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Sturm, Johann Christoph: Des Unvergleichlichen Archjmedjs Kunst-Bücher. Nürnberg, 1670.

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Archimedis Erstes Buch
Und/ weil die Scheibe B kleiner ist als das Vielekk umb B, nach obigem IX.
Grundsatz/ wird sie noch eine kleinere Verhältnis haben gegen ihrem innern
Vielekk/ als ihr äusseres Vielekk gegen eben demselben innern/ aus dem 8ten
des
V. Darumb muß umb so viel mehr die Scheibe B gegen ihrem innern
Vielekk eine kleinere Verhältnis haben/ als eben dieselbe Scheibe B gegen der
oftgedachten Rundfläche. Jst derowegen das Vielekk in B grösser als gemeldte
Rundfläche. Es ist aber zuvor erwiesen/ daß das Dreyekk FRL (welches
der innerhalb der Rund-Säule A beschriebenen Ekkfläche gleich ist/ vermög
obiger Vorbereitung
) grösser sey als das Vielekk in B. Woraus dann end-
lich folget/ daß umb so viel mehr erstgemeldte Ekkfläche grösser sey als die Rund-
fläche A, von welcher sie begriffen und eingeschlossen wird; Welches dann aber-
mal ungereimt und schnurstrakks wider die dritte Folge des vorhergehenden
XII. Lehrsatzes ist. Kan derhalben die Scheibe B nicht grösser seyn als oft-
erwehnte Rundfläche. Sie ist aber auch nicht kleiner/ wie oben bewiesen wor-
den: So muß sie demnach derselben gleich seyn/ welches der Hauptpunct ist/ der
da solte bewiesen werden.

Anmerkungen.

1. Weil Archimedes diesen Grund/ die Gleichheit zweyer Grössen zu schliessen/ ins
künftig oft gebrauchet/ daß nehmlich/ wann eine weder grösser noch kleiner sey als die andere/
sie nohtwendig gleich seyn müssen; wird nicht unbillich gefragt/ ob dieser Schluß auch unfehlbar
und allezeit angehe? Zwar/ weil so wol die äusserliche Sinnen als die Vernunft/ in Verg ei-
chung zweyer Grössen/ alsobald entweder eine Gleichheit oder Ungleichheit antreffen/ und/ wo
sie ungleich sind/ das eine strakks für grösser oder für kleiner halten. Weil ungleich seyn nichts
anders ist/ als grösser oder kleiner seyn/ etc. als scheinet diese Frage vergeblich und überflüssig zu
seyn. Allein es solle der gönstige Leser wissen/ daß gleichwol einiger Zweiffel in diesem Stükk
entstehen könne/ und bey etlichen würklich entstanden sey/ welcher hier billich benommen wird/
damit nicht/ wann auf denselben wir etwan ohngefehr auch gerahten möchten/ dieses und künf-
tiger Beweißtuhme Gewißheit in Zweifel gezogen werde. Nehmlich es will scheinen/ ob
würde hieraus einige Streitigkeit zwischen dem Euclides und Archimedes entspringen/ also
daß entweder dieser oder lener in seinen Beweißtuhmen müste geirret haben. Dann Euclides
gibt in seinem III. Buch im 16den Lehrsatz für/ und beweiset/ daß der Winkel ejnes jeden Halb-
kreisses (verstehe/ welchen er machet mit dem Durchmesser) grösser sey als ein jeder spitziger/
aus geraden Lineen gemachter/ Winkel; der andere aber (nehmlich der Winkel des Anrührens/
welchen der Halbkreiß von aussen mit der anrührenden Lini machet) kleiner. Woraus dann
folget/ daß Euclides den Winkel des Anrührens nicht für nichts (wie Peletarius) und den
Winkel des Halbkreisses einem rechten Winkel nicht gleich gehalten habe/ weil er sonsten so ei-
nes weitläuffigen Beweises nicht hätte von nöhten gehabt. Nun aber/ wann Archimedis
Schließart gültig ist/ so scheinet/ es folge aus derselben ungezweiffelt/ der Winkel des Halb-
kreisses sey einem rechten/ aus geraden Lineen gemachten/ Winkel gleich. Dann so er ihm
nicht gleich ist
(so schliesset Vieta der berühmte Mathematicus, eben wie Archimedes) so
wird er entweder grösser oder kleiner seyn. Man setze erstlich/ der rechte Winkel sey
grösser/ und nehme einen/ aus geraden Lineen bestehenden/ Winkel/ der zwar klei-
ner als der rechte oder gerade/ aber grösser als der Winkel des Halbkreisses sey; so
wird man alsobald sehen/ daß jenes nicht seyn könne. Dann daraus wird geschlossen
werden/ daß der Winkel des Halbkreisses auch grösser als der genommene Winkel sey

