einmal geheilt habe. Wollen wir daher den Gedanken, hier etwas ursprünglich Parabolisches zu haben, nicht fal- len lassen, so hätten wir uns die Sache so zu denken, dass aus der Sage von Heilungen, welche Jesus auch an Aus- sätzigen vollbracht habe, einerseits, und andrerseits aus Parabeln, in welchen Jesus, wie in der vom barmherzigen Samariter, Individuen dieses angefeindeten Volkes als Mu- ster verschiedener Tugenden aufstellte, die urchristliche Sage diese Erzählung zusammengewoben habe, welche eben- daher halb Wundererzählung, halb Parabel ist.
§. 91. Blindenheilungen.
Eine der ersten Stellen unter den von Jesu geheilten Kranken nehmen, gleichfalls nach der Natur des Landes 1), die Blinden ein, von deren Heilung wiederum nicht bloss in den allgemeinen Schilderungen, welche die Evangelisten (Matth. 15, 30 f. Luc. 7, 21.) oder Jesus selbst (Matth. 11, 5.) von seiner messianischen Thätigkeit geben, die Re- de ist, sondern auch einige einzelne Fälle ausführlich be- richtet werden. Und zwar mehrere als von den Heilun- gen der zulezt beschriebenen Art, ohne Zweifel weil die Blindheit, als ein Leiden des feinsten und complicirtesten Organs, mehrere abweichende Behandlungsweisen zuliess. Eine dieser Blindenheilungen ist sämmtlichen Synoptikern gemeinsam; die andern sind (sofern wir den dämonischen Blindstummen des Matthäus hier nicht wieder zählen) je eine dem ersten, zweiten und vierten Evangelisten eigen- thümlich.
Gemeinsam ist den drei synoptischen Evangelien die Erzählung, dass Jesus auf seiner lezten Reise nach Jeru- salem bei Jericho eine Blindenheilung verrichtet habe (Matth. 26, 29. parall.): aber bedeutende Differenzen finden statt
1) s. Winer, Realw. d. A. Blinde.
Zweiter Abschnitt.
einmal geheilt habe. Wollen wir daher den Gedanken, hier etwas ursprünglich Parabolisches zu haben, nicht fal- len lassen, so hätten wir uns die Sache so zu denken, daſs aus der Sage von Heilungen, welche Jesus auch an Aus- sätzigen vollbracht habe, einerseits, und andrerseits aus Parabeln, in welchen Jesus, wie in der vom barmherzigen Samariter, Individuen dieses angefeindeten Volkes als Mu- ster verschiedener Tugenden aufstellte, die urchristliche Sage diese Erzählung zusammengewoben habe, welche eben- daher halb Wundererzählung, halb Parabel ist.
§. 91. Blindenheilungen.
Eine der ersten Stellen unter den von Jesu geheilten Kranken nehmen, gleichfalls nach der Natur des Landes 1), die Blinden ein, von deren Heilung wiederum nicht bloſs in den allgemeinen Schilderungen, welche die Evangelisten (Matth. 15, 30 f. Luc. 7, 21.) oder Jesus selbst (Matth. 11, 5.) von seiner messianischen Thätigkeit geben, die Re- de ist, sondern auch einige einzelne Fälle ausführlich be- richtet werden. Und zwar mehrere als von den Heilun- gen der zulezt beschriebenen Art, ohne Zweifel weil die Blindheit, als ein Leiden des feinsten und complicirtesten Organs, mehrere abweichende Behandlungsweisen zulieſs. Eine dieser Blindenheilungen ist sämmtlichen Synoptikern gemeinsam; die andern sind (sofern wir den dämonischen Blindstummen des Matthäus hier nicht wieder zählen) je eine dem ersten, zweiten und vierten Evangelisten eigen- thümlich.
Gemeinsam ist den drei synoptischen Evangelien die Erzählung, daſs Jesus auf seiner lezten Reise nach Jeru- salem bei Jericho eine Blindenheilung verrichtet habe (Matth. 26, 29. parall.): aber bedeutende Differenzen finden statt
1) s. Winer, Realw. d. A. Blinde.
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Zweiter Abschnitt.
einmal geheilt habe. Wollen wir daher den Gedanken,
hier etwas ursprünglich Parabolisches zu haben, nicht fal-
len lassen, so hätten wir uns die Sache so zu denken, daſs
aus der Sage von Heilungen, welche Jesus auch an Aus-
sätzigen vollbracht habe, einerseits, und andrerseits aus
Parabeln, in welchen Jesus, wie in der vom barmherzigen
Samariter, Individuen dieses angefeindeten Volkes als Mu-
ster verschiedener Tugenden aufstellte, die urchristliche
Sage diese Erzählung zusammengewoben habe, welche eben-
daher halb Wundererzählung, halb Parabel ist.
§. 91.
Blindenheilungen.
Eine der ersten Stellen unter den von Jesu geheilten
Kranken nehmen, gleichfalls nach der Natur des Landes 1),
die Blinden ein, von deren Heilung wiederum nicht bloſs
in den allgemeinen Schilderungen, welche die Evangelisten
(Matth. 15, 30 f. Luc. 7, 21.) oder Jesus selbst (Matth.
11, 5.) von seiner messianischen Thätigkeit geben, die Re-
de ist, sondern auch einige einzelne Fälle ausführlich be-
richtet werden. Und zwar mehrere als von den Heilun-
gen der zulezt beschriebenen Art, ohne Zweifel weil die
Blindheit, als ein Leiden des feinsten und complicirtesten
Organs, mehrere abweichende Behandlungsweisen zulieſs.
Eine dieser Blindenheilungen ist sämmtlichen Synoptikern
gemeinsam; die andern sind (sofern wir den dämonischen
Blindstummen des Matthäus hier nicht wieder zählen) je
eine dem ersten, zweiten und vierten Evangelisten eigen-
thümlich.
Gemeinsam ist den drei synoptischen Evangelien die
Erzählung, daſs Jesus auf seiner lezten Reise nach Jeru-
salem bei Jericho eine Blindenheilung verrichtet habe (Matth.
26, 29. parall.): aber bedeutende Differenzen finden statt
1) s. Winer, Realw. d. A. Blinde.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/79>, abgerufen am 19.11.2024.
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