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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
len könnte, wie Jesus in ein von Menschen erfülltes Zimmer
auf natürliche Weise unbemerkt hineinkommen konnte: so
lässt sich doch das auf keine Weise anschaulich machen,
wie es ihm sollte möglich gewesen sein, den zwei Emma-
untischen Jüngern, mit welchen er, wie es scheint, allein
zu Tische sass, unbemerkt und ohne dass sie ihm nachge-
hen konnten sich zu entziehen 14).

Dass Markus unter der etera morphe eine wunderbar
veränderte Gestalt verstehe, hätte man niemals leugnen
sollen 15); doch hat diess weniger Gewicht, weil es nur
des Referenten eigene Erklärung des Umstandes ist, wel-
chen Lukas, aber anders erklärt, an die Hand gab, dass
die beiden Wanderer Jesum nicht erkannt haben. Dass
Maria Magdalena Jesum für den Gärtner hielt, war nach
der Ansicht des Evangelisten schwerlich Folge entlehnter
Gärtnerkleider: sondern, dass sie ihn nicht kannte, wird
man sich dem Geist der Erzählung gemäss entweder durch
ein krateisthai der Augen Magdalena's, oder aus einer
etera morphe Jesu erklären müssen; dass sie ihn aber für
den Gärtner ansah, kam dann einfach daher, dass sie ihn
im Garten traf. Auch eine Entstellung Jesu durch die
Qualen der Kreuzigung, und ein allmähliges Heilen seiner
Wunden anzunehmen, sind wir durch die evangelischen
Nachrichten nicht berechtigt. Das johanneische me mou aptou,
wenn es Abwehr einer schmerzlichen Berührung sein soll-
te, stünde im Widerspruch nicht bloss mit Matthäus, nach
welchem Jesus an demselben Auferstehungsmorgen durch
die Frauen seine Füsse umfassen liess, sondern auch mit
Lukas, welchem zufolge er noch am nämlichen Tage die
Jünger auffordert, ihn zu betasten, und es früge sich als-
dann, welche Darstellung die richtige wäre? Aber es
liegt ja im Zusammenhang gar nichts, was darauf hin-

14) Olshausen, a. a. O. S. 530.
15) vgl. Fritzsche, in Marc., p. 723.

Dritter Abschnitt.
len könnte, wie Jesus in ein von Menschen erfülltes Zimmer
auf natürliche Weise unbemerkt hineinkommen konnte: so
läſst sich doch das auf keine Weise anschaulich machen,
wie es ihm sollte möglich gewesen sein, den zwei Emma-
untischen Jüngern, mit welchen er, wie es scheint, allein
zu Tische saſs, unbemerkt und ohne daſs sie ihm nachge-
hen konnten sich zu entziehen 14).

Daſs Markus unter der ἑτέρα μορφὴ eine wunderbar
veränderte Gestalt verstehe, hätte man niemals leugnen
sollen 15); doch hat dieſs weniger Gewicht, weil es nur
des Referenten eigene Erklärung des Umstandes ist, wel-
chen Lukas, aber anders erklärt, an die Hand gab, daſs
die beiden Wanderer Jesum nicht erkannt haben. Daſs
Maria Magdalena Jesum für den Gärtner hielt, war nach
der Ansicht des Evangelisten schwerlich Folge entlehnter
Gärtnerkleider: sondern, daſs sie ihn nicht kannte, wird
man sich dem Geist der Erzählung gemäſs entweder durch
ein κρατεῖσϑαι der Augen Magdalena's, oder aus einer
ἑτέρα μορφὴ Jesu erklären müssen; daſs sie ihn aber für
den Gärtner ansah, kam dann einfach daher, daſs sie ihn
im Garten traf. Auch eine Entstellung Jesu durch die
Qualen der Kreuzigung, und ein allmähliges Heilen seiner
Wunden anzunehmen, sind wir durch die evangelischen
Nachrichten nicht berechtigt. Das johanneische μή μου ἅπτου,
wenn es Abwehr einer schmerzlichen Berührung sein soll-
te, stünde im Widerspruch nicht bloſs mit Matthäus, nach
welchem Jesus an demselben Auferstehungsmorgen durch
die Frauen seine Füſse umfassen lieſs, sondern auch mit
Lukas, welchem zufolge er noch am nämlichen Tage die
Jünger auffordert, ihn zu betasten, und es früge sich als-
dann, welche Darstellung die richtige wäre? Aber es
liegt ja im Zusammenhang gar nichts, was darauf hin-

14) Olshausen, a. a. O. S. 530.
15) vgl. Fritzsche, in Marc., p. 723.
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[640/0659] Dritter Abschnitt. len könnte, wie Jesus in ein von Menschen erfülltes Zimmer auf natürliche Weise unbemerkt hineinkommen konnte: so läſst sich doch das auf keine Weise anschaulich machen, wie es ihm sollte möglich gewesen sein, den zwei Emma- untischen Jüngern, mit welchen er, wie es scheint, allein zu Tische saſs, unbemerkt und ohne daſs sie ihm nachge- hen konnten sich zu entziehen 14). Daſs Markus unter der ἑτέρα μορφὴ eine wunderbar veränderte Gestalt verstehe, hätte man niemals leugnen sollen 15); doch hat dieſs weniger Gewicht, weil es nur des Referenten eigene Erklärung des Umstandes ist, wel- chen Lukas, aber anders erklärt, an die Hand gab, daſs die beiden Wanderer Jesum nicht erkannt haben. Daſs Maria Magdalena Jesum für den Gärtner hielt, war nach der Ansicht des Evangelisten schwerlich Folge entlehnter Gärtnerkleider: sondern, daſs sie ihn nicht kannte, wird man sich dem Geist der Erzählung gemäſs entweder durch ein κρατεῖσϑαι der Augen Magdalena's, oder aus einer ἑτέρα μορφὴ Jesu erklären müssen; daſs sie ihn aber für den Gärtner ansah, kam dann einfach daher, daſs sie ihn im Garten traf. Auch eine Entstellung Jesu durch die Qualen der Kreuzigung, und ein allmähliges Heilen seiner Wunden anzunehmen, sind wir durch die evangelischen Nachrichten nicht berechtigt. Das johanneische μή μου ἅπτου, wenn es Abwehr einer schmerzlichen Berührung sein soll- te, stünde im Widerspruch nicht bloſs mit Matthäus, nach welchem Jesus an demselben Auferstehungsmorgen durch die Frauen seine Füſse umfassen lieſs, sondern auch mit Lukas, welchem zufolge er noch am nämlichen Tage die Jünger auffordert, ihn zu betasten, und es früge sich als- dann, welche Darstellung die richtige wäre? Aber es liegt ja im Zusammenhang gar nichts, was darauf hin- 14) Olshausen, a. a. O. S. 530. 15) vgl. Fritzsche, in Marc., p. 723.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 640. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/659>, abgerufen am 22.11.2024.