Diese Schwierigkeiten der vorliegenden Erzählung des ersten Evangeliums hat man schon so drückend gefunden, dass man sie durch die Annahme einer Interpolation zu entfernen suchte 9), was neuerlich dahin gemildert worden ist, dass die Anekdote zwar nicht vom Apostel Matthäus selbst, doch auch nicht von einer unsrem Evangelium sonst fremden Hand herrühren, sondern von dem griechischen Übersetzer des hebräischen Matthäus eingeschoben sein sollte 10). Gegen das Erstere ist der Mangel jeder kriti- schen Begründung entscheidend; die Berufung der andern Ansicht auf den unapostolischen Charakter der Anekdote würde eine Ausscheidung derselben aus dem Context der übrigen Erzählung nur dann begründen, wenn der apo- stolische Ursprung des Übrigen schon bewiesen wäre; Man- gel an Zusammenhang mit dem Übrigen aber findet so we- nig statt, dass vielmehr Paulus recht hat mit der Bemer- kung, ein Interpolator (oder einschiebender Übersetzer) würde sich schwerlich die Mühe gegeben haben, sein Ein- schiebsel an drei Orte (27, 62--66. 28, 4. 11--15.) zu ver- theilen, sondern er hätte es an Einer, höchstens zwei Stel- len zusammengedrängt. Auch so leichten Kaufs lässt sich die Sache nicht abmachen, wie Olshausen will, dass näm- lich die ganze Erzählung apostolisch, und im Übrigen rich- tig sein soll, nur darin habe der Evangelist geirrt, dass er die Bestechung im vollen Rath beschlossen werden lasse, da die Sache wahrscheinlich von Kaiphas allein unter der Hand abgemacht worden sei: als ob diese Rathsversamm- lung die einzige Schwierigkeit der Erzählung wäre, und als ob, wenn in Bezug auf sie, dann nicht auch in andern Beziehungen Irrthümer sich eingeschlichen haben könn- ten 11).
9)Stroth, in Eichhorn's Repertorium, 9, S. 141.
10)Kern, über den Ursprung des Ev. Matth. Tüb. Zeitschrift, 1834, 2, S. 100 f. vgl. 123.
11)Hase, L. J. §. 145.
Dritter Abschnitt.
Diese Schwierigkeiten der vorliegenden Erzählung des ersten Evangeliums hat man schon so drückend gefunden, daſs man sie durch die Annahme einer Interpolation zu entfernen suchte 9), was neuerlich dahin gemildert worden ist, daſs die Anekdote zwar nicht vom Apostel Matthäus selbst, doch auch nicht von einer unsrem Evangelium sonst fremden Hand herrühren, sondern von dem griechischen Übersetzer des hebräischen Matthäus eingeschoben sein sollte 10). Gegen das Erstere ist der Mangel jeder kriti- schen Begründung entscheidend; die Berufung der andern Ansicht auf den unapostolischen Charakter der Anekdote würde eine Ausscheidung derselben aus dem Context der übrigen Erzählung nur dann begründen, wenn der apo- stolische Ursprung des Übrigen schon bewiesen wäre; Man- gel an Zusammenhang mit dem Übrigen aber findet so we- nig statt, daſs vielmehr Paulus recht hat mit der Bemer- kung, ein Interpolator (oder einschiebender Übersetzer) würde sich schwerlich die Mühe gegeben haben, sein Ein- schiebsel an drei Orte (27, 62—66. 28, 4. 11—15.) zu ver- theilen, sondern er hätte es an Einer, höchstens zwei Stel- len zusammengedrängt. Auch so leichten Kaufs läſst sich die Sache nicht abmachen, wie Olshausen will, daſs näm- lich die ganze Erzählung apostolisch, und im Übrigen rich- tig sein soll, nur darin habe der Evangelist geirrt, daſs er die Bestechung im vollen Rath beschlossen werden lasse, da die Sache wahrscheinlich von Kaiphas allein unter der Hand abgemacht worden sei: als ob diese Rathsversamm- lung die einzige Schwierigkeit der Erzählung wäre, und als ob, wenn in Bezug auf sie, dann nicht auch in andern Beziehungen Irrthümer sich eingeschlichen haben könn- ten 11).
9)Stroth, in Eichhorn's Repertorium, 9, S. 141.
10)Kern, über den Ursprung des Ev. Matth. Tüb. Zeitschrift, 1834, 2, S. 100 f. vgl. 123.
11)Hase, L. J. §. 145.
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Dritter Abschnitt.
Diese Schwierigkeiten der vorliegenden Erzählung des
ersten Evangeliums hat man schon so drückend gefunden,
daſs man sie durch die Annahme einer Interpolation zu
entfernen suchte 9), was neuerlich dahin gemildert worden
ist, daſs die Anekdote zwar nicht vom Apostel Matthäus
selbst, doch auch nicht von einer unsrem Evangelium sonst
fremden Hand herrühren, sondern von dem griechischen
Übersetzer des hebräischen Matthäus eingeschoben sein
sollte 10). Gegen das Erstere ist der Mangel jeder kriti-
schen Begründung entscheidend; die Berufung der andern
Ansicht auf den unapostolischen Charakter der Anekdote
würde eine Ausscheidung derselben aus dem Context der
übrigen Erzählung nur dann begründen, wenn der apo-
stolische Ursprung des Übrigen schon bewiesen wäre; Man-
gel an Zusammenhang mit dem Übrigen aber findet so we-
nig statt, daſs vielmehr Paulus recht hat mit der Bemer-
kung, ein Interpolator (oder einschiebender Übersetzer)
würde sich schwerlich die Mühe gegeben haben, sein Ein-
schiebsel an drei Orte (27, 62—66. 28, 4. 11—15.) zu ver-
theilen, sondern er hätte es an Einer, höchstens zwei Stel-
len zusammengedrängt. Auch so leichten Kaufs läſst sich
die Sache nicht abmachen, wie Olshausen will, daſs näm-
lich die ganze Erzählung apostolisch, und im Übrigen rich-
tig sein soll, nur darin habe der Evangelist geirrt, daſs er
die Bestechung im vollen Rath beschlossen werden lasse,
da die Sache wahrscheinlich von Kaiphas allein unter der
Hand abgemacht worden sei: als ob diese Rathsversamm-
lung die einzige Schwierigkeit der Erzählung wäre, und
als ob, wenn in Bezug auf sie, dann nicht auch in andern
Beziehungen Irrthümer sich eingeschlichen haben könn-
ten 11).
9) Stroth, in Eichhorn's Repertorium, 9, S. 141.
10) Kern, über den Ursprung des Ev. Matth. Tüb. Zeitschrift,
1834, 2, S. 100 f. vgl. 123.
11) Hase, L. J. §. 145.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/607>, abgerufen am 22.11.2024.
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