ohne historischen Grund sich bilden konnte, so bedeutend: so ist es folgerichtiger, mit Schleiermacher den Vorgang als geschichtlichen ganz aufzugeben, in Erwägung, dass "sobald man anfieng, das Verdienst Christi unter den im Brief an die Hebräer herrschenden Bildern darzustellen, ja schon bei den ersten, leisesten Übergängen zu dieser Lehrweise, bei der ersten Aufnahme der Heiden, die man zum jüdischen Cultus nicht verpflichtete, und die also auch ohne Antheil an den jüdischen Sühnungen blieben, solche Darstellungen in die christlichen Hymnen [und die evan- gelischen Erzählungen] kommen mussten 11)."
Über das folgende: e ge eseisthe, kai ai petrai eskhis- thesan, kann nur im Zusammenhang mit dem Vorhergehen- den geurtheilt werden. Ein Erdbeben, welches Felsen zer- reisst, ist als natürliche Erscheinung möglich: nicht sel- ten aber kommt es auch als mythische Ausschmückung ei- nes grossen Todesfalles vor, wie Virgil bei Cäsars Tode nicht allein die Sonne sich verfinstern, sondern auch von ungewohnter Erschütterung die Alpen erzittern lässt 12). Da wir nun die vorhergemeldeten Prodigien nur aus die- sem lezteren Gesichtspunkt haben fassen können, und da überdiess gegen die historische Begründung der jezt vorlie- genden Züge ihr alleiniges Vorkommen bei Matthäus spricht: so werden wir auch sie nur so ansehen, wie Fritzsche sagt: Messiae obitum atrocibus ostentis, quibus, quantus vir quummaxime exspirasset, orbi terrarum indicaretur, illustrem esse oportebat.
Das lezte, gleichfalls dem ersten Evangelium eigen- thümliche Wunderzeichen bei'm Tode Jesu ist die Eröff- nung der Gräber, der Hervorgang vieler Todten aus den- selben, und deren Erscheinung in Jerusalem. Diesen Vor- gang sich denkbar zu machen, fällt besonders schwer. An
11) Über den Lukas, S. 293.
12) Georg. 1, 463 ff.
Viertes Kapitel. §. 129.
ohne historischen Grund sich bilden konnte, so bedeutend: so ist es folgerichtiger, mit Schleiermacher den Vorgang als geschichtlichen ganz aufzugeben, in Erwägung, daſs „sobald man anfieng, das Verdienst Christi unter den im Brief an die Hebräer herrschenden Bildern darzustellen, ja schon bei den ersten, leisesten Übergängen zu dieser Lehrweise, bei der ersten Aufnahme der Heiden, die man zum jüdischen Cultus nicht verpflichtete, und die also auch ohne Antheil an den jüdischen Sühnungen blieben, solche Darstellungen in die christlichen Hymnen [und die evan- gelischen Erzählungen] kommen muſsten 11).“
Über das folgende: ἡ γῆ ἐσείσϑη, καὶ αι πέτραι ἐσχίσ- ϑησαν, kann nur im Zusammenhang mit dem Vorhergehen- den geurtheilt werden. Ein Erdbeben, welches Felsen zer- reiſst, ist als natürliche Erscheinung möglich: nicht sel- ten aber kommt es auch als mythische Ausschmückung ei- nes groſsen Todesfalles vor, wie Virgil bei Cäsars Tode nicht allein die Sonne sich verfinstern, sondern auch von ungewohnter Erschütterung die Alpen erzittern läſst 12). Da wir nun die vorhergemeldeten Prodigien nur aus die- sem lezteren Gesichtspunkt haben fassen können, und da überdieſs gegen die historische Begründung der jezt vorlie- genden Züge ihr alleiniges Vorkommen bei Matthäus spricht: so werden wir auch sie nur so ansehen, wie Fritzsche sagt: Messiae obitum atrocibus ostentis, quibus, quantus vir quummaxime exspirâsset, orbi terrarum indicaretur, illustrem esse oportebat.
Das lezte, gleichfalls dem ersten Evangelium eigen- thümliche Wunderzeichen bei'm Tode Jesu ist die Eröff- nung der Gräber, der Hervorgang vieler Todten aus den- selben, und deren Erscheinung in Jerusalem. Diesen Vor- gang sich denkbar zu machen, fällt besonders schwer. An
11) Über den Lukas, S. 293.
