geleitet wird. Je mehr man, um diesen wahrscheinlich zu machen, auch aus der Profangeschichte dergleichen Träume anführt, welche einer blutigen Katastrophe be- ängstigend und warnend vorangeschritten sind 16): desto mehr wird der Verdacht angeregt, dass, wie die meisten von diesen, so auch der Traum in unsrer Stelle nach dem Erfolge gemacht sein möge, um dessen tragische Wirkung zu erhöhen.
Wie nun die Juden auf wiederholtes Befragen des Pi- latus die Loslassung für Barabbas, für Jesum aber die Kreu- zigung, stürmisch und beharrlich verlangen: lassen die bei- den mittleren Evangelisten ihn in ihr Begehren sofort wil- ligen, Matthäus aber schiebt noch eine Ceremonie und ei- ne Wechselrede dazwischen (27, 24 ff.). Nach ihm näm- lich lässt sich Pilatus Wasser geben, wascht sich damit die Hände vor dem Volk, und erklärt sich für unschuldig am Blute dieses Gerechten. Die Handwaschung als Rein- erklärung von einer Blutschuld war specifisch jüdische Sitte, nach 5. Mos. 21, 6 f. 17). Man hat unwahrschein- lich gefunden, dass der Römer diese jüdische Gewohnheit hier nachgeahmt habe, und desswegen sich darauf berufen, wie jedem, der seine Unschuld feierlich erklären will, nichts leichter, als eine solche Handwaschung, einfallen könne 18). Allein, am ohne Anhalt an einer gewohnten Sitte eine symbolische Handlung gleichsam im Augenblick zu erfinden, oder auch nur in einen fremden Volksge- brauch sieh hineinzuwerfen, dazu gehört, dass dem, wel- cher eine solche Handlung vornimmt, an demjenigen, was er durch dieselbe bezeichnen will, ungemein viel gelegen
16) Wie Paulus und Kurnöl z. d. St., welche namentlich an den Traum von Cäsar's Gernahlin in der Nacht vor seiner Ermor- dung erinnern.
17) Vgl. Sota, 8, 6.
18)Faitzsche, in Matth. p. 808.
Dritter Abschnitt.
geleitet wird. Je mehr man, um diesen wahrscheinlich zu machen, auch aus der Profangeschichte dergleichen Träume anführt, welche einer blutigen Katastrophe be- ängstigend und warnend vorangeschritten sind 16): desto mehr wird der Verdacht angeregt, daſs, wie die meisten von diesen, so auch der Traum in unsrer Stelle nach dem Erfolge gemacht sein möge, um dessen tragische Wirkung zu erhöhen.
Wie nun die Juden auf wiederholtes Befragen des Pi- latus die Loslassung für Barabbas, für Jesum aber die Kreu- zigung, stürmisch und beharrlich verlangen: lassen die bei- den mittleren Evangelisten ihn in ihr Begehren sofort wil- ligen, Matthäus aber schiebt noch eine Ceremonie und ei- ne Wechselrede dazwischen (27, 24 ff.). Nach ihm näm- lich läſst sich Pilatus Wasser geben, wascht sich damit die Hände vor dem Volk, und erklärt sich für unschuldig am Blute dieses Gerechten. Die Handwaschung als Rein- erklärung von einer Blutschuld war specifisch jüdische Sitte, nach 5. Mos. 21, 6 f. 17). Man hat unwahrschein- lich gefunden, daſs der Römer diese jüdische Gewohnheit hier nachgeahmt habe, und deſswegen sich darauf berufen, wie jedem, der seine Unschuld feierlich erklären will, nichts leichter, als eine solche Handwaschung, einfallen könne 18). Allein, am ohne Anhalt an einer gewohnten Sitte eine symbolische Handlung gleichsam im Augenblick zu erfinden, oder auch nur in einen fremden Volksge- brauch sieh hineinzuwerfen, dazu gehört, daſs dem, wel- cher eine solche Handlung vornimmt, an demjenigen, was er durch dieselbe bezeichnen will, ungemein viel gelegen
16) Wie Paulus und Kurnöl z. d. St., welche namentlich an den Traum von Cäsar's Gernahlin in der Nacht vor seiner Ermor- dung erinnern.
17) Vgl. Sota, 8, 6.
18)Faitzsche, in Matth. p. 808.
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[522/0541]
Dritter Abschnitt.
geleitet wird. Je mehr man, um diesen wahrscheinlich
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Träume anführt, welche einer blutigen Katastrophe be-
ängstigend und warnend vorangeschritten sind 16): desto
mehr wird der Verdacht angeregt, daſs, wie die meisten
von diesen, so auch der Traum in unsrer Stelle nach dem
Erfolge gemacht sein möge, um dessen tragische Wirkung
zu erhöhen.
Wie nun die Juden auf wiederholtes Befragen des Pi-
latus die Loslassung für Barabbas, für Jesum aber die Kreu-
zigung, stürmisch und beharrlich verlangen: lassen die bei-
den mittleren Evangelisten ihn in ihr Begehren sofort wil-
ligen, Matthäus aber schiebt noch eine Ceremonie und ei-
ne Wechselrede dazwischen (27, 24 ff.). Nach ihm näm-
lich läſst sich Pilatus Wasser geben, wascht sich damit
die Hände vor dem Volk, und erklärt sich für unschuldig
am Blute dieses Gerechten. Die Handwaschung als Rein-
erklärung von einer Blutschuld war specifisch jüdische
Sitte, nach 5. Mos. 21, 6 f. 17). Man hat unwahrschein-
lich gefunden, daſs der Römer diese jüdische Gewohnheit
hier nachgeahmt habe, und deſswegen sich darauf berufen,
wie jedem, der seine Unschuld feierlich erklären will,
nichts leichter, als eine solche Handwaschung, einfallen
könne 18). Allein, am ohne Anhalt an einer gewohnten
Sitte eine symbolische Handlung gleichsam im Augenblick
zu erfinden, oder auch nur in einen fremden Volksge-
brauch sieh hineinzuwerfen, dazu gehört, daſs dem, wel-
cher eine solche Handlung vornimmt, an demjenigen, was
er durch dieselbe bezeichnen will, ungemein viel gelegen
16) Wie Paulus und Kurnöl z. d. St., welche namentlich an den
Traum von Cäsar's Gernahlin in der Nacht vor seiner Ermor-
dung erinnern.
17) Vgl. Sota, 8, 6.
18) Faitzsche, in Matth. p. 808.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/541>, abgerufen am 25.11.2024.
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