(der doch grösser als der Halbkreiß zu seyn ist gesetzet worden.) Man setze fürs andere/ der
gerade Winkel sey kleiner/ und nehme wieder einen/ von geraden Lineen beschlossenen/
Winkel/ der zwar grösser sey als der gerade/ aber kleiner als der Winkel des Halb-
kreisses; so wird man alsobald wieder sehen/ daß auch dieses nicht seyn könne. Dann
daraus wird geschlossen werden/ daß der Winkel des Halbkreisses auch kleiner/ als ein
jeder genommener stumpfer Winkel sey
(der doch umbgekehrt kleiner als jener ist gesetzet
worden.) Derowegen wird endlich der Schluß wider den Euclides und der Euclideer

Meinung

Archimedis Erſtes Buch
Und/ weil die Scheibe B kleiner iſt als das Vielekk umb B, nach obigem IX.
Grundſatz/ wird ſie noch eine kleinere Verhaͤltnis haben gegen ihrem innern
Vielekk/ als ihr aͤuſſeres Vielekk gegen eben demſelben innern/ aus dem 8ten
des
V. Darumb muß umb ſo viel mehr die Scheibe B gegen ihrem innern
Vielekk eine kleinere Verhaͤltnis haben/ als eben dieſelbe Scheibe B gegen der
oftgedachten Rundflaͤche. Jſt derowegen das Vielekk in B groͤſſer als gemeldte
Rundflaͤche. Es iſt aber zuvor erwieſen/ daß das Dreyekk FRL (welches
der innerhalb der Rund-Saͤule A beſchriebenen Ekkflaͤche gleich iſt/ vermoͤg
obiger Vorbereitung
) groͤſſer ſey als das Vielekk in B. Woraus dann end-
lich folget/ daß umb ſo viel mehr erſtgemeldte Ekkflaͤche groͤſſer ſey als die Rund-
flaͤche A, von welcher ſie begriffen und eingeſchloſſen wird; Welches dann aber-
mal ungereimt und ſchnurſtrakks wider die dritte Folge des vorhergehenden
XII. Lehrſatzes iſt. Kan derhalben die Scheibe B nicht groͤſſer ſeyn als oft-
erwehnte Rundflaͤche. Sie iſt aber auch nicht kleiner/ wie oben bewieſen wor-
den: So muß ſie demnach derſelben gleich ſeyn/ welches der Hauptpunct iſt/ der
da ſolte bewieſen werden.

Anmerkungen.

