Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Viertes Kapitel. §. 129. jüdischen Vorstellung; diese bezog sich nicht auf die Wie-derkunft, sondern auf die erste Ankunft des Messias, und erwartete bei dieser nur die Auferstehung der Israeli- ten 22). In die Zeit der ersten Parusie des Messias ver- legt nun zwar auch die Nachricht bei Matthäus jene Auferweckung: aber warum sie dieselbe gerade an seinen Tod knüpft, dafür liegt allerdings in der jüdischen Er- wartung an und für sich kein Grund, und in der Modifi- cation, welche die Anhänger Jesu an dieser Erwartung anbrachten, hätte, wie es scheint, eher ein Anlass gelegen, die Auferweckung der Frommen mit seiner Auferste- hung zu verbinden, zumal die Anknüpfung an seinen Tod mit der sonstigen urchristlichen Vorstellung in Wider- spruch zu kommen scheint, welcher zufolge Jesus prototokos ek ton nekron (Kol. 1, 18. Offenb. 1, 5), aparkhe ton kekoime- menon (1 Kor. 15, 20.) ist. Doch wir wissen ja nicht, ob diese Vorstellung die allgemeine war, und wenn die Ei nen der eminenten Würde Jesu schuldig zu sein glaub- ten, ihn als den ersten der Auferstandenen zu betrachten, so bieten sich doch auch Gründe dar, welche Andere be- wegen konnten, schon bei seinem Tod einige Fromme auf- erstehen zu lassen. Einmal der äussere: da unter den Prodigien bei Jesu Tod auch ein Erdbeben hervorgehoben ist, und in der Beschreibung seiner Heftigkeit dem petrai eskhisthesan sich leicht das auch sonst bei Schilderung hef- tiger Erdbeben vorkommende 23) mnemeia aneokhthesan bei- gesellen konnte: so war bier ein einladender Anknüpfungs- punkt für die Auferstehung der Frommen gegeben. Aber auch aus dem Innern der Vorstellung vom Tode Jesu her- aus, wie sie sich frühzeitig in der christlichen Gemeinde ausbildete, dass nämlich derselbe das eigentlich erlösende 22) s. die Sammlung hiehergehöriger Stellen bei Schöttgen, 2, p. 570 ff., und in Bertholdt's Christol. §. 35. 23) s. die von Wetstein gesammelten Stellen. 36 *
Viertes Kapitel. §. 129. jüdischen Vorstellung; diese bezog sich nicht auf die Wie-derkunft, sondern auf die erste Ankunft des Messias, und erwartete bei dieser nur die Auferstehung der Israëli- ten 22). In die Zeit der ersten Parusie des Messias ver- legt nun zwar auch die Nachricht bei Matthäus jene Auferweckung: aber warum sie dieselbe gerade an seinen Tod knüpft, dafür liegt allerdings in der jüdischen Er- wartung an und für sich kein Grund, und in der Modifi- cation, welche die Anhänger Jesu an dieser Erwartung anbrachten, hätte, wie es scheint, eher ein Anlaſs gelegen, die Auferweckung der Frommen mit seiner Auferste- hung zu verbinden, zumal die Anknüpfung an seinen Tod mit der sonstigen urchristlichen Vorstellung in Wider- spruch zu kommen scheint, welcher zufolge Jesus πρωτότοκος ἐκ τῶν νεκρῶν (Kol. 1, 18. Offenb. 1, 5), ἀπαρχὴ τῶν κεκοιμη- μένων (1 Kor. 15, 20.) ist. Doch wir wissen ja nicht, ob diese Vorstellung die allgemeine war, und wenn die Ei nen der eminenten Würde Jesu schuldig zu sein glaub- ten, ihn als den ersten der Auferstandenen zu betrachten, so bieten sich doch auch Gründe dar, welche Andere be- wegen konnten, schon bei seinem Tod einige Fromme auf- erstehen zu lassen. Einmal der äussere: da unter den Prodigien bei Jesu Tod auch ein Erdbeben hervorgehoben ist, und in der Beschreibung seiner Heftigkeit dem πέτραι ἐσχίσϑησαν sich leicht das auch sonst bei Schilderung hef- tiger Erdbeben vorkommende 23) μνημεῖα ἀνεῴχϑησαν bei- gesellen konnte: so war bier ein einladender Anknüpfungs- punkt für die Auferstehung der Frommen gegeben. Aber auch aus dem Innern der Vorstellung vom Tode Jesu her- aus, wie sie sich frühzeitig in der christlichen Gemeinde ausbildete, daſs nämlich derselbe das eigentlich erlösende 22) s. die Sammlung hiehergehöriger Stellen bei Schöttgen, 2, p. 570 ff., und in Bertholdt's Christol. §. 35. 23) s. die von Wetstein gesammelten Stellen. 36 *
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Viertes Kapitel. §. 129.
jüdischen Vorstellung; diese bezog sich nicht auf die Wie-
derkunft, sondern auf die erste Ankunft des Messias, und
erwartete bei dieser nur die Auferstehung der Israëli-
ten 22). In die Zeit der ersten Parusie des Messias ver-
legt nun zwar auch die Nachricht bei Matthäus jene
Auferweckung: aber warum sie dieselbe gerade an seinen
Tod knüpft, dafür liegt allerdings in der jüdischen Er-
wartung an und für sich kein Grund, und in der Modifi-
cation, welche die Anhänger Jesu an dieser Erwartung
anbrachten, hätte, wie es scheint, eher ein Anlaſs gelegen,
die Auferweckung der Frommen mit seiner Auferste-
hung zu verbinden, zumal die Anknüpfung an seinen Tod
mit der sonstigen urchristlichen Vorstellung in Wider-
spruch zu kommen scheint, welcher zufolge Jesus πρωτότοκος
ἐκ τῶν νεκρῶν (Kol. 1, 18. Offenb. 1, 5), ἀπαρχὴ τῶν κεκοιμη-
μένων (1 Kor. 15, 20.) ist. Doch wir wissen ja nicht, ob
diese Vorstellung die allgemeine war, und wenn die Ei
nen der eminenten Würde Jesu schuldig zu sein glaub-
ten, ihn als den ersten der Auferstandenen zu betrachten,
so bieten sich doch auch Gründe dar, welche Andere be-
wegen konnten, schon bei seinem Tod einige Fromme auf-
erstehen zu lassen. Einmal der äussere: da unter den
Prodigien bei Jesu Tod auch ein Erdbeben hervorgehoben
ist, und in der Beschreibung seiner Heftigkeit dem πέτραι
ἐσχίσϑησαν sich leicht das auch sonst bei Schilderung hef-
tiger Erdbeben vorkommende 23) μνημεῖα ἀνεῴχϑησαν bei-
gesellen konnte: so war bier ein einladender Anknüpfungs-
punkt für die Auferstehung der Frommen gegeben. Aber
auch aus dem Innern der Vorstellung vom Tode Jesu her-
aus, wie sie sich frühzeitig in der christlichen Gemeinde
ausbildete, daſs nämlich derselbe das eigentlich erlösende
22) s. die Sammlung hiehergehöriger Stellen bei Schöttgen, 2,
p. 570 ff., und in Bertholdt's Christol. §. 35.
23) s. die von Wetstein gesammelten Stellen.
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