Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Schlussabhandlung. §. 141. die Menschheit, bald die wahre Vereinigung beider in An-spruch genommen wurde. Diejenigen zwar, welche, wie die Ebioniten, die Gottheit, oder, wie die doketischen Gno- stiker, die Menschheit Christi durchaus aufhoben 2), schlos- sen sich zu entschieden von der christlichen Gemeinschaft aus, welche ihrerseits den Grundsaz festhielt: dass edei ton mesiten theou te kai anthropon dia idias pros ekaterous oikeiotetos eis philian kai omonoian tous amphoterous sunaga- gein, kai theo men parasesai ton anthropon, anthropois de gnorisai ton theon 3). Aber wenn etwa bloss die Vollstän- digkeit der einen oder andern Natur geleugnet wurde, wenn Arius wohl ein göttliches, aber geschaffenes und dem höchsten Gott untergeordnetes Wesen in Christo Mensch geworden sein liess 4), wenn derselbe Christo zwar einen menschlichen Leib zuschrieb, in welchem aber die Stelle der Seele eben jenes höhere Wesen eingenommen habe 5), und Apollinaris ausser dem Leib auch noch die Seele Jesu wahrhaft menschlich sein, und nur an die Stelle des drit- ten Princips im Menschen, des nous, das göttliche Wesen treten liess 6): so konnte solchen Ansichten schon eher ein Schein des Christlichen gegeben werden. Dennoch wies das Bewusstsein der Kirche sowohl die arianische Vorstel- lung von einem in Jesu Mensch gewordnen Untergott ne- ben andern minder wesentlichen Gründen auch desswegen zurück, weil auf liese Weise in Christo nicht das anschau- bare Ebenbild der Gottheit erschienen wäre 7); als die arianisch-apollinaristische von einer der menschlichen psukhe oder des menschlichen nous ermangelnden Menschennatur Christi unter Andrem aus dem Grunde, weil nur durch 2) s. Münscher's Dogmengesch., herausgeg. von Cölln, 1, §. 78. 3) Iren. adv. haer. 3, 18, 7. 4) s. Münscher, §. 69 ff. 5) Ebendas. §. 79. Anm. 2. 6) Ebendas. Anm. 5. 7) Ebds. S. 235.
Schluſsabhandlung. §. 141. die Menschheit, bald die wahre Vereinigung beider in An-spruch genommen wurde. Diejenigen zwar, welche, wie die Ebioniten, die Gottheit, oder, wie die doketischen Gno- stiker, die Menschheit Christi durchaus aufhoben 2), schlos- sen sich zu entschieden von der christlichen Gemeinschaft aus, welche ihrerseits den Grundsaz festhielt: daſs ἔδει τὸν μεσίτην ϑεοῦ τε καὶ ἀνϑρώπων διὰ ἰδίας πρὸς ἑκατέρους οἰκειότητος εἰς φιλίαν καὶ ὁμόνοιαν τοὺς ἀμφοτέρους συναγα- γεῖν, καὶ ϑεῷ μὲν παραςῆσαι τὸν ἄνϑρωπον, ἀνϑρώποις δὲ γνωρίσαι τὸν ϑεόν 3). Aber wenn etwa bloſs die Vollstän- digkeit der einen oder andern Natur geleugnet wurde, wenn Arius wohl ein göttliches, aber geschaffenes und dem höchsten Gott untergeordnetes Wesen in Christo Mensch geworden sein lieſs 4), wenn derselbe Christo zwar einen menschlichen Leib zuschrieb, in welchem aber die Stelle der Seele eben jenes höhere Wesen eingenommen habe 5), und Apollinaris ausser dem Leib auch noch die Seele Jesu wahrhaft menschlich sein, und nur an die Stelle des drit- ten Princips im Menschen, des νοῦς, das göttliche Wesen treten lieſs 6): so konnte solchen Ansichten schon eher ein Schein des Christlichen gegeben werden. Dennoch wies das Bewuſstsein der Kirche sowohl die arianische Vorstel- lung von einem in Jesu Mensch gewordnen Untergott ne- ben andern minder wesentlichen Gründen auch deſswegen zurück, weil auf liese Weise in Christo nicht das anschau- bare Ebenbild der Gottheit erschienen wäre 7); als die arianisch-apollinaristische von einer der menschlichen ψυχὴ oder des menschlichen νοῦς ermangelnden Menschennatur Christi unter Andrem aus dem Grunde, weil nur durch 2) s. Münscher's Dogmengesch., herausgeg. von Cölln, 1, §. 78. 3) Iren. adv. haer. 3, 18, 7. 4) s. Münscher, §. 69 ff. 5) Ebendas. §. 79. Anm. 2. 6) Ebendas. Anm. 5. 7) Ebds. S. 235.
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Schluſsabhandlung. §. 141.
die Menschheit, bald die wahre Vereinigung beider in An-
spruch genommen wurde. Diejenigen zwar, welche, wie
die Ebioniten, die Gottheit, oder, wie die doketischen Gno-
stiker, die Menschheit Christi durchaus aufhoben 2), schlos-
sen sich zu entschieden von der christlichen Gemeinschaft
aus, welche ihrerseits den Grundsaz festhielt: daſs ἔδει
τὸν μεσίτην ϑεοῦ τε καὶ ἀνϑρώπων διὰ ἰδίας πρὸς ἑκατέρους
οἰκειότητος εἰς φιλίαν καὶ ὁμόνοιαν τοὺς ἀμφοτέρους συναγα-
γεῖν, καὶ ϑεῷ μὲν παραςῆσαι τὸν ἄνϑρωπον, ἀνϑρώποις δὲ
γνωρίσαι τὸν ϑεόν 3). Aber wenn etwa bloſs die Vollstän-
digkeit der einen oder andern Natur geleugnet wurde,
wenn Arius wohl ein göttliches, aber geschaffenes und dem
höchsten Gott untergeordnetes Wesen in Christo Mensch
geworden sein lieſs 4), wenn derselbe Christo zwar einen
menschlichen Leib zuschrieb, in welchem aber die Stelle
der Seele eben jenes höhere Wesen eingenommen habe 5),
und Apollinaris ausser dem Leib auch noch die Seele Jesu
wahrhaft menschlich sein, und nur an die Stelle des drit-
ten Princips im Menschen, des νοῦς, das göttliche Wesen
treten lieſs 6): so konnte solchen Ansichten schon eher ein
Schein des Christlichen gegeben werden. Dennoch wies
das Bewuſstsein der Kirche sowohl die arianische Vorstel-
lung von einem in Jesu Mensch gewordnen Untergott ne-
ben andern minder wesentlichen Gründen auch deſswegen
zurück, weil auf liese Weise in Christo nicht das anschau-
bare Ebenbild der Gottheit erschienen wäre 7); als die
arianisch-apollinaristische von einer der menschlichen ψυχὴ
oder des menschlichen νοῦς ermangelnden Menschennatur
Christi unter Andrem aus dem Grunde, weil nur durch
2) s. Münscher's Dogmengesch., herausgeg. von Cölln, 1, §. 78.
3) Iren. adv. haer. 3, 18, 7.
4) s. Münscher, §. 69 ff.
5) Ebendas. §. 79. Anm. 2.
6) Ebendas. Anm. 5.
7) Ebds. S. 235.
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