Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Dritter Abschnitt. mas überzeugt worden sein soll; womit Paulus genau über-einstimmen würde, wenn wirklich sein tois aposolois pa- sin (V. 7.), vor welchen er seine fünfte Erscheinung vor- gehen lässt, von einer Plenarversammlung der Eilfe, im Unterschied von der früheren, bei welcher Thomas gefehlt hatte, zu verstehen wäre: was aber, weil Paulus auch diese als eine Erscheinung vor tois dodeka bezeichnet hat- te, unmöglich angeht, sondern der Apostel versteht sowohl unter dodeka als unter oi aposoloi pantes die sämmtli- chen, damals übrigens um Einen Mann unvollzähligen Apo- stel im Gegensaz gegen die einzelnen Individuen (Kephas und Jakobus), von welchen er beidemale unmittelbar vor- her als von solchen gesprochen hatte, denen eine Christo- phanie zu Theil geworden. Soll aber dennoch die fünfte paulinische Erscheinung Jesu mit der dritten johannei- schen identisch sein: so würde nur um so deutlicher er- hellen, dass die vierte paulinische, vor den 500 Brüdern, nicht die galiläische des Matthäus sein kann. Da nämlich bei Johannes die dritte in Jerusalem statt fand, die vierte aber in Galiläa: so müssten also Jesus und die Zwölfe nach den ersten jerusalemischen Erscheinungen nach Galiläa ge- gangen und auf dem Berge zusammengekommen sein; hier- auf hätten sie sich wieder nach Jerusalem begeben, wo Jesus sich dem Thomas zeigte; dann wieder nach Galiläa, wo die Erscheinung am See erfolgte; endlich zur Himmel- fahrt wieder nach Jerusalem. Um diess zwecklose Hin- undherwandern zu vermeiden, und doch jene beiden Er- scheinungen combiniren zu können, verlegt Olshausen die Erscheinung vor Thomas nach Galiläa: ein unerlaubter Gewaltstreich, da nicht nur zwischen dieser und der vor- hergehenden, eingestandnermassen jerusalemischen, Erschei- nung keiner Ortsveränderung gedacht, sondern der Ver- sammlungsort ganz auf dieselbe Weise beschrieben ist, ja der Zusaz: ton thuron kekleismenon, nur an die Hauptstadt denken lässt, weil in dem von priesterlichem Hass gegen Dritter Abschnitt. mas überzeugt worden sein soll; womit Paulus genau über-einstimmen würde, wenn wirklich sein τοῖς ἀποςόλοις πᾶ- σιν (V. 7.), vor welchen er seine fünfte Erscheinung vor- gehen läſst, von einer Plenarversammlung der Eilfe, im Unterschied von der früheren, bei welcher Thomas gefehlt hatte, zu verstehen wäre: was aber, weil Paulus auch diese als eine Erscheinung vor τοῖς δώδεκα bezeichnet hat- te, unmöglich angeht, sondern der Apostel versteht sowohl unter δώδεκα als unter οἱ ἀπόςολοι πάντες die sämmtli- chen, damals übrigens um Einen Mann unvollzähligen Apo- stel im Gegensaz gegen die einzelnen Individuen (Kephas und Jakobus), von welchen er beidemale unmittelbar vor- her als von solchen gesprochen hatte, denen eine Christo- phanie zu Theil geworden. Soll aber dennoch die fünfte paulinische Erscheinung Jesu mit der dritten johannei- schen identisch sein: so würde nur um so deutlicher er- hellen, daſs die vierte paulinische, vor den 500 Brüdern, nicht die galiläische des Matthäus sein kann. Da nämlich bei Johannes die dritte in Jerusalem statt fand, die vierte aber in Galiläa: so müſsten also Jesus und die Zwölfe nach den ersten jerusalemischen Erscheinungen nach Galiläa ge- gangen und auf dem Berge zusammengekommen sein; hier- auf hätten sie sich wieder nach Jerusalem begeben, wo Jesus sich dem Thomas zeigte; dann wieder nach Galiläa, wo die Erscheinung am See erfolgte; endlich zur Himmel- fahrt wieder nach Jerusalem. Um dieſs zwecklose Hin- undherwandern zu vermeiden, und doch jene beiden Er- scheinungen combiniren zu können, verlegt Olshausen die Erscheinung vor