Referenten die Geistesmittheilung in die Tage der Aufer- stehung fiel. Zunächst zwar sollte man freilich denken, diese Mittheilung, zumal mit derselben bei Johannes die förmliche Ernennung der Jünger zu seinen Abgesandten und die Ertheilung der Vollmacht zur Vergebung und Be- haltung der Sünden verbunden ist (vgl. Matth. 18, 18.), möge sich eher an den Schluss, als für den Anfang der Erscheinungen des Auferstandenen, und in eine Plenar- versammlung der Apostel eher, als in eine, wo Thomas fehlte, geeignet haben; allein desswegen mit Olshausen anzunehmen, der Evangelist hänge nur der Kürze wegen die Geistesmittheilung gleich der ersten Erscheinung an, während sie eigentlich in eine spätere Zusammenkunft ge- höre, bleibt immer eine unerlaubte Willkühr, statt deren man vielmehr anerkennen muss, dass der Verfasser des vierten Evangeliums diese erste Erscheinung Jesu als die Haupterscheinung, die nach acht Tagen nur als eine Nachholung zu Gunsten des Thomas angesehen hat. Die Erscheinung Kap. 21. ist ohnehin ein Nachtrag, der dem Verfasser, als er das Evangelium schrieb, entweder noch nicht bekannt, oder doch nicht gegenwärtig war.
§. 138. Die sogenannte Himmelfahrt als übernatürliches und als na- türliches Ereigniss.
Über die Himmelfahrt Jesu haben wir im N. T. drei Berichte, welche in Hinsicht der Ausführlichkeit und An- schaulichkeit eine Stufenreihe bilden. Markus, in seinem lezten Abschnitt überhaupt sehr kurz und abgebrochen, sagt nur, nachdem Jesus zum leztenmal mit seinen Jün- gern gesprochen hatte, sei er in den Himmel aufgehoben worden (anelephthe) und habe sich zur Rechten Gottes ge- sezt (16, 19.). Kaum anschaulicher heisst es im Lukas- evangelium: Jesus habe seine Jünger exo eos eis Bethanian hinausgeführt, und während er hier mit aufgehobenen
Dritter Abschnitt.
Referenten die Geistesmittheilung in die Tage der Aufer- stehung fiel. Zunächst zwar sollte man freilich denken, diese Mittheilung, zumal mit derselben bei Johannes die förmliche Ernennung der Jünger zu seinen Abgesandten und die Ertheilung der Vollmacht zur Vergebung und Be- haltung der Sünden verbunden ist (vgl. Matth. 18, 18.), möge sich eher an den Schluſs, als für den Anfang der Erscheinungen des Auferstandenen, und in eine Plenar- versammlung der Apostel eher, als in eine, wo Thomas fehlte, geeignet haben; allein deſswegen mit Olshausen anzunehmen, der Evangelist hänge nur der Kürze wegen die Geistesmittheilung gleich der ersten Erscheinung an, während sie eigentlich in eine spätere Zusammenkunft ge- höre, bleibt immer eine unerlaubte Willkühr, statt deren man vielmehr anerkennen muſs, daſs der Verfasser des vierten Evangeliums diese erste Erscheinung Jesu als die Haupterscheinung, die nach acht Tagen nur als eine Nachholung zu Gunsten des Thomas angesehen hat. Die Erscheinung Kap. 21. ist ohnehin ein Nachtrag, der dem Verfasser, als er das Evangelium schrieb, entweder noch nicht bekannt, oder doch nicht gegenwärtig war.
§. 138. Die sogenannte Himmelfahrt als übernatürliches und als na- türliches Ereigniss.
