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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
ist schwer einzusehen, wie man diese Auslassung erklären
will. Die gewöhnliche Hülfe, er habe die Abführung zu
Herodes aus den Synoptikern und überhaupt als bekannt
vorausgesezt, schlägt hier nicht an, da ja nur der Eine
Lukas die Geschichte meldet, sie also nicht sehr verbrei-
tet gewesen zu sein scheint; die Vermuthung, sie mö-
ge ihm wohl zu unerheblich gewesen sein 8), verliert da-
durch ihren Boden, dass Johannes auch das Verhör bei
Annas, das doch ebenso wenig entscheidend war, zu be-
schreiben nicht verschmäht; überhaupt ist, wie auch Schlei-
ermacher
zugesteht, die johanneische Erzählung dieser
Vorgänge so zusammenhängend, dass sich nirgends eine Fu-
ge zeigen will, um eine solche Zwischenscene einzuschie-
ben. Flüchtet sich daher auch Schleiermacher zulezt zu
der Vermuthung, es möge wohl dem Johannes die Abfüh-
rung Jesu zu Herodes entgangen sein, weil sie auf einer
entgegengesezten Seite, als wo der Jünger stand, durch ei-
me Hinterthüre, geschehen sei, dem Lukas aber eine Kun-
de von derselben zugekommen, weil sein Gewährsmann
ebenso eine Bekanntschaft im Hause des Herodes gehabt
habe, wie Johannes in dem des Annas: so ist jene erstere
Vermuthung eben nur eine Hinterthüre, die leztere aber ei-
ne verzweifelte Fiktion. Setzen wir freilich den Verfas-
ser des vierten Evangeliums nicht als Apostel voraus: so
verlieren wir die Unterlage, um gegen die Erzählung des
Lukas den Hebel anzusetzen, welche jedenfalls, da schon
Justin von der Abführung zu Herodes weiss 9), von sehr
frühem Ursprung ist. Immerhin indessen bleibt theils das
Stillschweigen der übrigen Evangelisten in einem Abschnitt,
wo sonst über die Hauptstadien der Entwicklung von Je-
su Sache Übereinstimmung zu herrschen pflegt, theils die
innere Schwierigkeit der Erzählung so bedenklich, dass die

8) Schleiermacher, über den Lukas, S. 291.
9) Dial. c. Tryph. 103.

Dritter Abschnitt.
ist schwer einzusehen, wie man diese Auslassung erklären
will. Die gewöhnliche Hülfe, er habe die Abführung zu
Herodes aus den Synoptikern und überhaupt als bekannt
vorausgesezt, schlägt hier nicht an, da ja nur der Eine
Lukas die Geschichte meldet, sie also nicht sehr verbrei-
tet gewesen zu sein scheint; die Vermuthung, sie mö-
ge ihm wohl zu unerheblich gewesen sein 8), verliert da-
durch ihren Boden, daſs Johannes auch das Verhör bei
Annas, das doch ebenso wenig entscheidend war, zu be-
schreiben nicht verschmäht; überhaupt ist, wie auch Schlei-
ermacher
zugesteht, die johanneische Erzählung dieser
Vorgänge so zusammenhängend, daſs sich nirgends eine Fu-
ge zeigen will, um eine solche Zwischenscene einzuschie-
ben. Flüchtet sich daher auch Schleiermacher zulezt zu
der Vermuthung, es möge wohl dem Johannes die Abfüh-
rung Jesu zu Herodes entgangen sein, weil sie auf einer
entgegengesezten Seite, als wo der Jünger stand, durch ei-
me Hinterthüre, geschehen sei, dem Lukas aber eine Kun-
de von derselben zugekommen, weil sein Gewährsmann
ebenso eine Bekanntschaft im Hause des Herodes gehabt
habe, wie Johannes in dem des Annas: so ist jene erstere
Vermuthung eben nur eine Hinterthüre, die leztere aber ei-
ne verzweifelte Fiktion. Setzen wir freilich den Verfas-
ser des vierten Evangeliums nicht als Apostel voraus: so
verlieren wir die Unterlage, um gegen die Erzählung des
Lukas den Hebel anzusetzen, welche jedenfalls, da schon
Justin von der Abführung zu Herodes weiſs 9), von sehr
frühem Ursprung ist. Immerhin indessen bleibt theils das
Stillschweigen der übrigen Evangelisten in einem Abschnitt,
wo sonst über die Hauptstadien der Entwicklung von Je-
su Sache Übereinstimmung zu herrschen pflegt, theils die
innere Schwierigkeit der Erzählung so bedenklich, daſs die

8) Schleiermacher, über den Lukas, S. 291.
9) Dial. c. Tryph. 103.
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[518/0537] Dritter Abschnitt. ist schwer einzusehen, wie man diese Auslassung erklären will. Die gewöhnliche Hülfe, er habe die Abführung zu Herodes aus den Synoptikern und überhaupt als bekannt vorausgesezt, schlägt hier nicht an, da ja nur der Eine Lukas die Geschichte meldet, sie also nicht sehr verbrei- tet gewesen zu sein scheint; die Vermuthung, sie mö- ge ihm wohl zu unerheblich gewesen sein 8), verliert da- durch ihren Boden, daſs Johannes auch das Verhör bei Annas, das doch ebenso wenig entscheidend war, zu be- schreiben nicht verschmäht; überhaupt ist, wie auch Schlei- ermacher zugesteht, die johanneische Erzählung dieser Vorgänge so zusammenhängend, daſs sich nirgends eine Fu- ge zeigen will, um eine solche Zwischenscene einzuschie- ben. Flüchtet sich daher auch Schleiermacher zulezt zu der Vermuthung, es möge wohl dem Johannes die Abfüh- rung Jesu zu Herodes entgangen sein, weil sie auf einer entgegengesezten Seite, als wo der Jünger stand, durch ei- me Hinterthüre, geschehen sei, dem Lukas aber eine Kun- de von derselben zugekommen, weil sein Gewährsmann ebenso eine Bekanntschaft im Hause des Herodes gehabt habe, wie Johannes in dem des Annas: so ist jene erstere Vermuthung eben nur eine Hinterthüre, die leztere aber ei- ne verzweifelte Fiktion. Setzen wir freilich den Verfas- ser des vierten Evangeliums nicht als Apostel voraus: so verlieren wir die Unterlage, um gegen die Erzählung des Lukas den Hebel anzusetzen, welche jedenfalls, da schon Justin von der Abführung zu Herodes weiſs 9), von sehr frühem Ursprung ist. Immerhin indessen bleibt theils das Stillschweigen der übrigen Evangelisten in einem Abschnitt, wo sonst über die Hauptstadien der Entwicklung von Je- su Sache Übereinstimmung zu herrschen pflegt, theils die innere Schwierigkeit der Erzählung so bedenklich, daſs die 8) Schleiermacher, über den Lukas, S. 291. 9) Dial. c. Tryph. 103.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/537>, abgerufen am 22.11.2024.