Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.Bekenntniß Jesu vor Pilato. Seele nicht tödten können? Warum strebe ich mit sostarker Begierde nach Gütern, welche die Welt mir etwa anbietet? Warum erzittre ich so sehr vor dem Tode, vor dem Gericht und vor der Ewigkeit? Würde ich wohl so handeln können, wenn ich lebendig überzeugt wäre, daß das Reich Jesu nicht von dieser Welt ist? Was soll ich, was kann ich auf diese Frage ant- zu G 2
Bekenntniß Jeſu vor Pilato. Seele nicht tödten können? Warum ſtrebe ich mit ſoſtarker Begierde nach Gütern, welche die Welt mir etwa anbietet? Warum erzittre ich ſo ſehr vor dem Tode, vor dem Gericht und vor der Ewigkeit? Würde ich wohl ſo handeln können, wenn ich lebendig überzeugt wäre, daß das Reich Jeſu nicht von dieſer Welt iſt? Was ſoll ich, was kann ich auf dieſe Frage ant- zu G 2
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Bekenntniß Jeſu vor Pilato.
Seele nicht tödten können? Warum ſtrebe ich mit ſo
ſtarker Begierde nach Gütern, welche die Welt mir etwa
anbietet? Warum erzittre ich ſo ſehr vor dem Tode, vor
dem Gericht und vor der Ewigkeit? Würde ich wohl
ſo handeln können, wenn ich lebendig überzeugt wäre, daß
das Reich Jeſu nicht von dieſer Welt iſt?
Was ſoll ich, was kann ich auf dieſe Frage ant-
worten, ohne ſelbſt meine Schande zu offenbahren? Ich
bin nicht für dieſe Welt beſtimmt: ich weiß es, daß die
zukünftige Welt es iſt, nach welcher ich mich bilden, die
ich lieben und die ich allen andern vorziehen ſoll. Aber
mein irrdiſchgeſinntes Herz benimmt allen Ueberzeugungen
die Kraft, welche ſie auf mich äuſſern könnten. In die-
ſem Augenblick fühle ich die ganze Schwäche meines Her-
zens. Ich denke nach, mit welcher Freymüthigkeit du
vor dem Richterſtuhl Pilati dein Bekenntniß ablegteſt, ob
du gleich wußteſt, daß es dich neuen Mißhandlungen aus-
ſetzen würde. Wenn ich mich als einen Unterthan deines
Reiches erkenne, ſo ſehe ich, wie nothwendig es iſt, daß
ich auch dich vor Menſchen zu bekennen ſuche. Denn
könnte ich wohl da zurückbleiben, wo ich meinen Herrn
zum Vorgänger habe? Ich bin es verpflichtet, dich,
auf den ich getauft bin, von dem ich zum Eigenthum er-
worben, und deſſen Reich ich einverleibet bin, allezeit und
allenthalben zu bekennen. Aber wie ſchwach fühle ich
mich zu dieſer Pflicht! Wenn ich aufgefordert würde,
für das Reich Jeſu zu kämpfen, wenn ein Richter oder
ein Ungläubiger mich fragen ſollte: biſt du ein Unterthan
des gekreuzigten Jeſu? wie wenig würde ich die Entſchloſ-
ſenheit haben, zu ſagen: ja, ich bin ſein Unterthan. Ich
bin dazu gebohren, und dazu erlößt, daß ich die Wahr-
heit zeugen ſoll. Ach ich beſorge, ich würde, wenn ich
in Gefahr wäre, mein Glück, meine Ehre, mein Leben
zu
G 2
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