Über die Himmelfahrt Jesu haben wir im N. T. drei Berichte, welche in Hinsicht der Ausführlichkeit und An- schaulichkeit eine Stufenreihe bilden. Markus, in seinem lezten Abschnitt überhaupt sehr kurz und abgebrochen, sagt nur, nachdem Jesus zum leztenmal mit seinen Jün- gern gesprochen hatte, sei er in den Himmel aufgehoben worden (ἀνελήφϑη) und habe sich zur Rechten Gottes ge- sezt (16, 19.). Kaum anschaulicher heiſst es im Lukas- evangelium: Jesus habe seine Jünger ἐξω ἕως εἰς Βηϑανίαν hinausgeführt, und während er hier mit aufgehobenen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0691"n="672"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Dritter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
Referenten die Geistesmittheilung in die Tage der Aufer-<lb/>
stehung fiel. Zunächst zwar sollte man freilich denken,<lb/>
diese Mittheilung, zumal mit derselben bei Johannes die<lb/>
förmliche Ernennung der Jünger zu seinen Abgesandten<lb/>
und die Ertheilung der Vollmacht zur Vergebung und Be-<lb/>
haltung der Sünden verbunden ist (vgl. Matth. 18, 18.),<lb/>
möge sich eher an den Schluſs, als für den Anfang der<lb/>
Erscheinungen des Auferstandenen, und in eine Plenar-<lb/>
versammlung der Apostel eher, als in eine, wo Thomas<lb/>
fehlte, geeignet haben; allein deſswegen mit <hirendition="#k">Olshausen</hi><lb/>
anzunehmen, der Evangelist hänge nur der Kürze wegen<lb/>
die Geistesmittheilung gleich der ersten Erscheinung an,<lb/>
während sie eigentlich in eine spätere Zusammenkunft ge-<lb/>
höre, bleibt immer eine unerlaubte Willkühr, statt deren<lb/>
man vielmehr anerkennen muſs, daſs der Verfasser des<lb/>
vierten Evangeliums diese erste Erscheinung Jesu als<lb/>
die Haupterscheinung, die nach acht Tagen nur als eine<lb/>
Nachholung zu Gunsten des Thomas angesehen hat. Die<lb/>
Erscheinung Kap. 21. ist ohnehin ein Nachtrag, der dem<lb/>
Verfasser, als er das Evangelium schrieb, entweder noch<lb/>
nicht bekannt, oder doch nicht gegenwärtig war.</p></div><lb/><divn="2"><head>§. 138.<lb/>
Die sogenannte Himmelfahrt als übernatürliches und als na-<lb/>
türliches Ereigniss.</head><lb/><p>Über die Himmelfahrt Jesu haben wir im N. T. drei<lb/>
Berichte, welche in Hinsicht der Ausführlichkeit und An-<lb/>
schaulichkeit eine Stufenreihe bilden. Markus, in seinem<lb/>
lezten Abschnitt überhaupt sehr kurz und abgebrochen,<lb/>
sagt nur, nachdem Jesus zum leztenmal mit seinen Jün-<lb/>
gern gesprochen hatte, sei er in den Himmel aufgehoben<lb/>
worden (<foreignxml:lang="ell">ἀνελήφϑη</foreign>) und habe sich zur Rechten Gottes ge-<lb/>
sezt (16, 19.). Kaum anschaulicher heiſst es im Lukas-<lb/>
evangelium: Jesus habe seine Jünger <foreignxml:lang="ell">ἐξωἕωςεἰςΒηϑανίαν</foreign><lb/>
hinausgeführt, und während er hier mit aufgehobenen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[672/0691]
Dritter Abschnitt.
Referenten die Geistesmittheilung in die Tage der Aufer-
stehung fiel. Zunächst zwar sollte man freilich denken,
diese Mittheilung, zumal mit derselben bei Johannes die
förmliche Ernennung der Jünger zu seinen Abgesandten
und die Ertheilung der Vollmacht zur Vergebung und Be-
haltung der Sünden verbunden ist (vgl. Matth. 18, 18.),
möge sich eher an den Schluſs, als für den Anfang der
Erscheinungen des Auferstandenen, und in eine Plenar-
versammlung der Apostel eher, als in eine, wo Thomas
fehlte, geeignet haben; allein deſswegen mit Olshausen
anzunehmen, der Evangelist hänge nur der Kürze wegen
die Geistesmittheilung gleich der ersten Erscheinung an,
während sie eigentlich in eine spätere Zusammenkunft ge-
höre, bleibt immer eine unerlaubte Willkühr, statt deren
man vielmehr anerkennen muſs, daſs der Verfasser des
vierten Evangeliums diese erste Erscheinung Jesu als
die Haupterscheinung, die nach acht Tagen nur als eine
Nachholung zu Gunsten des Thomas angesehen hat. Die
Erscheinung Kap. 21. ist ohnehin ein Nachtrag, der dem
Verfasser, als er das Evangelium schrieb, entweder noch
nicht bekannt, oder doch nicht gegenwärtig war.
§. 138.
Die sogenannte Himmelfahrt als übernatürliches und als na-
türliches Ereigniss.
Über die Himmelfahrt Jesu haben wir im N. T. drei
Berichte, welche in Hinsicht der Ausführlichkeit und An-
schaulichkeit eine Stufenreihe bilden. Markus, in seinem
lezten Abschnitt überhaupt sehr kurz und abgebrochen,
sagt nur, nachdem Jesus zum leztenmal mit seinen Jün-
gern gesprochen hatte, sei er in den Himmel aufgehoben
worden (ἀνελήφϑη) und habe sich zur Rechten Gottes ge-
sezt (16, 19.). Kaum anschaulicher heiſst es im Lukas-
evangelium: Jesus habe seine Jünger ἐξω ἕως εἰς Βηϑανίαν
hinausgeführt, und während er hier mit aufgehobenen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/691>, abgerufen am 19.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.