Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Viertes Kapitel. §. 133. parallelen Erzählungen für sich betrachtet, sich beruhigenkönnen: allein im Zusammenhang mit der ganzen verdäch- tigen Stellung, welche das vierte Evangelium dem Johan- nes, gegenüber von Petrus, ertheilt, muss auch hier das umgekehrte Verhältniss der beiden Berichte wahrscheinli- cher werden. Wie bei dem Gang in den hohenpriesterli- chen Palast, so wird auch bei dem zum Grabe Jesu nur allein im vierten Evangelium dem Petrus Johannes beige- geben; wie er dort den Petrus einführt, so läuft er ihm hier voran, und wirft den ersten Blick in das Grab, was wiederholt hervorgehoben wird. Dass sofort Petrus zuerst in das Grab hineingeht, ist nur der Schein eines Vorzugs, der ihm aus Rücksicht auf die vulgäre Vorstellung von ihm eingeräumt wird; denn nach ihm geht ja auch Johan- nes hinein, und zwar mit einem Erfolg, wie Petrus sich dessen nicht rühmen konnte, dass er nämlich an die Auf- erstehung Jesu -- als der Erste -- gläubig wurde. Aus diesem Bestreben, den Johannes zum Erstgebornen der Gläubigen an Jesu Auferstehung zu machen, erklärt sich dann auch die Abweichung, dass nach dem Bericht des ein- zigen vierten Evangeliums Magdalena, noch ehe sie einen Engel gesehen, zu den beiden Jüngern zurückeilt. Denn hätte sie schon vorher eine Engelerscheinung gehabt, wel- cher sie dann so wenig als die Frauen bei Matthäus miss- traut haben würde, so wäre ja sie die erste Gläubige ge- wesen, und hätte vor Johannes einen Vorzug gewonnen: was nun dadurch vermieden ist, dass sie bloss mit der Wahrnehmung des leeren Grabs und der hiedurch erreg- ten Unruhe zu den beiden Jüngern kommt. Auch das er- klärt sich unter dieser Voraussetzung, dass das vierte Evangelium die vom Grab zurückkehrende Frau nicht zu den Jüngern überhaupt, sondern nur zu Petrus und Jo- hannes gehen lässt. Da nämlich die der ursprünglichen Erzählung nach an sämmtliche Jünger gebrachte Nach- richt nach Lukas zunächst nur den Petrus zu einem Gang Viertes Kapitel. §. 133. parallelen Erzählungen für sich betrachtet, sich beruhigenkönnen: allein im Zusammenhang mit der ganzen verdäch- tigen Stellung, welche das vierte Evangelium dem Johan- nes, gegenüber von Petrus, ertheilt, muſs auch hier das umgekehrte Verhältniſs der beiden Berichte wahrscheinli- cher werden. Wie bei dem Gang in den hohenpriesterli- chen Palast, so wird auch bei dem zum Grabe Jesu nur allein im vierten Evangelium dem Petrus Johannes beige- geben; wie er dort den Petrus einführt, so läuft er ihm hier voran, und wirft den ersten Blick in das Grab, was wiederholt hervorgehoben wird. Daſs sofort Petrus zuerst in das Grab hineingeht, ist nur der Schein eines Vorzugs, der ihm aus Rücksicht auf die vulgäre Vorstellung von ihm eingeräumt wird; denn nach ihm geht ja auch Johan- nes hinein, und zwar mit einem Erfolg, wie Petrus sich dessen nicht rühmen konnte, daſs er nämlich an die Auf- erstehung Jesu — als der Erste — gläubig wurde. Aus diesem Bestreben, den Johannes zum Erstgebornen der Gläubigen an Jesu Auferstehung zu machen, erklärt sich dann auch die Abweichung, daſs nach dem Bericht des ein- zigen vierten Evangeliums Magdalena, noch ehe sie einen Engel gesehen, zu den beiden Jüngern zurückeilt. Denn hätte sie schon vorher eine Engelerscheinung gehabt, wel- cher sie dann so wenig als die Frauen bei Matthäus miſs- traut haben würde, so wäre ja sie die erste Gläubige ge- wesen, und hätte vor Johannes einen Vorzug gewonnen: was nun dadurch vermieden ist, daſs sie bloſs mit der Wahrnehmung des leeren Grabs und der hiedurch erreg- ten Unruhe zu den beiden Jüngern kommt. Auch das er- klärt sich unter dieser Voraussetzung, daſs das vierte Evangelium die vom Grab zurückkehrende Frau nicht zu den Jüngern überhaupt, sondern nur zu Petrus und Jo- hannes gehen läſst. 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Viertes Kapitel. §. 133.
parallelen Erzählungen für sich betrachtet, sich beruhigen
können: allein im Zusammenhang mit der ganzen verdäch-
tigen Stellung, welche das vierte Evangelium dem Johan-
nes, gegenüber von Petrus, ertheilt, muſs auch hier das
umgekehrte Verhältniſs der beiden Berichte wahrscheinli-
cher werden. Wie bei dem Gang in den hohenpriesterli-
chen Palast, so wird auch bei dem zum Grabe Jesu nur
allein im vierten Evangelium dem Petrus Johannes beige-
geben; wie er dort den Petrus einführt, so läuft er ihm
hier voran, und wirft den ersten Blick in das Grab, was
wiederholt hervorgehoben wird. Daſs sofort Petrus zuerst
in das Grab hineingeht, ist nur der Schein eines Vorzugs,
der ihm aus Rücksicht auf die vulgäre Vorstellung von
ihm eingeräumt wird; denn nach ihm geht ja auch Johan-
nes hinein, und zwar mit einem Erfolg, wie Petrus sich
dessen nicht rühmen konnte, daſs er nämlich an die Auf-
erstehung Jesu — als der Erste — gläubig wurde. Aus
diesem Bestreben, den Johannes zum Erstgebornen der
Gläubigen an Jesu Auferstehung zu machen, erklärt sich
dann auch die Abweichung, daſs nach dem Bericht des ein-
zigen vierten Evangeliums Magdalena, noch ehe sie einen
Engel gesehen, zu den beiden Jüngern zurückeilt. Denn
hätte sie schon vorher eine Engelerscheinung gehabt, wel-
cher sie dann so wenig als die Frauen bei Matthäus miſs-
traut haben würde, so wäre ja sie die erste Gläubige ge-
wesen, und hätte vor Johannes einen Vorzug gewonnen:
was nun dadurch vermieden ist, daſs sie bloſs mit der
Wahrnehmung des leeren Grabs und der hiedurch erreg-
ten Unruhe zu den beiden Jüngern kommt. Auch das er-
klärt sich unter dieser Voraussetzung, daſs das vierte
Evangelium die vom Grab zurückkehrende Frau nicht zu
den Jüngern überhaupt, sondern nur zu Petrus und Jo-
hannes gehen läſst. Da nämlich die der ursprünglichen
Erzählung nach an sämmtliche Jünger gebrachte Nach-
richt nach Lukas zunächst nur den Petrus zu einem Gang
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