Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiter Abschnitt.
lassen. Freilich weiss Paulus, wie schon bemerkt, diese
Angabe auf eine allmählige natürliche Genesung zu deuten,
da eutheos, wodurch die Evangelisten die Zeit derselben
bestimmen, je nach dem verschiedenen Zusammenhange das
einemal sogleich bedeute, das andremal nur bald und un-
gehindert. Diess eingeräumt, soll nun das bei Markus in
unmittelbarem Zusammenhang folgende eutheos exebalen
auton (V. 43.) sagen wollen, bald und ungehindert habe
Jesus den Geheilten hinausgetrieben? Oder soll in zwei
aufeinander folgenden Versen das Wort in verschiedenem
Sinne genommen werden?

Ist somit nach der Absicht der evangelischen Referen-
ten von einem augenblicklichen Verschwinden des Aussatzes
auf das Wort und die Berührung Jesu hin die Rede: so
ist, sich diess denkbar zu machen, freilich noch eine ganz
andre Aufgabe, als die, das augenblickliche Zurechtbrin-
gen eines mit fixer Idee Behafteten, oder einen bleibend
stärkenden Eindruck auf einen Nervenkranken sich vorzu-
stellen. Dass eine, in Folge tiefer Verderbniss der Säfte
durch den hartnäckigsten und bösartigsten aller Ausschläge
zerfressene Haut durch ein Wort und eine Berührung au-
genblicklich rein und gesund geworden sein sollte, diess
ist, weil es etwas einer langen Reihe von Vermittlungen
Bedürftiges als unmittelbar eingetreten darstellt, so undenk-
bar 3), dass es jeden, der ausserhalb gewisser Vorurtheile
steht (was der Kritiker immer soll), unwillkührlich an das
Fabelreich erinnern muss. Und im fabelhaften Gebiet mor-
genländischer, näher jüdischer Sage finden wir wirklich
das plötzliche sowohl Entstehen - als Verschwindenmachen
des Aussatzes zuerst. Als Jehova den Moses zum Behuf
seiner Sendung nach Ägypten mit der Fähigkeit, allerlei
Zeichen zu thun, ausrüstete, hiess er ihn unter Anderem
auch seine Hand in den Busen stecken, und als er sie

3) vgl. Hase, L. J. §. 86.

Zweiter Abschnitt.
lassen. Freilich weiſs Paulus, wie schon bemerkt, diese
Angabe auf eine allmählige natürliche Genesung zu deuten,
da εὐϑέως, wodurch die Evangelisten die Zeit derselben
bestimmen, je nach dem verschiedenen Zusammenhange das
einemal sogleich bedeute, das andremal nur bald und un-
gehindert. Dieſs eingeräumt, soll nun das bei Markus in
unmittelbarem Zusammenhang folgende εὐϑέως ἐξέβαλεν
αὐτὸν (V. 43.) sagen wollen, bald und ungehindert habe
Jesus den Geheilten hinausgetrieben? Oder soll in zwei
aufeinander folgenden Versen das Wort in verschiedenem
Sinne genommen werden?

Ist somit nach der Absicht der evangelischen Referen-
ten von einem augenblicklichen Verschwinden des Aussatzes
auf das Wort und die Berührung Jesu hin die Rede: so
ist, sich dieſs denkbar zu machen, freilich noch eine ganz
andre Aufgabe, als die, das augenblickliche Zurechtbrin-
gen eines mit fixer Idee Behafteten, oder einen bleibend
stärkenden Eindruck auf einen Nervenkranken sich vorzu-
stellen. Daſs eine, in Folge tiefer Verderbniſs der Säfte
durch den hartnäckigsten und bösartigsten aller Ausschläge
zerfressene Haut durch ein Wort und eine Berührung au-
genblicklich rein und gesund geworden sein sollte, dieſs
ist, weil es etwas einer langen Reihe von Vermittlungen
Bedürftiges als unmittelbar eingetreten darstellt, so undenk-
bar 3), daſs es jeden, der ausserhalb gewisser Vorurtheile
steht (was der Kritiker immer soll), unwillkührlich an das
Fabelreich erinnern muſs. Und im fabelhaften Gebiet mor-
genländischer, näher jüdischer Sage finden wir wirklich
das plötzliche sowohl Entstehen – als Verschwindenmachen
des Aussatzes zuerst. Als Jehova den Moses zum Behuf
seiner Sendung nach Ägypten mit der Fähigkeit, allerlei
Zeichen zu thun, ausrüstete, hieſs er ihn unter Anderem
auch seine Hand in den Busen stecken, und als er sie

