weg Lüge zu nennen, wenn ein Geistlicher z. B. von der Auferstehung Christi predigt, indem er diese zwar als einzelnes sinnliches Factum nicht für wirklich, aber doch die Anschauung des geistigen Lebensprocesses, welche darin liegt, für wahr hält. Näher jedoch ist diese Iden- tität des Inhalts nur für denjenigen vorhanden, welcher Inhalt und Form der Religion zu unterscheiden weiss, d. h. für den Theologen, nicht aber für die Gemeinde, zu wel- cher er spricht: diese kann sich keinen Glauben an die dogmatische Wahrheit z. B. der Auferstehung Christi den- ken, ohne Überzeugung von ihrer historischen Wirklich- keit, und kommt sie dahinter, dass der Geistliche die lez- tere nicht annimmt, und doch noch von Auferstehung pre- digt, so muss er ihr als Lügner erscheinen, wodurch das gan ze Verhältniss zwischen ihm und der Gemeinde zerrissen ist.
So für sich zwar kein Lügner, aber der Gemeinde als solcher erscheinend und sich dessen bewusst, müsste der Geistliche, wenn er demunerachtet zu der Gemeinde in der Form ihres Bewusstseins zu reden fortfährt, am Ende doch auch sich selbst als Lügner erscheinen, und sähe sich somit auf den dritten, verzweifelten Ausweg hinge- trieben, den geistlichen Stand zu verlassen. Es hälfe nichts, zu sagen, er solle nur von der Kanzel herab, und statt dessen auf den Katheder steigen, wo er vor solchen, die zum Wissen bestimmt sind, seine wissenschaftliche Ansicht nicht zurückzuhalten brauche; denn wenn derje- nige, welchen der Gang seiner Bildung nöthigte, die geist- liche Praxis aufzugeben, nun viele solche heranzubilden bekäme, die durch ihn zur geistlichen Praxis unfähig würden, so wäre diess aus Übel nur ärger gemacht. Den- noch könnte es andrerseits nicht gut für die Kirche gesorgt heissen, wenn alle diejenigen, welche der Kritik und Spe- culation bis zu den oben dargelegten Ergebnissen in sich Raum verstatten, aus ihrem Lehrstande heraustreten soll- ten. Denn da würde sich bald kein Geistlicher mehr mit
Schluſsabhandlung. §. 147.
weg Lüge zu nennen, wenn ein Geistlicher z. B. von der Auferstehung Christi predigt, indem er diese zwar als einzelnes sinnliches Factum nicht für wirklich, aber doch die Anschauung des geistigen Lebensprocesses, welche darin liegt, für wahr hält. Näher jedoch ist diese Iden- tität des Inhalts nur für denjenigen vorhanden, welcher Inhalt und Form der Religion zu unterscheiden weiſs, d. h. für den Theologen, nicht aber für die Gemeinde, zu wel- cher er spricht: diese kann sich keinen Glauben an die dogmatische Wahrheit z. B. der Auferstehung Christi den- ken, ohne Überzeugung von ihrer historischen Wirklich- keit, und kommt sie dahinter, daſs der Geistliche die lez- tere nicht annimmt, und doch noch von Auferstehung pre- digt, so muſs er ihr als Lügner erscheinen, wodurch das gan ze Verhältniſs zwischen ihm und der Gemeinde zerrissen ist.
So für sich zwar kein Lügner, aber der Gemeinde als solcher erscheinend und sich dessen bewuſst, müſste der Geistliche, wenn er demunerachtet zu der Gemeinde in der Form ihres Bewuſstseins zu reden fortfährt, am Ende doch auch sich selbst als Lügner erscheinen, und sähe sich somit auf den dritten, verzweifelten Ausweg hinge- trieben, den geistlichen Stand zu verlassen. Es hälfe nichts, zu sagen, er solle nur von der Kanzel herab, und statt dessen auf den Katheder steigen, wo er vor solchen, die zum Wissen bestimmt sind, seine wissenschaftliche Ansicht nicht zurückzuhalten brauche; denn wenn derje- nige, welchen der Gang seiner Bildung nöthigte, die geist- liche Praxis aufzugeben, nun viele solche heranzubilden bekäme, die durch ihn zur geistlichen Praxis unfähig würden, so wäre dieſs aus Übel nur ärger gemacht. Den- noch könnte es andrerseits nicht gut für die Kirche gesorgt heiſsen, wenn alle diejenigen, welche der Kritik und Spe- culation bis zu den oben dargelegten Ergebnissen in sich Raum verstatten, aus ihrem Lehrstande heraustreten soll- ten. Denn da würde sich bald kein Geistlicher mehr mit
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Schluſsabhandlung. §. 147.
weg Lüge zu nennen, wenn ein Geistlicher z. B. von der
Auferstehung Christi predigt, indem er diese zwar als
einzelnes sinnliches Factum nicht für wirklich, aber doch
die Anschauung des geistigen Lebensprocesses, welche
darin liegt, für wahr hält. Näher jedoch ist diese Iden-
tität des Inhalts nur für denjenigen vorhanden, welcher
Inhalt und Form der Religion zu unterscheiden weiſs, d. h.
für den Theologen, nicht aber für die Gemeinde, zu wel-
cher er spricht: diese kann sich keinen Glauben an die
dogmatische Wahrheit z. B. der Auferstehung Christi den-
ken, ohne Überzeugung von ihrer historischen Wirklich-
keit, und kommt sie dahinter, daſs der Geistliche die lez-
tere nicht annimmt, und doch noch von Auferstehung pre-
digt, so muſs er ihr als Lügner erscheinen, wodurch das gan
ze Verhältniſs zwischen ihm und der Gemeinde zerrissen ist.
So für sich zwar kein Lügner, aber der Gemeinde
als solcher erscheinend und sich dessen bewuſst, müſste
der Geistliche, wenn er demunerachtet zu der Gemeinde
in der Form ihres Bewuſstseins zu reden fortfährt, am
Ende doch auch sich selbst als Lügner erscheinen, und sähe
sich somit auf den dritten, verzweifelten Ausweg hinge-
trieben, den geistlichen Stand zu verlassen. Es hälfe
nichts, zu sagen, er solle nur von der Kanzel herab, und
statt dessen auf den Katheder steigen, wo er vor solchen,
die zum Wissen bestimmt sind, seine wissenschaftliche
Ansicht nicht zurückzuhalten brauche; denn wenn derje-
nige, welchen der Gang seiner Bildung nöthigte, die geist-
liche Praxis aufzugeben, nun viele solche heranzubilden
bekäme, die durch ihn zur geistlichen Praxis unfähig
würden, so wäre dieſs aus Übel nur ärger gemacht. Den-
noch könnte es andrerseits nicht gut für die Kirche gesorgt
heiſsen, wenn alle diejenigen, welche der Kritik und Spe-
culation bis zu den oben dargelegten Ergebnissen in sich
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 741. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/760>, abgerufen am 24.11.2024.
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