1. Weil Archimedes dieſen Grund/ die Gleichheit zweyer Groͤſſen zu ſchlieſſen/ ins
kuͤnftig oft gebrauchet/ daß nehmlich/ wann eine weder groͤſſer noch kleiner ſey als die andere/
ſie nohtwendig gleich ſeyn muͤſſen; wird nicht unbillich gefragt/ ob dieſer Schluß auch unfehlbar
und allezeit angehe? Zwar/ weil ſo wol die aͤuſſerliche Sinnen als die Vernunft/ in Verg ei-
chung zweyer Groͤſſen/ alſobald entweder eine Gleichheit oder Ungleichheit antreffen/ und/ wo
ſie ungleich ſind/ das eine ſtrakks fuͤr groͤſſer oder fuͤr kleiner halten. Weil ungleich ſeyn nichts
anders iſt/ als groͤſſer oder kleiner ſeyn/ ꝛc. als ſcheinet dieſe Frage vergeblich und uͤberfluͤſſig zu
ſeyn. Allein es ſolle der goͤnſtige Leſer wiſſen/ daß gleichwol einiger Zweiffel in dieſem Stuͤkk
entſtehen koͤnne/ und bey etlichen wuͤrklich entſtanden ſey/ welcher hier billich benommen wird/
damit nicht/ wann auf denſelben wir etwan ohngefehr auch gerahten moͤchten/ dieſes und kuͤnf-
tiger Beweißtuhme Gewißheit in Zweifel gezogen werde. Nehmlich es will ſcheinen/ ob
wuͤrde hieraus einige Streitigkeit zwiſchen dem Euclides und Archimedes entſpringen/ alſo
daß entweder dieſer oder lener in ſeinen Beweißtuhmen muͤſte geirret haben. Dann Euclides
gibt in ſeinem III. Buch im 16den Lehrſatz fuͤr/ und beweiſet/ daß der Winkel ejnes jeden Halb-
kreiſſes (verſtehe/ welchen er machet mit dem Durchmeſſer) groͤſſer ſey als ein jeder ſpitziger/
aus geraden Lineen gemachter/ Winkel; der andere aber (nehmlich der Winkel des Anruͤhrens/
welchen der Halbkreiß von auſſen mit der anruͤhrenden Lini machet) kleiner. Woraus dann
folget/ daß Euclides den Winkel des Anruͤhrens nicht fuͤr nichts (wie Peletarius) und den
Winkel des Halbkreiſſes einem rechten Winkel nicht gleich gehalten habe/ weil er ſonſten ſo ei-
nes weitlaͤuffigen Beweiſes nicht haͤtte von noͤhten gehabt. Nun aber/ wann Archimedis
Schließart guͤltig iſt/ ſo ſcheinet/ es folge aus derſelben ungezweiffelt/ der Winkel des Halb-
kreiſſes ſey einem rechten/ aus geraden Lineen gemachten/ Winkel gleich. Dann ſo er ihm
nicht gleich iſt
(ſo ſchlieſſet Vieta der beruͤhmte Mathematicus, eben wie Archimedes) ſo
wird er entweder groͤſſer oder kleiner ſeyn. Man ſetze erſtlich/ der rechte Winkel ſey
groͤſſer/ und nehme einen/ aus geraden Lineen beſtehenden/ Winkel/ der zwar klei-
ner als der rechte oder gerade/ aber groͤſſer als der Winkel des Halbkreiſſes ſey; ſo
wird man alſobald ſehen/ daß jenes nicht ſeyn koͤnne. Dann daraus wird geſchloſſen
werden/ daß der Winkel des Halbkreiſſes auch groͤſſer als der genommene Winkel ſey

(der doch groͤſſer als der Halbkreiß zu ſeyn iſt geſetzet worden.) Man ſetze fuͤrs andere/ der
gerade Winkel ſey kleiner/ und nehme wieder einen/ von geraden Lineen beſchloſſenen/
Winkel/ der zwar groͤſſer ſey als der gerade/ aber kleiner als der Winkel des Halb-
kreiſſes; ſo wird man alſobald wieder ſehen/ daß auch dieſes nicht ſeyn koͤnne. Dann
daraus wird geſchloſſen werden/ daß der Winkel des Halbkreiſſes auch kleiner/ als ein
jeder genommener ſtumpfer Winkel ſey
(der doch umbgekehrt kleiner als jener iſt geſetzet
worden.) Derowegen wird endlich der Schluß wider den Euclides und der Euclideer

