schen Gesinnung bewusst ist, dass er gegründetes Ver- trauen auf sich setzen kann, er würde unter ähnlichen Versuchungen und Leiden, wie sie an dem Urbilde der Menschheit als Probierstein seiner moralischen Gesinnung vorgestellt werden, diesem unwandelbar anhängig und in treuer Nachfolge ähnlich bleiben, ein solcher Mensch al- lein ist befugt, sich für einen Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens zu halten. Um zu solcher Gesinnung sich zu erheben, muss der Mensch vom Bösen ausgehen, den alten Menschen ausziehen, sein Fleisch kreuzigen; eine Umänderung, welche wesentlich mit einer Reihe von Schmerzen und Leiden verbunden ist. Diese hat der alte Mensch als Strafen verdient: sie treffen aber den neuen, indem der Wiedergeborene, der sie auf sich nimmt, nur noch physisch, seinem empirischen Charakter nach, als Sin- nenwesen, der alte bleibt, moralisch aber, als intelligib- les Wesen, in seiner veränderten Gesinnung, ein neuer Mensch geworden ist. Sofern er nun in der Sinnesände- rung die Gesinnung des Sohnes Gottes in sich aufgenom- men hat, so kann, was eigentlich ein Stellvertreten des alten Menschen für den neuen ist, als Stellvertretung des Sohnes Gottes, wenn man die Idee personificirt, vorge- stellt und gesagt werden, dieser selbst trage für den Men- schen, für alle, die an ihn praktisch glauben, als Stellver- treter die Sündenschuld, thue durch Leiden und Tod der höchsten Gerechtigkeit als Erlöser genug, und mache als Sachverwalter, dass sie hoffen können, vor dem Rich- ter als gerechtfertigt zu erscheinen, indem das Leiden, wel- ches der neue Mensch, indem er dem alten abstirbt, im Leben fortwährend übernehmen muss, an dem Repräsen- tanten der Menschheit als ein für allemal erlittener Tod vorgestellt wird 4).
4) a. a. O. 2tes Stück, 1ter Abschn. 3tes Stück, 1te Abthlg.
Schluſsabhandlung. §. 145.
schen Gesinnung bewuſst ist, daſs er gegründetes Ver- trauen auf sich setzen kann, er würde unter ähnlichen Versuchungen und Leiden, wie sie an dem Urbilde der Menschheit als Probierstein seiner moralischen Gesinnung vorgestellt werden, diesem unwandelbar anhängig und in treuer Nachfolge ähnlich bleiben, ein solcher Mensch al- lein ist befugt, sich für einen Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens zu halten. Um zu solcher Gesinnung sich zu erheben, muſs der Mensch vom Bösen ausgehen, den alten Menschen ausziehen, sein Fleisch kreuzigen; eine Umänderung, welche wesentlich mit einer Reihe von Schmerzen und Leiden verbunden ist. Diese hat der alte Mensch als Strafen verdient: sie treffen aber den neuen, indem der Wiedergeborene, der sie auf sich nimmt, nur noch physisch, seinem empirischen Charakter nach, als Sin- nenwesen, der alte bleibt, moralisch aber, als intelligib- les Wesen, in seiner veränderten Gesinnung, ein neuer Mensch geworden ist. Sofern er nun in der Sinnesände- rung die Gesinnung des Sohnes Gottes in sich aufgenom- men hat, so kann, was eigentlich ein Stellvertreten des alten Menschen für den neuen ist, als Stellvertretung des Sohnes Gottes, wenn man die Idee personificirt, vorge- stellt und gesagt werden, dieser selbst trage für den Men- schen, für alle, die an ihn praktisch glauben, als Stellver- treter die Sündenschuld, thue durch Leiden und Tod der höchsten Gerechtigkeit als Erlöser genug, und mache als Sachverwalter, daſs sie hoffen können, vor dem Rich- ter als gerechtfertigt zu erscheinen, indem das Leiden, wel- ches der neue Mensch, indem er dem alten abstirbt, im Leben fortwährend übernehmen muſs, an dem Repräsen- tanten der Menschheit als ein für allemal erlittener Tod vorgestellt wird 4).
