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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
trus gegangen, und vor ihm an Ort und Stelle gekommen
sei, beurkunden die Ächtheit des Evangeliums auch dem
Zweifelsüchtigsten. Allein hier hat Lücke, bei uns wenig-
stens, ganz die unrechte Saite angeschlagen. Denn eben
diesen Zug haben wir oben als einen von denjenigen uns
gemerkt, welche dem eigenthümlichen Bestreben des vier-
ten Evangeliums angehören, den Johannes über den Pe-
trus zu stellen 16). Wir haben diess hier genauer zu be-
trachten, indem wir den Bericht des Lukas über den Gang
des Petrus mit dem Berichte des vierten Evangeliums über
den Gang der beiden Jünger vergleichen. Nach Lukas
(24, 12.) läuft Petrus zum Grabe: nach Johannes (20, 3 ff.)
Petrus und der Lieblingsjünger zusammen, doch so, dass
der leztere schneller läuft, und zuerst zum Grabe kommt.
Im dritten Evangelium bückt sich Petrus in das Grab hin-
ein, und sieht die leeren Tücher: im vierten thut Johan-
nes diess, und sieht dasselbe. Nun von einem Hineinge-
hen in die Gruft hat der dritte Evangelist gar nichts: der
vierte aber lässt zuerst den Petrus hineingehen und die
Tücher genauer besichtigen, dann auch den Johannes, und
diesen mit dem Erfolge, dass er an die Wiederbelebung
Jesu zu glauben anfängt 17). Dass hier von Einem und
demselben Vorfall die Rede sei, ist oben durch die genaue
Analogie selbst des Ausdrucks wahrscheinlich gemacht wor-
den. Es fragt sich also nur, welches wohl die ursprüng-
liche, dem Faktum nähere Erzählung gewesen sei? Wenn
die des Johannes: dann müsste sich also dessen Name all-
mählig aus der Überlieferung verloren haben, und der Gang
dem Einen Petrus zugeschrieben worden sein, was sich
bei dem alle andern verdunkelnden Ansehen des Petrus
gar wohl denken liesse. Hiebei würde man, diese beiden

16) Band 1, S. 560.
17) Über diesen Sinn des episeusen, und dass ihm das oupo gar
edeisan ten graphen k. t. l. nicht widerspricht, das Richtige
bei Lücke z. d. St.

Dritter Abschnitt.
trus gegangen, und vor ihm an Ort und Stelle gekommen
sei, beurkunden die Ächtheit des Evangeliums auch dem
Zweifelsüchtigsten. Allein hier hat Lücke, bei uns wenig-
stens, ganz die unrechte Saite angeschlagen. Denn eben
diesen Zug haben wir oben als einen von denjenigen uns
gemerkt, welche dem eigenthümlichen Bestreben des vier-
ten Evangeliums angehören, den Johannes über den Pe-
trus zu stellen 16). Wir haben dieſs hier genauer zu be-
trachten, indem wir den Bericht des Lukas über den Gang
des Petrus mit dem Berichte des vierten Evangeliums über
den Gang der beiden Jünger vergleichen. Nach Lukas
(24, 12.) läuft Petrus zum Grabe: nach Johannes (20, 3 ff.)
Petrus und der Lieblingsjünger zusammen, doch so, daſs
der leztere schneller läuft, und zuerst zum Grabe kommt.
Im dritten Evangelium bückt sich Petrus in das Grab hin-
ein, und sieht die leeren Tücher: im vierten thut Johan-
nes dieſs, und sieht dasselbe. Nun von einem Hineinge-
hen in die Gruft hat der dritte Evangelist gar nichts: der
vierte aber läſst zuerst den Petrus hineingehen und die
Tücher genauer besichtigen, dann auch den Johannes, und
diesen mit dem Erfolge, daſs er an die Wiederbelebung
Jesu zu glauben anfängt 17). Daſs hier von Einem und
demselben Vorfall die Rede sei, ist oben durch die genaue
Analogie selbst des Ausdrucks wahrscheinlich gemacht wor-
den. Es fragt sich also nur, welches wohl die ursprüng-
liche, dem Faktum nähere Erzählung gewesen sei? Wenn
die des Johannes: dann müſste sich also dessen Name all-
mählig aus der Überlieferung verloren haben, und der Gang
dem Einen Petrus zugeschrieben worden sein, was sich
bei dem alle andern verdunkelnden Ansehen des Petrus
gar wohl denken lieſse. Hiebei würde man, diese beiden

16) Band 1, S. 560.
17) Über diesen Sinn des ἐπίςευσεν, und dass ihm das οὓπω γὰρ
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[602/0621] Dritter Abschnitt. trus gegangen, und vor ihm an Ort und Stelle gekommen sei, beurkunden die Ächtheit des Evangeliums auch dem Zweifelsüchtigsten. Allein hier hat Lücke, bei uns wenig- stens, ganz die unrechte Saite angeschlagen. Denn eben diesen Zug haben wir oben als einen von denjenigen uns gemerkt, welche dem eigenthümlichen Bestreben des vier- ten Evangeliums angehören, den Johannes über den Pe- trus zu stellen 16). Wir haben dieſs hier genauer zu be- trachten, indem wir den Bericht des Lukas über den Gang des Petrus mit dem Berichte des vierten Evangeliums über den Gang der beiden Jünger vergleichen. Nach Lukas (24, 12.) läuft Petrus zum Grabe: nach Johannes (20, 3 ff.) Petrus und der Lieblingsjünger zusammen, doch so, daſs der leztere schneller läuft, und zuerst zum Grabe kommt. Im dritten Evangelium bückt sich Petrus in das Grab hin- ein, und sieht die leeren Tücher: im vierten thut Johan- nes dieſs, und sieht dasselbe. Nun von einem Hineinge- hen in die Gruft hat der dritte Evangelist gar nichts: der vierte aber läſst zuerst den Petrus hineingehen und die Tücher genauer besichtigen, dann auch den Johannes, und diesen mit dem Erfolge, daſs er an die Wiederbelebung Jesu zu glauben anfängt 17). Daſs hier von Einem und demselben Vorfall die Rede sei, ist oben durch die genaue Analogie selbst des Ausdrucks wahrscheinlich gemacht wor- den. Es fragt sich also nur, welches wohl die ursprüng- liche, dem Faktum nähere Erzählung gewesen sei? Wenn die des Johannes: dann müſste sich also dessen Name all- mählig aus der Überlieferung verloren haben, und der Gang dem Einen Petrus zugeschrieben worden sein, was sich bei dem alle andern verdunkelnden Ansehen des Petrus gar wohl denken lieſse. Hiebei würde man, diese beiden 16) Band 1, S. 560. 17) Über diesen Sinn des ἐπίςευσεν, und dass ihm das οὓπω γὰρ ᾔδεισαν τὴν γραφὴν κ. τ. λ. nicht widerspricht, das Richtige bei Lücke z. d. St.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/621>, abgerufen am 22.11.2024.