geahnet hätte, dass dem Todten diese Ehre versagt sein werde, sie dem Lebenden erwiesen hatte. Von hier aus würde sich dann auch die verschiedene Darstellung der lezten Salbung bei den übrigen Evangelisten in das Licht einer stufenweisen Entwickelung der Sage stellen. Bei Markus und Lukas steht es noch, wie bei Matthäus, fest, dass der Leichnam Jesu nicht wirklich einbalsamirt wor- den ist: so war ihm aber doch, sagte man über das erste Evangelium hinausschreitend, die Einbalsamirung zuge- dacht, dem Hingang der Frauen zu seinem Grab am Mor- gen nach dem Sabbat lag diese Absicht zum Grunde, de- ren Ausführung nur seine Auferstehung zuvorkam. Im vierten Evangelium dagegen floss jene bei dem Lebenden anticipirte, und diese dem Todten zugedachte Salbung in eine mit dem Todten vorgenommene zusammen, neben welcher übrigens, nach der Art der Sagenbildung, die Beziehung auch der früheren Salbung auf das Begräbniss Jesu stehen blieb.
Der Leichnam Jesu wurde sofort nach sämmtlichen Referenten in einer Felsengruft beigesezt, welche mit ei- nem grossen Stein verschlossen wurde. Matthäus bezeich- net dieses Grabmal als kainon, was Lukas und Johannes genauer dahin bestimmen, dass noch Niemand in demsel- ben beigesezt gewesen sei. Beiläufig gesagt, hat man ge- gen diese Neuheit des Grabes ebenso Ursache, misstrau- isch zu sein, wie bei der Geschichte des Einzugs Jesu gegen den ungerittenen Esel, da hier wie dort die Versuchung unwiderstehlich nahe lag, auch ohne historischen Grund das heilige Behältniss des Leibes Jesu als ein noch durch keine Leiche verunreinigtes vorzustellen. Auch in Bezug auf dieses Grabmal indess zeigt sich eine Abweichung der Evangelisten. Nach Matthäus war es das Eigenthum des Joseph, welches er selbst hatte in Felsen hauen lassen, und auch die beiden andern Synoptiker, indem sie den Joseph ohne Weiteres über das Grab verfügen lassen, schei-
Dritter Abschnitt.
geahnet hätte, daſs dem Todten diese Ehre versagt sein werde, sie dem Lebenden erwiesen hatte. Von hier aus würde sich dann auch die verschiedene Darstellung der lezten Salbung bei den übrigen Evangelisten in das Licht einer stufenweisen Entwickelung der Sage stellen. Bei Markus und Lukas steht es noch, wie bei Matthäus, fest, daſs der Leichnam Jesu nicht wirklich einbalsamirt wor- den ist: so war ihm aber doch, sagte man über das erste Evangelium hinausschreitend, die Einbalsamirung zuge- dacht, dem Hingang der Frauen zu seinem Grab am Mor- gen nach dem Sabbat lag diese Absicht zum Grunde, de- ren Ausführung nur seine Auferstehung zuvorkam. Im vierten Evangelium dagegen floſs jene bei dem Lebenden anticipirte, und diese dem Todten zugedachte Salbung in eine mit dem Todten vorgenommene zusammen, neben welcher übrigens, nach der Art der Sagenbildung, die Beziehung auch der früheren Salbung auf das Begräbniſs Jesu stehen blieb.
Der Leichnam Jesu wurde sofort nach sämmtlichen Referenten in einer Felsengruft beigesezt, welche mit ei- nem groſsen Stein verschlossen wurde. Matthäus bezeich- net dieses Grabmal als καινὸν, was Lukas und Johannes genauer dahin bestimmen, daſs noch Niemand in demsel- ben beigesezt gewesen sei. Beiläufig gesagt, hat man ge- gen diese Neuheit des Grabes ebenso Ursache, miſstrau- isch zu sein, wie bei der Geschichte des Einzugs Jesu gegen den ungerittenen Esel, da hier wie dort die Versuchung unwiderstehlich nahe lag, auch ohne historischen Grund das heilige Behältniſs des Leibes Jesu als ein noch durch keine Leiche verunreinigtes vorzustellen. Auch in Bezug auf dieses Grabmal indeſs zeigt sich eine Abweichung der Evangelisten. Nach Matthäus war es das Eigenthum des Joseph, welches er selbst hatte in Felsen hauen lassen, und auch die beiden andern Synoptiker, indem sie den Joseph ohne Weiteres über das Grab verfügen lassen, schei-
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Dritter Abschnitt.
geahnet hätte, daſs dem Todten diese Ehre versagt sein
werde, sie dem Lebenden erwiesen hatte. Von hier aus
würde sich dann auch die verschiedene Darstellung der
lezten Salbung bei den übrigen Evangelisten in das Licht
einer stufenweisen Entwickelung der Sage stellen. Bei
Markus und Lukas steht es noch, wie bei Matthäus, fest,
daſs der Leichnam Jesu nicht wirklich einbalsamirt wor-
den ist: so war ihm aber doch, sagte man über das erste
Evangelium hinausschreitend, die Einbalsamirung zuge-
dacht, dem Hingang der Frauen zu seinem Grab am Mor-
gen nach dem Sabbat lag diese Absicht zum Grunde, de-
ren Ausführung nur seine Auferstehung zuvorkam. Im
vierten Evangelium dagegen floſs jene bei dem Lebenden
anticipirte, und diese dem Todten zugedachte Salbung in
eine mit dem Todten vorgenommene zusammen, neben
welcher übrigens, nach der Art der Sagenbildung, die
Beziehung auch der früheren Salbung auf das Begräbniſs
Jesu stehen blieb.
Der Leichnam Jesu wurde sofort nach sämmtlichen
Referenten in einer Felsengruft beigesezt, welche mit ei-
nem groſsen Stein verschlossen wurde. Matthäus bezeich-
net dieses Grabmal als καινὸν, was Lukas und Johannes
genauer dahin bestimmen, daſs noch Niemand in demsel-
ben beigesezt gewesen sei. Beiläufig gesagt, hat man ge-
gen diese Neuheit des Grabes ebenso Ursache, miſstrau-
isch zu sein, wie bei der Geschichte des Einzugs Jesu gegen
den ungerittenen Esel, da hier wie dort die Versuchung
unwiderstehlich nahe lag, auch ohne historischen Grund
das heilige Behältniſs des Leibes Jesu als ein noch durch
keine Leiche verunreinigtes vorzustellen. Auch in Bezug
auf dieses Grabmal indeſs zeigt sich eine Abweichung der
Evangelisten. Nach Matthäus war es das Eigenthum des
Joseph, welches er selbst hatte in Felsen hauen lassen,
und auch die beiden andern Synoptiker, indem sie den
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/599>, abgerufen am 25.11.2024.
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