4) a. a. O. 2tes Stück, 1ter Abschn. 3tes Stück, 1te Abthlg.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0743"n="724"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Schluſsabhandlung</hi>. §. 145.</fw><lb/>
schen Gesinnung bewuſst ist, daſs er gegründetes Ver-<lb/>
trauen auf sich setzen kann, er würde unter ähnlichen<lb/>
Versuchungen und Leiden, wie sie an dem Urbilde der<lb/>
Menschheit als Probierstein seiner moralischen Gesinnung<lb/>
vorgestellt werden, diesem unwandelbar anhängig und in<lb/>
treuer Nachfolge ähnlich bleiben, ein solcher Mensch al-<lb/>
lein ist befugt, sich für einen Gegenstand des göttlichen<lb/>
Wohlgefallens zu halten. Um zu solcher Gesinnung sich<lb/>
zu erheben, muſs der Mensch vom Bösen ausgehen, den<lb/>
alten Menschen ausziehen, sein Fleisch kreuzigen; eine<lb/>
Umänderung, welche wesentlich mit einer Reihe von<lb/>
Schmerzen und Leiden verbunden ist. Diese hat der alte<lb/>
Mensch als Strafen verdient: sie treffen aber den neuen,<lb/>
indem der Wiedergeborene, der sie auf sich nimmt, nur<lb/>
noch physisch, seinem empirischen Charakter nach, als Sin-<lb/>
nenwesen, der alte bleibt, moralisch aber, als intelligib-<lb/>
les Wesen, in seiner veränderten Gesinnung, ein neuer<lb/>
Mensch geworden ist. Sofern er nun in der Sinnesände-<lb/>
rung die Gesinnung des Sohnes Gottes in sich aufgenom-<lb/>
men hat, so kann, was eigentlich ein Stellvertreten des<lb/>
alten Menschen für den neuen ist, als Stellvertretung des<lb/>
Sohnes Gottes, wenn man die Idee personificirt, vorge-<lb/>
stellt und gesagt werden, dieser selbst trage für den Men-<lb/>
schen, für alle, die an ihn praktisch glauben, als Stellver-<lb/>
treter die Sündenschuld, thue durch Leiden und Tod der<lb/>
höchsten Gerechtigkeit als Erlöser genug, und mache<lb/>
als Sachverwalter, daſs sie hoffen können, vor dem Rich-<lb/>
ter als gerechtfertigt zu erscheinen, indem das Leiden, wel-<lb/>
ches der neue Mensch, indem er dem alten abstirbt, im<lb/>
Leben fortwährend übernehmen muſs, an dem Repräsen-<lb/>
tanten der Menschheit als ein für allemal erlittener Tod<lb/>
vorgestellt wird <noteplace="foot"n="4)">a. a. O. 2tes Stück, 1ter Abschn. 3tes Stück, 1te Abthlg.</note>.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[724/0743]
Schluſsabhandlung. §. 145.
schen Gesinnung bewuſst ist, daſs er gegründetes Ver-
trauen auf sich setzen kann, er würde unter ähnlichen
Versuchungen und Leiden, wie sie an dem Urbilde der
Menschheit als Probierstein seiner moralischen Gesinnung
vorgestellt werden, diesem unwandelbar anhängig und in
treuer Nachfolge ähnlich bleiben, ein solcher Mensch al-
lein ist befugt, sich für einen Gegenstand des göttlichen
Wohlgefallens zu halten. Um zu solcher Gesinnung sich
zu erheben, muſs der Mensch vom Bösen ausgehen, den
alten Menschen ausziehen, sein Fleisch kreuzigen; eine
Umänderung, welche wesentlich mit einer Reihe von
Schmerzen und Leiden verbunden ist. Diese hat der alte
Mensch als Strafen verdient: sie treffen aber den neuen,
indem der Wiedergeborene, der sie auf sich nimmt, nur
noch physisch, seinem empirischen Charakter nach, als Sin-
nenwesen, der alte bleibt, moralisch aber, als intelligib-
les Wesen, in seiner veränderten Gesinnung, ein neuer
Mensch geworden ist. Sofern er nun in der Sinnesände-
rung die Gesinnung des Sohnes Gottes in sich aufgenom-
men hat, so kann, was eigentlich ein Stellvertreten des
alten Menschen für den neuen ist, als Stellvertretung des
Sohnes Gottes, wenn man die Idee personificirt, vorge-
stellt und gesagt werden, dieser selbst trage für den Men-
schen, für alle, die an ihn praktisch glauben, als Stellver-
treter die Sündenschuld, thue durch Leiden und Tod der
höchsten Gerechtigkeit als Erlöser genug, und mache
als Sachverwalter, daſs sie hoffen können, vor dem Rich-
ter als gerechtfertigt zu erscheinen, indem das Leiden, wel-
ches der neue Mensch, indem er dem alten abstirbt, im
Leben fortwährend übernehmen muſs, an dem Repräsen-
tanten der Menschheit als ein für allemal erlittener Tod
vorgestellt wird 4).
4) a. a. O. 2tes Stück, 1ter Abschn. 3tes Stück, 1te Abthlg.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 724. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/743>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.