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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Acht und zwanzigste Betrachtung.
und lernet von eurem leidenden Jesu die Kunst, auch un-
ter den Widerwärtigkeiten ruhig zu seyn.

Seht, welch ein Mensch! So kann ich denen
zurufen, welchen der Tod beynahe alles Menschliche ge-
raubt. Wir werden über kurz oder über lang in solche
Umstände gerathen, daß alle, die uns sehen, sprechen
werden: Seht, welch ein Mensch ist diß! Wie so blaß,
so verfallen, so eckelhaft ist sein Anblick! Wie finster
sind die Augen, wie verstellt dieses Antlitz, wie kalt diese
Glieder, wie ungestalt ist dieser Mensch! O dann, dann
müsse uns der Anblick des gemarterten Gottmenschen auf-
richten, und sein Leiden Trost in unsre Seele flössen. --
Jedoch, dis ist noch nicht alle Schmach, die auf uns war-
tet. Wenn wir in die Erde verscharrt seyn werden, wie
abscheulich wird da unser Anblick seyn. Alle Lebenden wer-
den alsdann bey dem Anblick unsrer vermoderten Gebeine
sagen: Seht, welch ein Mensch ist das! Aber wie freue
ich mich auf jenen Tag, wo meine menschliche Natur ver-
klärt werden wird. Da werden alle Engel, alle Seligen
sagen: Seht, welch ein Mensch! Wie groß, wie herr-
lich, wie selig ist er!



Acht und zwanzigste Betrachtung.
Letzter Todesgang Jesu.
Joh. 19, 16. 17.
Da überantwortete Pilatus Jesum, daß er gekreuzigt würde.
Sie nahmen aber Jesum und führten ihn hin. Und er trug
sein Kreuz.

Jeru-

Acht und zwanzigſte Betrachtung.
und lernet von eurem leidenden Jeſu die Kunſt, auch un-
ter den Widerwärtigkeiten ruhig zu ſeyn.

Seht, welch ein Menſch! So kann ich denen
zurufen, welchen der Tod beynahe alles Menſchliche ge-
raubt. Wir werden über kurz oder über lang in ſolche
Umſtände gerathen, daß alle, die uns ſehen, ſprechen
werden: Seht, welch ein Menſch iſt diß! Wie ſo blaß,
ſo verfallen, ſo eckelhaft iſt ſein Anblick! Wie finſter
ſind die Augen, wie verſtellt dieſes Antlitz, wie kalt dieſe
Glieder, wie ungeſtalt iſt dieſer Menſch! O dann, dann
müſſe uns der Anblick des gemarterten Gottmenſchen auf-
richten, und ſein Leiden Troſt in unſre Seele flöſſen. —
Jedoch, dis iſt noch nicht alle Schmach, die auf uns war-
tet. Wenn wir in die Erde verſcharrt ſeyn werden, wie
abſcheulich wird da unſer Anblick ſeyn. Alle Lebenden wer-
den alsdann bey dem Anblick unſrer vermoderten Gebeine
ſagen: Seht, welch ein Menſch iſt das! Aber wie freue
ich mich auf jenen Tag, wo meine menſchliche Natur ver-
klärt werden wird. Da werden alle Engel, alle Seligen
ſagen: Seht, welch ein Menſch! Wie groß, wie herr-
lich, wie ſelig iſt er!



Acht und zwanzigſte Betrachtung.
Letzter Todesgang Jeſu.
Joh. 19, 16. 17.
Da überantwortete Pilatus Jeſum, daß er gekreuzigt würde.
Sie nahmen aber Jeſum und führten ihn hin. Und er trug
ſein Kreuz.

Jeru-
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[126/0148] Acht und zwanzigſte Betrachtung. und lernet von eurem leidenden Jeſu die Kunſt, auch un- ter den Widerwärtigkeiten ruhig zu ſeyn. Seht, welch ein Menſch! So kann ich denen zurufen, welchen der Tod beynahe alles Menſchliche ge- raubt. Wir werden über kurz oder über lang in ſolche Umſtände gerathen, daß alle, die uns ſehen, ſprechen werden: Seht, welch ein Menſch iſt diß! Wie ſo blaß, ſo verfallen, ſo eckelhaft iſt ſein Anblick! Wie finſter ſind die Augen, wie verſtellt dieſes Antlitz, wie kalt dieſe Glieder, wie ungeſtalt iſt dieſer Menſch! O dann, dann müſſe uns der Anblick des gemarterten Gottmenſchen auf- richten, und ſein Leiden Troſt in unſre Seele flöſſen. — Jedoch, dis iſt noch nicht alle Schmach, die auf uns war- tet. Wenn wir in die Erde verſcharrt ſeyn werden, wie abſcheulich wird da unſer Anblick ſeyn. Alle Lebenden wer- den alsdann bey dem Anblick unſrer vermoderten Gebeine ſagen: Seht, welch ein Menſch iſt das! Aber wie freue ich mich auf jenen Tag, wo meine menſchliche Natur ver- klärt werden wird. Da werden alle Engel, alle Seligen ſagen: Seht, welch ein Menſch! Wie groß, wie herr- lich, wie ſelig iſt er! Acht und zwanzigſte Betrachtung. Letzter Todesgang Jeſu. Joh. 19, 16. 17. Da überantwortete Pilatus Jeſum, daß er gekreuzigt würde. Sie nahmen aber Jeſum und führten ihn hin. Und er trug ſein Kreuz. Jeru-

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/148>, abgerufen am 24.11.2024.