Meinung
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[36/0064] Archimedis Erſtes Buch Und/ weil die Scheibe B kleiner iſt als das Vielekk umb B, nach obigem IX. Grundſatz/ wird ſie noch eine kleinere Verhaͤltnis haben gegen ihrem innern Vielekk/ als ihr aͤuſſeres Vielekk gegen eben demſelben innern/ aus dem 8ten des V. Darumb muß umb ſo viel mehr die Scheibe B gegen ihrem innern Vielekk eine kleinere Verhaͤltnis haben/ als eben dieſelbe Scheibe B gegen der oftgedachten Rundflaͤche. Jſt derowegen das Vielekk in B groͤſſer als gemeldte Rundflaͤche. Es iſt aber zuvor erwieſen/ daß das Dreyekk FRL (welches der innerhalb der Rund-Saͤule A beſchriebenen Ekkflaͤche gleich iſt/ vermoͤg obiger Vorbereitung) groͤſſer ſey als das Vielekk in B. Woraus dann end- lich folget/ daß umb ſo viel mehr erſtgemeldte Ekkflaͤche groͤſſer ſey als die Rund- flaͤche A, von welcher ſie begriffen und eingeſchloſſen wird; Welches dann aber- mal ungereimt und ſchnurſtrakks wider die dritte Folge des vorhergehenden XII. Lehrſatzes iſt. Kan derhalben die Scheibe B nicht groͤſſer ſeyn als oft- erwehnte Rundflaͤche. Sie iſt aber auch nicht kleiner/ wie oben bewieſen wor- den: So muß ſie demnach derſelben gleich ſeyn/ welches der Hauptpunct iſt/ der da ſolte bewieſen werden. Anmerkungen. 1. Weil Archimedes dieſen Grund/ die Gleichheit zweyer Groͤſſen zu ſchlieſſen/ ins kuͤnftig oft gebrauchet/ daß nehmlich/ wann eine weder groͤſſer noch kleiner ſey als die andere/ ſie nohtwendig gleich ſeyn muͤſſen; wird nicht unbillich gefragt/ ob dieſer Schluß auch unfehlbar und allezeit angehe? Zwar/ weil ſo wol die aͤuſſerliche Sinnen als die Vernunft/ in Verg ei- chung zweyer Groͤſſen/ alſobald entweder eine Gleichheit oder Ungleichheit antreffen/ und/ wo ſie ungleich ſind/ das eine ſtrakks fuͤr groͤſſer oder fuͤr kleiner halten. Weil ungleich ſeyn nichts anders iſt/ als groͤſſer oder kleiner ſeyn/ ꝛc. als ſcheinet dieſe Frage vergeblich und uͤberfluͤſſig zu ſeyn. Allein es ſolle der goͤnſtige Leſer wiſſen/ daß gleichwol einiger Zweiffel in dieſem Stuͤkk entſtehen koͤnne/ und bey etlichen wuͤrklich entſtanden ſey/ welcher hier billich benommen wird/ damit nicht/ wann auf denſelben wir etwan ohngefehr auch gerahten moͤchten/ dieſes und kuͤnf- tiger Beweißtuhme Gewißheit in Zweifel gezogen werde. Nehmlich es will ſcheinen/ ob wuͤrde hieraus einige Streitigkeit zwiſchen dem Euclides und Archimedes entſpringen/ alſo daß entweder dieſer oder lener in ſeinen Beweißtuhmen muͤſte geirret haben. Dann Euclides gibt in ſeinem III. Buch im 16den Lehrſatz fuͤr/ und beweiſet/ daß der Winkel ejnes jeden Halb- kreiſſes (verſtehe/ welchen er machet mit dem Durchmeſſer) groͤſſer ſey als ein jeder ſpitziger/ aus geraden Lineen gemachter/ Winkel; der andere aber (nehmlich der Winkel des Anruͤhrens/ welchen der Halbkreiß von auſſen mit der anruͤhrenden Lini machet) kleiner. Woraus dann folget/ daß Euclides den Winkel des Anruͤhrens nicht fuͤr nichts (wie Peletarius) und den Winkel des Halbkreiſſes einem rechten Winkel nicht gleich gehalten habe/ weil er ſonſten ſo ei- nes weitlaͤuffigen Beweiſes nicht haͤtte von noͤhten gehabt. Nun aber/ wann Archimedis Schließart guͤltig iſt/ ſo ſcheinet/ es folge aus derſelben ungezweiffelt/ der Winkel des Halb- kreiſſes ſey einem rechten/ aus geraden Lineen gemachten/ Winkel gleich. Dann ſo er ihm nicht gleich iſt (ſo ſchlieſſet Vieta der beruͤhmte Mathematicus, eben wie Archimedes) ſo wird er entweder groͤſſer oder kleiner ſeyn. Man ſetze erſtlich/ der rechte Winkel ſey groͤſſer/ und nehme einen/ aus geraden Lineen beſtehenden/ Winkel/ der zwar klei- ner als der rechte oder gerade/ aber groͤſſer als der Winkel des Halbkreiſſes ſey; ſo wird man alſobald ſehen/ daß jenes nicht ſeyn koͤnne. Dann daraus wird geſchloſſen werden/ daß der Winkel des Halbkreiſſes auch groͤſſer als der genommene Winkel ſey (der doch groͤſſer als der Halbkreiß zu ſeyn iſt geſetzet worden.) Man ſetze fuͤrs andere/ der gerade Winkel ſey kleiner/ und nehme wieder einen/ von geraden Lineen beſchloſſenen/ Winkel/ der zwar groͤſſer ſey als der gerade/ aber kleiner als der Winkel des Halb- kreiſſes; ſo wird man alſobald wieder ſehen/ daß auch dieſes nicht ſeyn koͤnne. Dann daraus wird geſchloſſen werden/ daß der Winkel des Halbkreiſſes auch kleiner/ als ein jeder genommener ſtumpfer Winkel ſey (der doch umbgekehrt kleiner als jener iſt geſetzet worden.) Derowegen wird endlich der Schluß wider den Euclides und der Euclideer Meinung

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Zitationshilfe: Sturm, Johann Christoph: Des Unvergleichlichen Archjmedjs Kunst-Bücher. Nürnberg, 1670, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_kunst_1670/64>, abgerufen am 27.11.2024.