Thomas nach Galiläa: ein unerlaubter Gewaltstreich, da nicht nur zwischen dieser und der vor- hergehenden, eingestandnermaſsen jerusalemischen, Erschei- nung keiner Ortsveränderung gedacht, sondern der Ver- sammlungsort ganz auf dieselbe Weise beschrieben ist, ja der Zusaz: τῶν ϑυρῶν κεκλεισμένων, nur an die Hauptstadt denken läſst, weil in dem von priesterlichem Haſs gegen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0643" n="624"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> mas überzeugt worden sein soll; womit Paulus genau über-<lb/> einstimmen würde, wenn wirklich sein <foreign xml:lang="ell">τοῖς ἀποςόλοις πᾶ-<lb/> σιν</foreign> (V. 7.), vor welchen er seine fünfte Erscheinung vor-<lb/> gehen läſst, von einer Plenarversammlung der Eilfe, im<lb/> Unterschied von der früheren, bei welcher Thomas gefehlt<lb/> hatte, zu verstehen wäre: was aber, weil Paulus auch<lb/> diese als eine Erscheinung vor <foreign xml:lang="ell">τοῖς δώδεκα</foreign> bezeichnet hat-<lb/> te, unmöglich angeht, sondern der Apostel versteht sowohl<lb/> unter <foreign xml:lang="ell">δώδεκα</foreign> als unter <foreign xml:lang="ell">οἱ ἀπόςολοι πάντες</foreign> die sämmtli-<lb/> chen, damals übrigens um Einen Mann unvollzähligen Apo-<lb/> stel im Gegensaz gegen die einzelnen Individuen (Kephas<lb/> und Jakobus), von welchen er beidemale unmittelbar vor-<lb/> her als von solchen gesprochen hatte, denen eine Christo-<lb/> phanie zu Theil geworden. 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Dritter Abschnitt.
mas überzeugt worden sein soll; womit Paulus genau über-
einstimmen würde, wenn wirklich sein τοῖς ἀποςόλοις πᾶ-
σιν (V. 7.), vor welchen er seine fünfte Erscheinung vor-
gehen läſst, von einer Plenarversammlung der Eilfe, im
Unterschied von der früheren, bei welcher Thomas gefehlt
hatte, zu verstehen wäre: was aber, weil Paulus auch
diese als eine Erscheinung vor τοῖς δώδεκα bezeichnet hat-
te, unmöglich angeht, sondern der Apostel versteht sowohl
unter δώδεκα als unter οἱ ἀπόςολοι πάντες die sämmtli-
chen, damals übrigens um Einen Mann unvollzähligen Apo-
stel im Gegensaz gegen die einzelnen Individuen (Kephas
und Jakobus), von welchen er beidemale unmittelbar vor-
her als von solchen gesprochen hatte, denen eine Christo-
phanie zu Theil geworden. Soll aber dennoch die fünfte
paulinische Erscheinung Jesu mit der dritten johannei-
schen identisch sein: so würde nur um so deutlicher er-
hellen, daſs die vierte paulinische, vor den 500 Brüdern,
nicht die galiläische des Matthäus sein kann. Da nämlich
bei Johannes die dritte in Jerusalem statt fand, die vierte
aber in Galiläa: so müſsten also Jesus und die Zwölfe nach
den ersten jerusalemischen Erscheinungen nach Galiläa ge-
gangen und auf dem Berge zusammengekommen sein; hier-
auf hätten sie sich wieder nach Jerusalem begeben, wo
Jesus sich dem Thomas zeigte; dann wieder nach Galiläa,
wo die Erscheinung am See erfolgte; endlich zur Himmel-
fahrt wieder nach Jerusalem. Um dieſs zwecklose Hin-
undherwandern zu vermeiden, und doch jene beiden Er-
scheinungen combiniren zu können, verlegt Olshausen die
Erscheinung vor Thomas nach Galiläa: ein unerlaubter
Gewaltstreich, da nicht nur zwischen dieser und der vor-
hergehenden, eingestandnermaſsen jerusalemischen, Erschei-
nung keiner Ortsveränderung gedacht, sondern der Ver-
sammlungsort ganz auf dieselbe Weise beschrieben ist, ja
der Zusaz: τῶν ϑυρῶν κεκλεισμένων, nur an die Hauptstadt
denken läſst, weil in dem von priesterlichem Haſs gegen
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Zitationshilfe: | Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/643>, abgerufen am 23.07.2024. |