3) vgl. Hase, L. J. §. 86.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0075" n="56"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
lassen. Freilich wei&#x017F;s <hi rendition="#k">Paulus</hi>, wie schon bemerkt, diese<lb/>
Angabe auf eine allmählige natürliche Genesung zu deuten,<lb/>
da <foreign xml:lang="ell">&#x03B5;&#x1F50;&#x03D1;&#x03AD;&#x03C9;&#x03C2;</foreign>, wodurch die Evangelisten die Zeit derselben<lb/>
bestimmen, je nach dem verschiedenen Zusammenhange das<lb/>
einemal sogleich bedeute, das andremal nur bald und un-<lb/>
gehindert. Die&#x017F;s eingeräumt, soll nun das bei Markus in<lb/>
unmittelbarem Zusammenhang folgende <foreign xml:lang="ell">&#x03B5;&#x1F50;&#x03D1;&#x03AD;&#x03C9;&#x03C2; &#x1F10;&#x03BE;&#x03AD;&#x03B2;&#x03B1;&#x03BB;&#x03B5;&#x03BD;<lb/>
&#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x1F78;&#x03BD;</foreign> (V. 43.) sagen wollen, bald und ungehindert habe<lb/>
Jesus den Geheilten hinausgetrieben? Oder soll in zwei<lb/>
aufeinander folgenden Versen das Wort in verschiedenem<lb/>
Sinne genommen werden?</p><lb/>
          <p>Ist somit nach der Absicht der evangelischen Referen-<lb/>
ten von einem augenblicklichen Verschwinden des Aussatzes<lb/>
auf das Wort und die Berührung Jesu hin die Rede: so<lb/>
ist, sich die&#x017F;s denkbar zu machen, freilich noch eine ganz<lb/>
andre Aufgabe, als die, das augenblickliche Zurechtbrin-<lb/>
gen eines mit fixer Idee Behafteten, oder einen bleibend<lb/>
stärkenden Eindruck auf einen Nervenkranken sich vorzu-<lb/>
stellen. Da&#x017F;s eine, in Folge tiefer Verderbni&#x017F;s der Säfte<lb/>
durch den hartnäckigsten und bösartigsten aller Ausschläge<lb/>
zerfressene Haut durch ein Wort und eine Berührung au-<lb/>
genblicklich rein und gesund geworden sein sollte, die&#x017F;s<lb/>
ist, weil es etwas einer langen Reihe von Vermittlungen<lb/>
Bedürftiges als unmittelbar eingetreten darstellt, so undenk-<lb/>
bar <note place="foot" n="3)">vgl. <hi rendition="#k">Hase</hi>, L. J. §. 86.</note>, da&#x017F;s es jeden, der ausserhalb gewisser Vorurtheile<lb/>
steht (was der Kritiker immer soll), unwillkührlich an das<lb/>
Fabelreich erinnern mu&#x017F;s. Und im fabelhaften Gebiet mor-<lb/>
genländischer, näher jüdischer Sage finden wir wirklich<lb/>
das plötzliche sowohl Entstehen &#x2013; als Verschwindenmachen<lb/>
des Aussatzes zuerst. Als Jehova den Moses zum Behuf<lb/>
seiner Sendung nach Ägypten mit der Fähigkeit, allerlei<lb/>
Zeichen zu thun, ausrüstete, hie&#x017F;s er ihn unter Anderem<lb/>
auch seine Hand in den Busen stecken, und als er sie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0075] Zweiter Abschnitt. lassen. Freilich weiſs Paulus, wie schon bemerkt, diese Angabe auf eine allmählige natürliche Genesung zu deuten, da εὐϑέως, wodurch die Evangelisten die Zeit derselben bestimmen, je nach dem verschiedenen Zusammenhange das einemal sogleich bedeute, das andremal nur bald und un- gehindert. Dieſs eingeräumt, soll nun das bei Markus in unmittelbarem Zusammenhang folgende εὐϑέως ἐξέβαλεν αὐτὸν (V. 43.) sagen wollen, bald und ungehindert habe Jesus den Geheilten hinausgetrieben? Oder soll in zwei aufeinander folgenden Versen das Wort in verschiedenem Sinne genommen werden? Ist somit nach der Absicht der evangelischen Referen- ten von einem augenblicklichen Verschwinden des Aussatzes auf das Wort und die Berührung Jesu hin die Rede: so ist, sich dieſs denkbar zu machen, freilich noch eine ganz andre Aufgabe, als die, das augenblickliche Zurechtbrin- gen eines mit fixer Idee Behafteten, oder einen bleibend stärkenden Eindruck auf einen Nervenkranken sich vorzu- stellen. Daſs eine, in Folge tiefer Verderbniſs der Säfte durch den hartnäckigsten und bösartigsten aller Ausschläge zerfressene Haut durch ein Wort und eine Berührung au- genblicklich rein und gesund geworden sein sollte, dieſs ist, weil es etwas einer langen Reihe von Vermittlungen Bedürftiges als unmittelbar eingetreten darstellt, so undenk- bar 3), daſs es jeden, der ausserhalb gewisser Vorurtheile steht (was der Kritiker immer soll), unwillkührlich an das Fabelreich erinnern muſs. Und im fabelhaften Gebiet mor- genländischer, näher jüdischer Sage finden wir wirklich das plötzliche sowohl Entstehen – als Verschwindenmachen des Aussatzes zuerst. Als Jehova den Moses zum Behuf seiner Sendung nach Ägypten mit der Fähigkeit, allerlei Zeichen zu thun, ausrüstete, hieſs er ihn unter Anderem auch seine Hand in den Busen stecken, und als er sie 3) vgl. Hase, L. J. §. 86.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/75
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/75>, abgerufen am 25.11.2024.