12) Georg. 1, 463 ff.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0578"n="559"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Viertes Kapitel</hi>. §. 129.</fw><lb/>
ohne historischen Grund sich bilden konnte, so bedeutend:<lb/>
so ist es folgerichtiger, mit <hirendition="#k">Schleiermacher</hi> den Vorgang<lb/>
als geschichtlichen ganz aufzugeben, in Erwägung, daſs<lb/>„sobald man anfieng, das Verdienst Christi unter den im<lb/>
Brief an die Hebräer herrschenden Bildern darzustellen,<lb/>
ja schon bei den ersten, leisesten Übergängen zu dieser<lb/>
Lehrweise, bei der ersten Aufnahme der Heiden, die man<lb/>
zum jüdischen Cultus nicht verpflichtete, und die also auch<lb/>
ohne Antheil an den jüdischen Sühnungen blieben, solche<lb/>
Darstellungen in die christlichen Hymnen [und die evan-<lb/>
gelischen Erzählungen] kommen muſsten <noteplace="foot"n="11)">Über den Lukas, S. 293.</note>.“</p><lb/><p>Über das folgende: <foreignxml:lang="ell">ἡγῆἐσείσϑη, καὶαιπέτραιἐσχίσ-<lb/>ϑησαν</foreign>, kann nur im Zusammenhang mit dem Vorhergehen-<lb/>
den geurtheilt werden. Ein Erdbeben, welches Felsen zer-<lb/>
reiſst, ist als natürliche Erscheinung möglich: nicht sel-<lb/>
ten aber kommt es auch als mythische Ausschmückung ei-<lb/>
nes groſsen Todesfalles vor, wie Virgil bei Cäsars Tode<lb/>
nicht allein die Sonne sich verfinstern, sondern auch von<lb/>
ungewohnter Erschütterung die Alpen erzittern läſst <noteplace="foot"n="12)">Georg. 1, 463 ff.</note>.<lb/>
Da wir nun die vorhergemeldeten Prodigien nur aus die-<lb/>
sem lezteren Gesichtspunkt haben fassen können, und da<lb/>
überdieſs gegen die historische Begründung der jezt vorlie-<lb/>
genden Züge ihr alleiniges Vorkommen bei Matthäus spricht:<lb/>
so werden wir auch sie nur so ansehen, wie <hirendition="#k">Fritzsche</hi><lb/>
sagt: <quotexml:lang="lat"><hirendition="#i">Messiae obitum atrocibus ostentis, quibus, quantus<lb/>
vir quummaxime exspirâsset, orbi terrarum indicaretur,<lb/>
illustrem esse oportebat</hi>.</quote></p><lb/><p>Das lezte, gleichfalls dem ersten Evangelium eigen-<lb/>
thümliche Wunderzeichen bei'm Tode Jesu ist die Eröff-<lb/>
nung der Gräber, der Hervorgang vieler Todten aus den-<lb/>
selben, und deren Erscheinung in Jerusalem. Diesen Vor-<lb/>
gang sich denkbar zu machen, fällt besonders schwer. An<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[559/0578]
Viertes Kapitel. §. 129.
ohne historischen Grund sich bilden konnte, so bedeutend:
so ist es folgerichtiger, mit Schleiermacher den Vorgang
als geschichtlichen ganz aufzugeben, in Erwägung, daſs
„sobald man anfieng, das Verdienst Christi unter den im
Brief an die Hebräer herrschenden Bildern darzustellen,
ja schon bei den ersten, leisesten Übergängen zu dieser
Lehrweise, bei der ersten Aufnahme der Heiden, die man
zum jüdischen Cultus nicht verpflichtete, und die also auch
ohne Antheil an den jüdischen Sühnungen blieben, solche
Darstellungen in die christlichen Hymnen [und die evan-
gelischen Erzählungen] kommen muſsten 11).“
Über das folgende: ἡ γῆ ἐσείσϑη, καὶ αι πέτραι ἐσχίσ-
ϑησαν, kann nur im Zusammenhang mit dem Vorhergehen-
den geurtheilt werden. Ein Erdbeben, welches Felsen zer-
reiſst, ist als natürliche Erscheinung möglich: nicht sel-
ten aber kommt es auch als mythische Ausschmückung ei-
nes groſsen Todesfalles vor, wie Virgil bei Cäsars Tode
nicht allein die Sonne sich verfinstern, sondern auch von
ungewohnter Erschütterung die Alpen erzittern läſst 12).
Da wir nun die vorhergemeldeten Prodigien nur aus die-
sem lezteren Gesichtspunkt haben fassen können, und da
überdieſs gegen die historische Begründung der jezt vorlie-
genden Züge ihr alleiniges Vorkommen bei Matthäus spricht:
so werden wir auch sie nur so ansehen, wie Fritzsche
sagt: Messiae obitum atrocibus ostentis, quibus, quantus
vir quummaxime exspirâsset, orbi terrarum indicaretur,
illustrem esse oportebat.
Das lezte, gleichfalls dem ersten Evangelium eigen-
thümliche Wunderzeichen bei'm Tode Jesu ist die Eröff-
nung der Gräber, der Hervorgang vieler Todten aus den-
selben, und deren Erscheinung in Jerusalem. Diesen Vor-
gang sich denkbar zu machen, fällt besonders schwer. An
11) Über den Lukas, S. 293.
12) Georg. 1, 463 ff.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/578>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.