Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Viertes Kapitel. §. 134. haben, dass er am Abend desselben Tags bei und in Jeru-salem sich ihnen zeigen werde: so muss er also am Mor- gen noch im Sinne gehabt haben, sogleich nach Galiläa zu gehen, im Verlaufe des Tags aber auf andre Gedanken gekommen sein. Von jenem anfänglichen Vorsaz findet sich nach Paulus8) auch bei Lukas eine Spur, in der Wan- derung Jesu nach dem in der Richtung gegen Galiläa hin gelegenen Emmaus; als Grund der Abänderung des Plans aber vermuthet derselbe Ausleger, welchem hierin Olshau- sen beistimmt9), den Unglauben der Jünger, wie er sich Jesu namentlich bei Gelegenheit des Gangs nach Emmaus zu erkennen gegeben hatte. Wie sich eine solche irrige Berechnung von Seiten Jesu mit der orthodoxen Ansicht von seiner Person vertrage, möge hiebei Olshausen zuse- hen; aber auch rein menschlich betrachtet, liegt kein ge- nügender Grund jener Umstimmung vor. Namentlich seit Jesus von den beiden Emmauntischen Jüngern erkannt wor- den war, durfte er gewiss sein, dass das Zeugniss der Män- ner die Aussage der Weiber so beglaubigen würde, um die Jünger wenigstens mit glimmenden Funken des Glau- bens und der Hoffnung nach Galiläa zu führen. Überhaupt aber, wenn eine Umstimmung, und eine Verschiedenheit des Plans Jesu vor und nach derselben stattfand: warum giebt dann kein Evangelist von einem solchen Wendepunkt Nachricht, sondern spricht Lukas so, wie wenn er von dem ursprünglichen Plan; Matthäus, wie wenn er von ei- ner späteren Abänderung desselben nichts wüsste; Johan- nes, als ob der Hauptschauplaz der Erscheinungen des Auf- erstandenen Jerusalem gewesen, und er nur nachträglich auch einmal nach Galiläa gekommen wäre; endlich Mar- kus so, dass man wohl sieht, er hat die anfängliche Wei- sung nach Galiläa, welche er aus Matthäus, und die fol- 8) ex. Handb. 3, b, S. 835. 9) b. Comm. 2, S. 524.
Viertes Kapitel. §. 134. haben, daſs er am Abend desselben Tags bei und in Jeru-salem sich ihnen zeigen werde: so muſs er also am Mor- gen noch im Sinne gehabt haben, sogleich nach Galiläa zu gehen, im Verlaufe des Tags aber auf andre Gedanken gekommen sein. Von jenem anfänglichen Vorsaz findet sich nach Paulus8) auch bei Lukas eine Spur, in der Wan- derung Jesu nach dem in der Richtung gegen Galiläa hin gelegenen Emmaus; als Grund der Abänderung des Plans aber vermuthet derselbe Ausleger, welchem hierin Olshau- sen beistimmt9), den Unglauben der Jünger, wie er sich Jesu namentlich bei Gelegenheit des Gangs nach Emmaus zu erkennen gegeben hatte. Wie sich eine solche irrige Berechnung von Seiten Jesu mit der orthodoxen Ansicht von seiner Person vertrage, möge hiebei Olshausen zuse- hen; aber auch rein menschlich betrachtet, liegt kein ge- nügender Grund jener Umstimmung vor. Namentlich seit Jesus von den beiden Emmauntischen Jüngern erkannt wor- den war, durfte er gewiſs sein, daſs das Zeugniſs der Män- ner die Aussage der Weiber so beglaubigen würde, um die Jünger wenigstens mit glimmenden Funken des Glau- bens und der Hoffnung nach Galiläa zu führen. Überhaupt aber, wenn eine Umstimmung, und eine Verschiedenheit des Plans Jesu vor und nach derselben stattfand: warum giebt dann kein Evangelist von einem solchen Wendepunkt Nachricht, sondern spricht Lukas so, wie wenn er von dem ursprünglichen Plan; Matthäus, wie wenn er von ei- ner späteren Abänderung desselben nichts wüſste; Johan- nes, als ob der Hauptschauplaz der Erscheinungen des Auf- erstandenen Jerusalem gewesen, und er nur nachträglich auch einmal nach Galiläa gekommen wäre; endlich Mar- kus so, daſs man wohl sieht, er hat die anfängliche Wei- sung nach Galiläa, welche er aus Matthäus, und die fol- 8) ex. Handb. 3, b, S. 835. 9) b. Comm. 2, S. 524.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0634" n="615"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Kapitel</hi>. §. 134.