohen Festen versammlen,
meine Lehre vorzutragen. Selbst der besondere
Unterricht, den ich meinen Jüngern gegeben, ist
von demjenigen in der Hauptsache nicht unterschie-
den gewesen, den ich dem ganzen Volke ertheilt
habe. Wie kommst du aber zu dieser Frage? Wa-
rum hältst du mir nicht vielmehr das Verbrechen
vor, um welches du mich hast gefangen nehmen las-
sen? Jedoch, ist es deine Absicht, die Wahrheit
in dieser Sache zu erfahren, so frage alle meine Zu-
hörer, was ich zu ihnen geredet habe. Ja, selbst
unter dieser Versammlung werden einige seyn, die
wissen können, was ich öffentlich und besonders ge-
lehret habe.
Bey diesen Worten schlug ihn einer von
den Gerichtsdienern, der neben ihm stund, mit der Faust
ins Gesicht, und sagte: Ist das eine Antwort, die
sich gegen den Hohenpriester geziemet?
Diese so
grosse Schmach, die Jesus von einem Knechte angethan
wurde, trug er mit Geduld. Allein weil diese Handlung
in aller Absicht widerrechtlich war, so sagte er blos: habe
ich etwas ungebührliches geredet, so beweise es, daß
es unrecht sey; habe ich recht geredet, warum schlä-
gest du mich denn?

Praktische Anmerkungen.

1. Wie schwer ist es, daß man in Absicht der Vertheidigung
der Wahrheit, sich weder zu einem blinden Eifer, noch zu einer

schüch-

Zweyter Abſchnitt.
wort Jeſu auf dieſe Frage ſo ausfallen müſſe, daß ſie wenig-
ſtens mit einigem Schein eine Klage wider ihn führen könn-
ten. Allein die Weisheit Jeſu vereitelte dieſen Entwurf
der Bosheit. Ich habe, gab er ihm zur Antwort, öf-
fentlich und freymüthig vor der Welt gelehret. Ich
habe mich nicht geſcheuet, an den öffentlichen Oer-
tern, ſonderlich in den Synagogen und im Tempel,
wo ſich alle Juden an den hohen Feſten verſammlen,
meine Lehre vorzutragen. Selbſt der beſondere
Unterricht, den ich meinen Jüngern gegeben, iſt
von demjenigen in der Hauptſache nicht unterſchie-
den geweſen, den ich dem ganzen Volke ertheilt
habe. Wie kommſt du aber zu dieſer Frage? Wa-
rum hältſt du mir nicht vielmehr das Verbrechen
vor, um welches du mich haſt gefangen nehmen laſ-
ſen? Jedoch, iſt es deine Abſicht, die Wahrheit
in dieſer Sache zu erfahren, ſo frage alle meine Zu-
hörer, was ich zu ihnen geredet habe. Ja, ſelbſt
unter dieſer Verſammlung werden einige ſeyn, die
wiſſen können, was ich öffentlich und beſonders ge-
lehret habe.
Bey dieſen Worten ſchlug ihn einer von
den Gerichtsdienern, der neben ihm ſtund, mit der Fauſt
ins Geſicht, und ſagte: Iſt das eine Antwort, die
ſich gegen den Hohenprieſter geziemet?
Dieſe ſo
groſſe Schmach, die Jeſus von einem Knechte angethan
wurde, trug er mit Geduld. Allein weil dieſe Handlung
in aller Abſicht widerrechtlich war, ſo ſagte er blos: habe
ich etwas ungebührliches geredet, ſo beweiſe es, daß
es unrecht ſey; habe ich recht geredet, warum ſchlä-
geſt du mich denn?

Praktiſche Anmerkungen.

1. Wie ſchwer iſt es, daß man in Abſicht der Vertheidigung
der Wahrheit, ſich weder zu einem blinden Eifer, noch zu einer

ſchüch-
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[238/0260] Zweyter Abſchnitt. wort Jeſu auf dieſe Frage ſo ausfallen müſſe, daß ſie wenig- ſtens mit einigem Schein eine Klage wider ihn führen könn- ten. Allein die Weisheit Jeſu vereitelte dieſen Entwurf der Bosheit. Ich habe, gab er ihm zur Antwort, öf- fentlich und freymüthig vor der Welt gelehret. Ich habe mich nicht geſcheuet, an den öffentlichen Oer- tern, ſonderlich in den Synagogen und im Tempel, wo ſich alle Juden an den hohen Feſten verſammlen, meine Lehre vorzutragen. Selbſt der beſondere Unterricht, den ich meinen Jüngern gegeben, iſt von demjenigen in der Hauptſache nicht unterſchie- den geweſen, den ich dem ganzen Volke ertheilt habe. Wie kommſt du aber zu dieſer Frage? Wa- rum hältſt du mir nicht vielmehr das Verbrechen vor, um welches du mich haſt gefangen nehmen laſ- ſen? Jedoch, iſt es deine Abſicht, die Wahrheit in dieſer Sache zu erfahren, ſo frage alle meine Zu- hörer, was ich zu ihnen geredet habe. Ja, ſelbſt unter dieſer Verſammlung werden einige ſeyn, die wiſſen können, was ich öffentlich und beſonders ge- lehret habe. Bey dieſen Worten ſchlug ihn einer von den Gerichtsdienern, der neben ihm ſtund, mit der Fauſt ins Geſicht, und ſagte: Iſt das eine Antwort, die ſich gegen den Hohenprieſter geziemet? Dieſe ſo groſſe Schmach, die Jeſus von einem Knechte angethan wurde, trug er mit Geduld. Allein weil dieſe Handlung in aller Abſicht widerrechtlich war, ſo ſagte er blos: habe ich etwas ungebührliches geredet, ſo beweiſe es, daß es unrecht ſey; habe ich recht geredet, warum ſchlä- geſt du mich denn? Praktiſche Anmerkungen. 1. Wie ſchwer iſt es, daß man in Abſicht der Vertheidigung der Wahrheit, ſich weder zu einem blinden Eifer, noch zu einer ſchüch-

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/260>, abgerufen am 25.11.2024.