Der Widerstreit mit der Wissenschaft knüpft sich zu- nächst an die Formel, in Christus sei das Urbildliche zu- gleich geschichtlich gewesen. Dass diess ein gefährlicher Punkt sei, ist Schleiermacher'n selbst nicht entgangen. Kaum hat er den bezeichneten Saz aufgestellt, so sagt er sich auch schon, wie schwer es zu denken ist, dass das Urbildliche in einem geschichtlichen Einzelwesen vollstän- dig zur Wirklichkeit gekommen sein sollte, da wir das Urbild sonst nie in einer einzelnen Erscheinung, sondern nur in einem ganzen Kreise von solchen, die sich gegen- seitig ergänzen, verwirklicht finden. Zwar soll nun die Urbildlichkeit Christi keineswegs auf die tausenderlei Be- ziehungen des menschlichen Lebens sich erstrecken, so dass er auch für alles Wissen, oder alle Kunst und Geschick- lichkeit, die sich in der menschlichen Gesellschaft entwik- kelt, urbildlich sein müsste, sondern nur für das Gebiet des Gottesbewusstseins: allein diess ändert, wie Schmid mit Recht bemerkt, nichts, da auch das Gottesbewusstsein in seiner Entwicklung und Erscheinung den Bedingungen der Endlichkeit und Unvollkommenheit unterworfen ist, und wenn auch nur in diesem Gebiete das Ideal in einer einzelnen historischen Person als wirklich anerkannt wer- den soll, diess nicht geschehen kann, ohne die Gesetze der Natur durch Annahme eines Wunders zu durchbre- chen. Doch diess schreckt Schleiermacher'n keineswegs zurück, sondern eben hier, meint er, sei der einzige Ort, wo die christliche Glaubenslehre dem Wunder in sich Raum geben müsse, indem die Entstehung der Person Christi aur als Resultat eines schöpferischen göttlichen Akts be- griffen werden könne. Zwar soll nun das Wunderbare nur auf den ersten Eintritt Christi in die Reihe des, Da-
men, vgl. Braniss, über Schleiermacher's Glaubenslehre; H. Schmid, über Schl. Glaubensl. S. 263 ff. Baur, die christl. Gnosis, S. 626 ff., und die angef. Recens. von Rosenkranz.
Schluſsabhandlung. §. 144.
Der Widerstreit mit der Wissenschaft knüpft sich zu- nächst an die Formel, in Christus sei das Urbildliche zu- gleich geschichtlich gewesen. Daſs dieſs ein gefährlicher Punkt sei, ist Schleiermacher'n selbst nicht entgangen. Kaum hat er den bezeichneten Saz aufgestellt, so sagt er sich auch schon, wie schwer es zu denken ist, daſs das Urbildliche in einem geschichtlichen Einzelwesen vollstän- dig zur Wirklichkeit gekommen sein sollte, da wir das Urbild sonst nie in einer einzelnen Erscheinung, sondern nur in einem ganzen Kreise von solchen, die sich gegen- seitig ergänzen, verwirklicht finden. Zwar soll nun die Urbildlichkeit Christi keineswegs auf die tausenderlei Be- ziehungen des menschlichen Lebens sich erstrecken, so daſs er auch für alles Wissen, oder alle Kunst und Geschick- lichkeit, die sich in der menschlichen Gesellschaft entwik- kelt, urbildlich sein müſste, sondern nur für das Gebiet des Gottesbewuſstseins: allein dieſs ändert, wie Schmid mit Recht bemerkt, nichts, da auch das Gottesbewuſstsein in seiner Entwicklung und Erscheinung den Bedingungen der Endlichkeit und Unvollkommenheit unterworfen ist, und wenn auch nur in diesem Gebiete das Ideal in einer einzelnen historischen Person als wirklich anerkannt wer- den soll, dieſs nicht geschehen kann, ohne die Gesetze der Natur durch Annahme eines Wunders zu durchbre- chen. Doch dieſs schreckt Schleiermacher'n keineswegs zurück, sondern eben hier, meint er, sei der einzige Ort, wo die christliche Glaubenslehre dem Wunder in sich Raum geben müsse, indem die Entstehung der Person Christi aur als Resultat eines schöpferischen göttlichen Akts be- griffen werden könne. Zwar soll nun das Wunderbare nur auf den ersten Eintritt Christi in die Reihe des, Da-
men, vgl. Braniss, über Schleiermacher's Glaubenslehre; H. Schmid, über Schl. Glaubensl. S. 263 ff. Baur, die christl. Gnosis, S. 626 ff., und die angef. Recens. von Rosenkranz.
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Schluſsabhandlung. §. 144.
Der Widerstreit mit der Wissenschaft knüpft sich zu-
nächst an die Formel, in Christus sei das Urbildliche zu-
gleich geschichtlich gewesen. Daſs dieſs ein gefährlicher
Punkt sei, ist Schleiermacher'n selbst nicht entgangen.
Kaum hat er den bezeichneten Saz aufgestellt, so sagt er
sich auch schon, wie schwer es zu denken ist, daſs das
Urbildliche in einem geschichtlichen Einzelwesen vollstän-
dig zur Wirklichkeit gekommen sein sollte, da wir das
Urbild sonst nie in einer einzelnen Erscheinung, sondern
nur in einem ganzen Kreise von solchen, die sich gegen-
seitig ergänzen, verwirklicht finden. Zwar soll nun die
Urbildlichkeit Christi keineswegs auf die tausenderlei Be-
ziehungen des menschlichen Lebens sich erstrecken, so daſs
er auch für alles Wissen, oder alle Kunst und Geschick-
lichkeit, die sich in der menschlichen Gesellschaft entwik-
kelt, urbildlich sein müſste, sondern nur für das Gebiet
des Gottesbewuſstseins: allein dieſs ändert, wie Schmid
mit Recht bemerkt, nichts, da auch das Gottesbewuſstsein
in seiner Entwicklung und Erscheinung den Bedingungen
der Endlichkeit und Unvollkommenheit unterworfen ist,
und wenn auch nur in diesem Gebiete das Ideal in einer
einzelnen historischen Person als wirklich anerkannt wer-
den soll, dieſs nicht geschehen kann, ohne die Gesetze
der Natur durch Annahme eines Wunders zu durchbre-
chen. Doch dieſs schreckt Schleiermacher'n keineswegs
zurück, sondern eben hier, meint er, sei der einzige Ort,
wo die christliche Glaubenslehre dem Wunder in sich Raum
geben müsse, indem die Entstehung der Person Christi
aur als Resultat eines schöpferischen göttlichen Akts be-
griffen werden könne. Zwar soll nun das Wunderbare
nur auf den ersten Eintritt Christi in die Reihe des, Da-
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4) men, vgl. Braniss, über Schleiermacher's Glaubenslehre; H.
Schmid, über Schl. Glaubensl. S. 263 ff. Baur, die christl.
Gnosis, S. 626 ff., und die angef. Recens. von Rosenkranz.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 715. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/734>, abgerufen am 22.11.2024.
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