</fw><lb/> haben, daſs er am Abend desselben Tags bei und in Jeru-<lb/> salem sich ihnen zeigen werde: so muſs er also am Mor-<lb/> gen noch im Sinne gehabt haben, sogleich nach Galiläa<lb/> zu gehen, im Verlaufe des Tags aber auf andre Gedanken<lb/> gekommen sein. Von jenem anfänglichen Vorsaz findet<lb/> sich nach <hi rendition="#k">Paulus</hi><note place="foot" n="8)">ex. Handb. 3, b, S. 835.</note> auch bei Lukas eine Spur, in der Wan-<lb/> derung Jesu nach dem in der Richtung gegen Galiläa hin<lb/> gelegenen Emmaus; als Grund der Abänderung des Plans<lb/> aber vermuthet derselbe Ausleger, welchem hierin <hi rendition="#k">Olshau-<lb/> sen</hi> beistimmt<note place="foot" n="9)">b. Comm. 2, S. 524.</note>, den Unglauben der Jünger, wie er sich<lb/> Jesu namentlich bei Gelegenheit des Gangs nach Emmaus<lb/> zu erkennen gegeben hatte. Wie sich eine solche irrige<lb/> Berechnung von Seiten Jesu mit der orthodoxen Ansicht<lb/> von seiner Person vertrage, möge hiebei <hi rendition="#k">Olshausen</hi> zuse-<lb/> hen; aber auch rein menschlich betrachtet, liegt kein ge-<lb/> nügender Grund jener Umstimmung vor. Namentlich seit<lb/> Jesus von den beiden Emmauntischen Jüngern erkannt wor-<lb/> den war, durfte er gewiſs sein, daſs das Zeugniſs der Män-<lb/> ner die Aussage der Weiber so beglaubigen würde, um<lb/> die Jünger wenigstens mit glimmenden Funken des Glau-<lb/> bens und der Hoffnung nach Galiläa zu führen. Überhaupt<lb/> aber, wenn eine Umstimmung, und eine Verschiedenheit<lb/> des Plans Jesu vor und nach derselben stattfand: warum<lb/> giebt dann kein Evangelist von einem solchen Wendepunkt<lb/> Nachricht, sondern spricht Lukas so, wie wenn er von<lb/> dem ursprünglichen Plan; Matthäus, wie wenn er von ei-<lb/> ner späteren Abänderung desselben nichts wüſste; Johan-<lb/> nes, als ob der Hauptschauplaz der Erscheinungen des Auf-<lb/> erstandenen Jerusalem gewesen, und er nur nachträglich<lb/> auch einmal nach Galiläa gekommen wäre; endlich Mar-<lb/> kus so, daſs man wohl sieht, er hat die anfängliche Wei-<lb/> sung nach Galiläa, welche er aus Matthäus, und die fol-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [615/0634]
Viertes Kapitel. §. 134.
haben, daſs er am Abend desselben Tags bei und in Jeru-
salem sich ihnen zeigen werde: so muſs er also am Mor-
gen noch im Sinne gehabt haben, sogleich nach Galiläa
zu gehen, im Verlaufe des Tags aber auf andre Gedanken
gekommen sein. Von jenem anfänglichen Vorsaz findet
sich nach Paulus 8) auch bei Lukas eine Spur, in der Wan-
derung Jesu nach dem in der Richtung gegen Galiläa hin
gelegenen Emmaus; als Grund der Abänderung des Plans
aber vermuthet derselbe Ausleger, welchem hierin Olshau-
sen beistimmt 9), den Unglauben der Jünger, wie er sich
Jesu namentlich bei Gelegenheit des Gangs nach Emmaus
zu erkennen gegeben hatte. Wie sich eine solche irrige
Berechnung von Seiten Jesu mit der orthodoxen Ansicht
von seiner Person vertrage, möge hiebei Olshausen zuse-
hen; aber auch rein menschlich betrachtet, liegt kein ge-
nügender Grund jener Umstimmung vor. Namentlich seit
Jesus von den beiden Emmauntischen Jüngern erkannt wor-
den war, durfte er gewiſs sein, daſs das Zeugniſs der Män-
ner die Aussage der Weiber so beglaubigen würde, um
die Jünger wenigstens mit glimmenden Funken des Glau-
bens und der Hoffnung nach Galiläa zu führen. Überhaupt
aber, wenn eine Umstimmung, und eine Verschiedenheit
des Plans Jesu vor und nach derselben stattfand: warum
giebt dann kein Evangelist von einem solchen Wendepunkt
Nachricht, sondern spricht Lukas so, wie wenn er von
dem ursprünglichen Plan; Matthäus, wie wenn er von ei-
ner späteren Abänderung desselben nichts wüſste; Johan-
nes, als ob der Hauptschauplaz der Erscheinungen des Auf-
erstandenen Jerusalem gewesen, und er nur nachträglich
auch einmal nach Galiläa gekommen wäre; endlich Mar-
kus so, daſs man wohl sieht, er hat die anfängliche Wei-
sung nach Galiläa, welche er aus Matthäus, und die fol-
8) ex. Handb. 3, b, S. 835.
9) b. Comm. 2, S. 524.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |