Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Dritter Abschnitt. derselben nichts wusste. Markus 16, 12. f. meint offenbardieselbe Erscheinung; der Widerspruch, dass, während bei Lukas die versammelten Jünger den von Emmaus Kom- menden mit dem gläubigen Ruf: egerthe o Kurios k. t. l. entgegentreten, bei Markus die Jünger auch auf die Nach- richt jener beiden hin noch nicht geglaubt haben sollen, rührt wohl nur von einer Übertreibung des Markus her, welcher den Contrast der überzeugendsten Erscheinungen Jesu mit dem fortdauernden Unglauben der Jünger nicht aus den Händen lassen will. -- An die Emmauntische schliesst sich bei Lukas unmittelbar die Erscheinung Jesu in der Versammlung der endeka und anderer an. Diese hält man gemeiniglich für identisch mit der paulinischen Erschei- nung vor den dodeka, und mit dem, was Johannes berich- tet, dass am Abend nach der Auferstehung Jesus bei ver- schlossenen Thüren zu den Jüngern, in deren Versamm- lung übrigens Thomas fehlte, eingetreten sei. Hiegegen darf man zwar das endeka des Lukas, da doch nach Jo- hannes nur zehn Apostel dabei gewesen sind, ebenso we- nig urgiren, als bei Paulus das dodeka, wo doch in jedem Fall Judas abgerechnet werden muss; auch scheint die bei den beiden Evangelisten ganz gleiche Beschreibung des Her- beikommens Jesu durch ese en meso auton und ese eis to meson, und die Anführung des Grusses: eirene umin, auf Identität beider Erscheinungen hinzuweisen; indess, wenn man bedenkt, wie das Betasten des Leibes Jesu, welches bei Johannes erst in die acht Tage spätere Er- scheinung fällt, und das Essen vom Bratfisch, welches Jo- hannes erst bei der noch späteren galiläischen Erscheinung hat, von Lukas in jene jerusalemische am Tag der Aufer- stehung verlegt wird: so erhellt, dass -- wie man nun sa- gen will -- entweder der dritte Evangelist hier mehrere Vorgänge in Einen zusammengezogen, oder der vierte Ei- nen in mehrere auseinander geschlagen hat. Diese jerusa- lemische Erscheinung vor den Aposteln könnte aber, wie Dritter Abschnitt. derselben nichts wuſste. Markus 16, 12. f. meint offenbardieselbe Erscheinung; der Widerspruch, daſs, während bei Lukas die versammelten Jünger den von Emmaus Kom- menden mit dem gläubigen Ruf: ἠγέρϑη ὁ Κύριος κ. τ. λ. entgegentreten, bei Markus die Jünger auch auf die Nach- richt jener beiden hin noch nicht geglaubt haben sollen, rührt wohl nur von einer Übertreibung des Markus her, welcher den Contrast der überzeugendsten Erscheinungen Jesu mit dem fortdauernden Unglauben der Jünger nicht aus den Händen lassen will. — An die Emmauntische schlieſst sich bei Lukas unmittelbar die Erscheinung Jesu in der Versammlung der ἕνδεκα und anderer an. Diese hält man gemeiniglich für identisch mit der paulinischen Erschei- nung vor den δώδεκα, und mit dem, was Johannes berich- tet, daſs am Abend nach der Auferstehung Jesus bei ver- schlossenen Thüren zu den Jüngern, in deren Versamm- lung übrigens Thomas fehlte, eingetreten sei. Hiegegen darf man zwar das ἕνδεκα des Lukas, da doch nach Jo- hannes nur zehn Apostel dabei gewesen sind, ebenso we- nig urgiren, als bei Paulus das δώδεκα, wo doch in jedem Fall Judas abgerechnet werden muſs; auch scheint die bei den beiden Evangelisten ganz gleiche Beschreibung des Her- beikommens Jesu durch ἕςη ἐν μέσῳ αὐτῶν und ἕςη εἰς τὸ μέσον, und die Anführung des Gruſses: εἰρήνη ὑμῖν, auf Identität beider Erscheinungen hinzuweisen; indeſs, wenn man bedenkt, wie das Betasten des Leibes Jesu, welches bei Johannes erst in die acht Tage spätere Er- scheinung fällt, und das Essen vom Bratfisch, welches Jo- hannes erst bei der noch späteren galiläischen Erscheinung hat, von Lukas in jene jerusalemische am Tag der Aufer- stehung verlegt wird: so erhellt, daſs — wie man nun sa- gen will — entweder der dritte Evangelist hier mehrere Vorgänge in Einen zusammengezogen, oder der vierte Ei- nen in mehrere auseinander geschlagen hat. 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Dritter Abschnitt.
derselben nichts wuſste. Markus 16, 12. f. meint offenbar
dieselbe Erscheinung; der Widerspruch, daſs, während
bei Lukas die versammelten Jünger den von Emmaus Kom-
menden mit dem gläubigen Ruf: ἠγέρϑη ὁ Κύριος κ. τ. λ.
entgegentreten, bei Markus die Jünger auch auf die Nach-
richt jener beiden hin noch nicht geglaubt haben sollen,
rührt wohl nur von einer Übertreibung des Markus her,
welcher den Contrast der überzeugendsten Erscheinungen
Jesu mit dem fortdauernden Unglauben der Jünger nicht
aus den Händen lassen will. — An die Emmauntische schlieſst
sich bei Lukas unmittelbar die Erscheinung Jesu in der
Versammlung der ἕνδεκα und anderer an. Diese hält man
gemeiniglich für identisch mit der paulinischen Erschei-
nung vor den δώδεκα, und mit dem, was Johannes berich-
tet, daſs am Abend nach der Auferstehung Jesus bei ver-
schlossenen Thüren zu den Jüngern, in deren Versamm-
lung übrigens Thomas fehlte, eingetreten sei. Hiegegen
darf man zwar das ἕνδεκα des Lukas, da doch nach Jo-
hannes nur zehn Apostel dabei gewesen sind, ebenso we-
nig urgiren, als bei Paulus das δώδεκα, wo doch in jedem
Fall Judas abgerechnet werden muſs; auch scheint die bei
den beiden Evangelisten ganz gleiche Beschreibung des Her-
beikommens Jesu durch ἕςη ἐν μέσῳ αὐτῶν und ἕςη εἰς
τὸ μέσον, und die Anführung des Gruſses: εἰρήνη ὑμῖν,
auf Identität beider Erscheinungen hinzuweisen; indeſs,
wenn man bedenkt, wie das Betasten des Leibes Jesu,
welches bei Johannes erst in die acht Tage spätere Er-
scheinung fällt, und das Essen vom Bratfisch, welches Jo-
hannes erst bei der noch späteren galiläischen Erscheinung
hat, von Lukas in jene jerusalemische am Tag der Aufer-
stehung verlegt wird: so erhellt, daſs — wie man nun sa-
gen will — entweder der dritte Evangelist hier mehrere
Vorgänge in Einen zusammengezogen, oder der vierte Ei-
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