ta eipon exepneusen, nicht mit Paulus durch "bald nach- dem er dieses gesprochen, verschied er" wiedergegeben werden kann, und Johannes schon dem Worte nach einen lezten, abschliessenden Ausruf geben will, welchen aber der eine so, der andre anders dachte. Dem Lukas scheint die für das Sterben Jesu gewöhnliche Formel: paredoke to pneuma, zu einer ausdrücklichen Übergabe des Geistes an Gott von Seiten Jesu geworden zu sein, und mit Rück- icht auf die Stelle Ps. 31, 6. (LXX): (kurie) eis kheiras sou parathesomai to pneuma mou -- eine Stelle, die sich we- gen der genauen Ähnlichkeit dieses Psalms mit dem 22ten leicht darbot, sich zu jenem Ruf ausgebildet zu haben. Wogegen der Verfasser des vierten Evangeliums mehr aus der Situation Jesu heraus ihm einen Ausruf geliehen zu haben scheint, indem er ihn durch das tetelesai die Voll- endung seines Werks, oder die Erfüllung sämmtlicher Weissagungen (mit Ausnahme natürlich dessen, was sich erst noch in der Auferstehung vollenden und erfüllen soll- te) aussprechen lässt.
Doch nicht bloss diese lezten, sondern auch schon die früheren Reden Jesu am Kreuz lassen sich nicht so, wie man gemeiniglich glaubt, ineinanderschieben. Man zählt gewöhnlich sieben Worte Jesu am Kreuze: allein so viele hat kein einzelner Evangelist, sondern die beiden ersten haben nur Eines: den Ruf eli, eli k. t. l.; Lukas hat drei: die Bitte für die Feinde, die Verheissung an den Mitge- kreuzigten, und die Übergabe des Geistes in des Vaters Hände; Johannes hat gleichfalls drei, aber andere: die Anrede an Mutter und Jünger, das dipso, und das tetele- sai. Hier liessen sich die Fürbitte, die Verheissung, und die Anempfehlung der Mutter wohl in solcher Aufeinan- derfolge denken: aber das dipso und das eli verwickeln sich bereits, indem nach beiden Ausrufungen das Gleiche, die Tränkung mit Essig durch einen auf ein Rohr gesteck- ton Schwamm, erfolgt sein soll. Nimmt man hiezu die
Dritter Abschnitt.
τα εἰπὼν ἐξέπνευσεν, nicht mit Paulus durch „bald nach- dem er dieses gesprochen, verschied er“ wiedergegeben werden kann, und Johannes schon dem Worte nach einen lezten, abschlieſsenden Ausruf geben will, welchen aber der eine so, der andre anders dachte. Dem Lukas scheint die für das Sterben Jesu gewöhnliche Formel: παρέδωκε τὸ πνεῦμα, zu einer ausdrücklichen Übergabe des Geistes an Gott von Seiten Jesu geworden zu sein, und mit Rück- icht auf die Stelle Ps. 31, 6. (LXX): (κύριε) εἰς χεῖράς σου παραϑήσομαι τὸ πνεῦμά μου — eine Stelle, die sich we- gen der genauen Ähnlichkeit dieses Psalms mit dem 22ten leicht darbot, sich zu jenem Ruf ausgebildet zu haben. Wogegen der Verfasser des vierten Evangeliums mehr aus der Situation Jesu heraus ihm einen Ausruf geliehen zu haben scheint, indem er ihn durch das τετέλεςαι die Voll- endung seines Werks, oder die Erfüllung sämmtlicher Weissagungen (mit Ausnahme natürlich dessen, was sich erst noch in der Auferstehung vollenden und erfüllen soll- te) aussprechen läſst.
Doch nicht bloſs diese lezten, sondern auch schon die früheren Reden Jesu am Kreuz lassen sich nicht so, wie man gemeiniglich glaubt, ineinanderschieben. Man zählt gewöhnlich sieben Worte Jesu am Kreuze: allein so viele hat kein einzelner Evangelist, sondern die beiden ersten haben nur Eines: den Ruf ἠλὶ, ἠλὶ κ. τ. λ.; Lukas hat drei: die Bitte für die Feinde, die Verheiſsung an den Mitge- kreuzigten, und die Übergabe des Geistes in des Vaters Hände; Johannes hat gleichfalls drei, aber andere: die Anrede an Mutter und Jünger, das διψῶ, und das τετέλε- ςαι. Hier lieſsen sich die Fürbitte, die Verheiſsung, und die Anempfehlung der Mutter wohl in solcher Aufeinan- derfolge denken: aber das διψῶ und das ἠλὶ verwickeln sich bereits, indem nach beiden Ausrufungen das Gleiche, die Tränkung mit Essig durch einen auf ein Rohr gesteck- ton Schwamm, erfolgt sein soll. Nimmt man hiezu die
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Dritter Abschnitt.
τα εἰπὼν ἐξέπνευσεν, nicht mit Paulus durch „bald nach-
dem er dieses gesprochen, verschied er“ wiedergegeben
werden kann, und Johannes schon dem Worte nach einen
lezten, abschlieſsenden Ausruf geben will, welchen aber
der eine so, der andre anders dachte. Dem Lukas scheint
die für das Sterben Jesu gewöhnliche Formel: παρέδωκε
τὸ πνεῦμα, zu einer ausdrücklichen Übergabe des Geistes
an Gott von Seiten Jesu geworden zu sein, und mit Rück-
icht auf die Stelle Ps. 31, 6. (LXX): (κύριε) εἰς χεῖράς
σου παραϑήσομαι τὸ πνεῦμά μου — eine Stelle, die sich we-
gen der genauen Ähnlichkeit dieses Psalms mit dem 22ten
leicht darbot, sich zu jenem Ruf ausgebildet zu haben.
Wogegen der Verfasser des vierten Evangeliums mehr aus
der Situation Jesu heraus ihm einen Ausruf geliehen zu
haben scheint, indem er ihn durch das τετέλεςαι die Voll-
endung seines Werks, oder die Erfüllung sämmtlicher
Weissagungen (mit Ausnahme natürlich dessen, was sich
erst noch in der Auferstehung vollenden und erfüllen soll-
te) aussprechen läſst.
Doch nicht bloſs diese lezten, sondern auch schon die
früheren Reden Jesu am Kreuz lassen sich nicht so, wie
man gemeiniglich glaubt, ineinanderschieben. Man zählt
gewöhnlich sieben Worte Jesu am Kreuze: allein so viele
hat kein einzelner Evangelist, sondern die beiden ersten
haben nur Eines: den Ruf ἠλὶ, ἠλὶ κ. τ. λ.; Lukas hat drei:
die Bitte für die Feinde, die Verheiſsung an den Mitge-
kreuzigten, und die Übergabe des Geistes in des Vaters
Hände; Johannes hat gleichfalls drei, aber andere: die
Anrede an Mutter und Jünger, das διψῶ, und das τετέλε-
ςαι. Hier lieſsen sich die Fürbitte, die Verheiſsung, und
die Anempfehlung der Mutter wohl in solcher Aufeinan-
derfolge denken: aber das διψῶ und das ἠλὶ verwickeln
sich bereits, indem nach beiden Ausrufungen das Gleiche,
die Tränkung mit Essig durch einen auf ein Rohr gesteck-
ton Schwamm, erfolgt sein soll. Nimmt man hiezu die
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/571>, abgerufen am 22.11.2024.
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