len; oder, da diess nothwendig missglücken muss, sich behutsam ganz an die Vorstellungsweise der Gemeinde an- zuschmiegen; oder endlich, sofern er auch hier sich leicht verräth, am Ende doch aus der Geistlichkeit zu treten.
Hiemit ist die Schwierigkeit eingestanden, welche die kritisch-speculative Ansicht in der Theologie für das Ver- hältniss des Geistlichen zur Gemeinde mit sich führt; die Collision dargelegt, in welche der Theolog geräth, wenn es sich fragt, was nun für ihn, sofern er auf solche An- sichten gekommen, weiter zu thun sei? und gezeigt, wie unsere Zeit hierüber noch nicht zur sichern Entscheidung gekommen ist. Aber diese Collision ist nicht durch den Fürwiz eines Einzelnen gemacht, sondern durch den Gang der Zeit und die Entwicklung der christlichen Theologie nothwendig herbeigeführt; sie kommt an das Individuum heran und bemächtigt sich seiner, ohne dass es sich ihrer erwehren könnte. Oder vielmehr, es kann diess mit leich- ter Mühe, wenn es sich nämlich des Studirens und Den- kens enthält, oder wenn dieses nicht, doch des freien Re- dens und Schreibens. Und deren giebt es schon genug in unserer Zeit, und man brauchte sich nicht zu bemühen, ihrer immer mehrere zu machen durch Verunglimpfung derer, welche sich im Geiste der fortgeschrittenen Wissen- schaft vernehmen lassen. Aber auch deren giebt es noch, welche unerachtet solcher Anfechtungen doch frei bekennen, was nicht mehr verborgen werden kann -- und die Zeit wird lehren, ob mit diesen oder mit jenen der Kirche, der Menschheit, der Wahrheit besser gedient ist.
Schluſsabhandlung. §. 147.
len; oder, da dieſs nothwendig miſsglücken muſs, sich behutsam ganz an die Vorstellungsweise der Gemeinde an- zuschmiegen; oder endlich, sofern er auch hier sich leicht verräth, am Ende doch aus der Geistlichkeit zu treten.
Hiemit ist die Schwierigkeit eingestanden, welche die kritisch-speculative Ansicht in der Theologie für das Ver- hältniſs des Geistlichen zur Gemeinde mit sich führt; die Collision dargelegt, in welche der Theolog geräth, wenn es sich fragt, was nun für ihn, sofern er auf solche An- sichten gekommen, weiter zu thun sei? und gezeigt, wie unsere Zeit hierüber noch nicht zur sichern Entscheidung gekommen ist. Aber diese Collision ist nicht durch den Fürwiz eines Einzelnen gemacht, sondern durch den Gang der Zeit und die Entwicklung der christlichen Theologie nothwendig herbeigeführt; sie kommt an das Individuum heran und bemächtigt sich seiner, ohne daſs es sich ihrer erwehren könnte. Oder vielmehr, es kann dieſs mit leich- ter Mühe, wenn es sich nämlich des Studirens und Den- kens enthält, oder wenn dieses nicht, doch des freien Re- dens und Schreibens. Und deren giebt es schon genug in unserer Zeit, und man brauchte sich nicht zu bemühen, ihrer immer mehrere zu machen durch Verunglimpfung derer, welche sich im Geiste der fortgeschrittenen Wissen- schaft vernehmen lassen. Aber auch deren giebt es noch, welche unerachtet solcher Anfechtungen doch frei bekennen, was nicht mehr verborgen werden kann — und die Zeit wird lehren, ob mit diesen oder mit jenen der Kirche, der Menschheit, der Wahrheit besser gedient ist.
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Schluſsabhandlung. §. 147.
len; oder, da dieſs nothwendig miſsglücken muſs, sich
behutsam ganz an die Vorstellungsweise der Gemeinde an-
zuschmiegen; oder endlich, sofern er auch hier sich leicht
verräth, am Ende doch aus der Geistlichkeit zu treten.
Hiemit ist die Schwierigkeit eingestanden, welche die
kritisch-speculative Ansicht in der Theologie für das Ver-
hältniſs des Geistlichen zur Gemeinde mit sich führt; die
Collision dargelegt, in welche der Theolog geräth, wenn
es sich fragt, was nun für ihn, sofern er auf solche An-
sichten gekommen, weiter zu thun sei? und gezeigt, wie
unsere Zeit hierüber noch nicht zur sichern Entscheidung
gekommen ist. Aber diese Collision ist nicht durch den
Fürwiz eines Einzelnen gemacht, sondern durch den Gang
der Zeit und die Entwicklung der christlichen Theologie
nothwendig herbeigeführt; sie kommt an das Individuum
heran und bemächtigt sich seiner, ohne daſs es sich ihrer
erwehren könnte. Oder vielmehr, es kann dieſs mit leich-
ter Mühe, wenn es sich nämlich des Studirens und Den-
kens enthält, oder wenn dieses nicht, doch des freien Re-
dens und Schreibens. Und deren giebt es schon genug
in unserer Zeit, und man brauchte sich nicht zu bemühen,
ihrer immer mehrere zu machen durch Verunglimpfung
derer, welche sich im Geiste der fortgeschrittenen Wissen-
schaft vernehmen lassen. Aber auch deren giebt es noch,
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 744. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/763>, abgerufen am 24.11.2024.
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