Hauses nicht ausschliesse: aber, die meiste Zeit im Tem- pel sein (diess sagt doch wohl das diapantos), und, ge- wöhnlich im oberen Stockwerk sich aufhalten (katamenon- tes) schliesst einander aus. Man kann in dieser Differenz ein Fortschreiten der christlichen Selbstständigkeit erbli- cken. Zunächst fand man kein Arges darin, die Jünger nach der Rückkehr von Jesu Himmelfahrt im alten Natio- nalheiligthum ihre andächtigen Zusammenkünfte halten zu lassen; bald aber erschien diess zu jüdisch, und sie muss- ten zu dem Ende ein eigenes uperoon beziehen: von dem jüdischen Tempel trennte sich der christliche Versamm- lungssaal.
Wie hienach diejenigen, welche von einer Himmel- fahrt Jesu wussten, diese in Bezug auf die näheren Um- stände sich keineswegs auf dieselbe Weise vorstellten: so muss es überhaupt vom lezten Schluss des Lebens Jesu zweierlei Vorstellungsweisen gegeben haben, indem die Einen diesen Schluss als eine sichtbare Himmelfahrt dachten, die Andern nicht 15). Wenn Matthäus Jesum vor Gericht seine Erhebung zur Rechten der göttlichen Kraft vorher- sagen (26, 64.), und nach seiner Auferstehung ihn versi- chern lässt, dass ihm nun pasa exousia en ourano kai epi ges ge- geben sei (28, 18.), dennoch aber von einer sichtbaren Him- melfahrt nichts hat, vielmehr Jesu die Versicherung in den Mund legt: ego meth umon eimi pasas tas emeras eos tes sunteleias tou aionos (V. 20.): so liegt hier offenbar die Vorstellung zu Grunde, dass Jesus, ohne Zweifel schon bei der Auferstehung, unsichtbar zum Vater aufge- stiegen, zugleich unsichtbar immer um die Seinigen sei, und aus dieser Verborgenheit heraus sich, so oft er es nöthig finde, in Christophanien offenbare; auch der Verfas-
15) Hierüber vgl. besonders Ammon, Ascensus J. C. in coelum historia biblica. In s. opusc. nov. p.43 ff.; auch Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 83 ff.
Fünftes Kapitel. §. 139.
Hauses nicht ausschlieſse: aber, die meiste Zeit im Tem- pel sein (dieſs sagt doch wohl das διαπαντὸς), und, ge- wöhnlich im oberen Stockwerk sich aufhalten (καταμένον- τες) schlieſst einander aus. Man kann in dieser Differenz ein Fortschreiten der christlichen Selbstständigkeit erbli- cken. Zunächst fand man kein Arges darin, die Jünger nach der Rückkehr von Jesu Himmelfahrt im alten Natio- nalheiligthum ihre andächtigen Zusammenkünfte halten zu lassen; bald aber erschien dieſs zu jüdisch, und sie muſs- ten zu dem Ende ein eigenes ὑπερῷον beziehen: von dem jüdischen Tempel trennte sich der christliche Versamm- lungssaal.
Wie hienach diejenigen, welche von einer Himmel- fahrt Jesu wuſsten, diese in Bezug auf die näheren Um- stände sich keineswegs auf dieselbe Weise vorstellten: so muſs es überhaupt vom lezten Schluſs des Lebens Jesu zweierlei Vorstellungsweisen gegeben haben, indem die Einen diesen Schluſs als eine sichtbare Himmelfahrt dachten, die Andern nicht 15). Wenn Matthäus Jesum vor Gericht seine Erhebung zur Rechten der göttlichen Kraft vorher- sagen (26, 64.), und nach seiner Auferstehung ihn versi- chern läſst, daſs ihm nun πᾶσα ἐξουσία ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ γῆς ge- geben sei (28, 18.), dennoch aber von einer sichtbaren Him- melfahrt nichts hat, vielmehr Jesu die Versicherung in den Mund legt: ἐγὼ μεϑ̕ ὑμῶν εἰμι πάσας τὰς ἡμέρας ἕως τῆς συντελείας τοῦ αἰῶνος (V. 20.): so liegt hier offenbar die Vorstellung zu Grunde, daſs Jesus, ohne Zweifel schon bei der Auferstehung, unsichtbar zum Vater aufge- stiegen, zugleich unsichtbar immer um die Seinigen sei, und aus dieser Verborgenheit heraus sich, so oft er es nöthig finde, in Christophanien offenbare; auch der Verfas-
15) Hierüber vgl. besonders Ammon, Ascensus J. C. in coelum historia biblica. In s. opusc. nov. p.43 ff.; auch Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 83 ff.
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Fünftes Kapitel. §. 139.
Hauses nicht ausschlieſse: aber, die meiste Zeit im Tem-
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wöhnlich im oberen Stockwerk sich aufhalten (καταμένον-
τες) schlieſst einander aus. Man kann in dieser Differenz
ein Fortschreiten der christlichen Selbstständigkeit erbli-
cken. Zunächst fand man kein Arges darin, die Jünger
nach der Rückkehr von Jesu Himmelfahrt im alten Natio-
nalheiligthum ihre andächtigen Zusammenkünfte halten zu
lassen; bald aber erschien dieſs zu jüdisch, und sie muſs-
ten zu dem Ende ein eigenes ὑπερῷον beziehen: von dem
jüdischen Tempel trennte sich der christliche Versamm-
lungssaal.
Wie hienach diejenigen, welche von einer Himmel-
fahrt Jesu wuſsten, diese in Bezug auf die näheren Um-
stände sich keineswegs auf dieselbe Weise vorstellten: so
muſs es überhaupt vom lezten Schluſs des Lebens Jesu
zweierlei Vorstellungsweisen gegeben haben, indem die Einen
diesen Schluſs als eine sichtbare Himmelfahrt dachten, die
Andern nicht 15). Wenn Matthäus Jesum vor Gericht
seine Erhebung zur Rechten der göttlichen Kraft vorher-
sagen (26, 64.), und nach seiner Auferstehung ihn versi-
chern läſst, daſs ihm nun πᾶσα ἐξουσία ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ γῆς ge-
geben sei (28, 18.), dennoch aber von einer sichtbaren Him-
melfahrt nichts hat, vielmehr Jesu die Versicherung in
den Mund legt: ἐγὼ μεϑ̕ ὑμῶν εἰμι πάσας τὰς ἡμέρας ἕως
τῆς συντελείας τοῦ αἰῶνος (V. 20.): so liegt hier offenbar
die Vorstellung zu Grunde, daſs Jesus, ohne Zweifel
schon bei der Auferstehung, unsichtbar zum Vater aufge-
stiegen, zugleich unsichtbar immer um die Seinigen sei,
und aus dieser Verborgenheit heraus sich, so oft er es
nöthig finde, in Christophanien offenbare; auch der Verfas-
15) Hierüber vgl. besonders Ammon, Ascensus J. C. in coelum
historia biblica. In s. opusc. nov. p.43 ff.; auch Kaiser,
bibl. Theol. 1, S. 83 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/702>, abgerufen am 22.11.2024.
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