Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Kapitel. §. 126.
hung, der Verräther habe für den Lohn seiner Schandthat
ein Grundstück sich erworben, sei aber jählings herabge-
stürzt, und mitten entzweigeborsten, so dass alle Einge-
weide herausgetreten seien; das Grundstück aber habe
man, weil die Sache in ganz Jerusalem bekannt gewor-
den, akeldama, d. h. Blutland, geheissen. Wozu dann der
Referent den Petrus bemerken lässt, dass dadurch zwei
Psalmstellen in Erfüllung gegangen seien.

Zwischen diesen beiden Berichten findet eine doppelte
Abweichung statt: die eine über die Todesart des Judas,
die andere darüber, wann und von wem das Grundstück
erworben worden sei. Was das Erstere betrifft, so ist es
nach Matthäus Judas selbst, welcher aus Reue und Ver-
zweiflung Hand an sich legt: wogegen in der A. G. von
keiner Reue des Verräthers die Rede ist, und sein Tod
nicht als Selbstmord, sondern als zufälliger, oder näher
vom Himmel zur Strafe verhängter Unglücksfall erscheint;
ferner ist es bei Matthäus der Strick, durch welchen er
sich den Tod giebt: nach der Darstellung des Petrus ist
es ein Sturz, der durch ein grässliches Bersten des Lei-
bes seinem Leben ein Ende macht. Wie thätig von jeher
die Harmonisten gewesen sind, diese Abweichungen auszu-
gleichen, mag man bei Suicer 1) und Kuinöl nachlesen:
hier sollen nur kurz die Hauptversuche aufgeführt wer-
den. Da die bezeichnete Abweichung ihren Hauptsiz in
den Worten apegxato bei Matthäus, und prenes genomenos
bei Lukas hat: so lag es am nächsten, zuzusehen, ob nicht
der eine dieser Ausdrücke auf die Seite des andern zu
ziehen wäre. Diess hat man mit apegxato auf verschie-
dene Weise versucht, indem dieses Wort bald nur die
Beängstigungen des bösen Gewissens 2), bald eine Krank-

1) Thesaurus, s. v. apagkho.
2) Grotius.
32 *

Drittes Kapitel. §. 126.
hung, der Verräther habe für den Lohn seiner Schandthat
ein Grundstück sich erworben, sei aber jählings herabge-
stürzt, und mitten entzweigeborsten, so daſs alle Einge-
weide herausgetreten seien; das Grundstück aber habe
man, weil die Sache in ganz Jerusalem bekannt gewor-
den, ἀκελδαμὰ, d. h. Blutland, geheiſsen. Wozu dann der
Referent den Petrus bemerken läſst, daſs dadurch zwei
Psalmstellen in Erfüllung gegangen seien.

Zwischen diesen beiden Berichten findet eine doppelte
Abweichung statt: die eine über die Todesart des Judas,
die andere darüber, wann und von wem das Grundstück
erworben worden sei. Was das Erstere betrifft, so ist es
nach Matthäus Judas selbst, welcher aus Reue und Ver-
zweiflung Hand an sich legt: wogegen in der A. G. von
keiner Reue des Verräthers die Rede ist, und sein Tod
nicht als Selbstmord, sondern als zufälliger, oder näher
vom Himmel zur Strafe verhängter Unglücksfall erscheint;
ferner ist es bei Matthäus der Strick, durch welchen er
sich den Tod giebt: nach der Darstellung des Petrus ist
es ein Sturz, der durch ein gräſsliches Bersten des Lei-
bes seinem Leben ein Ende macht. Wie thätig von jeher
die Harmonisten gewesen sind, diese Abweichungen auszu-
gleichen, mag man bei Suicer 1) und Kuinöl nachlesen:
hier sollen nur kurz die Hauptversuche aufgeführt wer-
den. Da die bezeichnete Abweichung ihren Hauptsiz in
den Worten ἀπήγξατο bei Matthäus, und πρηνὴς γενόμενος
bei Lukas hat: so lag es am nächsten, zuzusehen, ob nicht
der eine dieser Ausdrücke auf die Seite des andern zu
ziehen wäre. Dieſs hat man mit ἀπήγξατο auf verschie-
dene Weise versucht, indem dieses Wort bald nur die
Beängstigungen des bösen Gewissens 2), bald eine Krank-

1) Thesaurus, s. v. ἀπάγχω.
2) Grotius.
32 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0518" n="499"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Kapitel</hi>. §. 126.</fw><lb/>
hung, der Verräther habe für den Lohn seiner Schandthat<lb/>
ein Grundstück sich erworben, sei aber jählings herabge-<lb/>
stürzt, und mitten entzweigeborsten, so da&#x017F;s alle Einge-<lb/>
weide herausgetreten seien; das Grundstück aber habe<lb/>
man, weil die Sache in ganz Jerusalem bekannt gewor-<lb/>
den, &#x1F00;&#x03BA;&#x03B5;&#x03BB;&#x03B4;&#x03B1;&#x03BC;&#x1F70;, d. h. Blutland, gehei&#x017F;sen. Wozu dann der<lb/>
Referent den Petrus bemerken lä&#x017F;st, da&#x017F;s dadurch zwei<lb/>
Psalmstellen in Erfüllung gegangen seien.</p><lb/>
          <p>Zwischen diesen beiden Berichten findet eine doppelte<lb/>
Abweichung statt: die eine über die Todesart des Judas,<lb/>
die andere darüber, wann und von wem das Grundstück<lb/>
erworben worden sei. Was das Erstere betrifft, so ist es<lb/>
nach Matthäus Judas selbst, welcher aus Reue und Ver-<lb/>
zweiflung Hand an sich legt: wogegen in der A. G. von<lb/>
keiner Reue des Verräthers die Rede ist, und sein Tod<lb/>
nicht als Selbstmord, sondern als zufälliger, oder näher<lb/>
vom Himmel zur Strafe verhängter Unglücksfall erscheint;<lb/>
ferner ist es bei Matthäus der Strick, durch welchen er<lb/>
sich den Tod giebt: nach der Darstellung des Petrus ist<lb/>
es ein Sturz, der durch ein grä&#x017F;sliches Bersten des Lei-<lb/>
bes seinem Leben ein Ende macht. Wie thätig von jeher<lb/>
die Harmonisten gewesen sind, diese Abweichungen auszu-<lb/>
gleichen, mag man bei <hi rendition="#k">Suicer</hi> <note place="foot" n="1)">Thesaurus, s. v. <foreign xml:lang="ell">&#x1F00;&#x03C0;&#x03AC;&#x03B3;&#x03C7;&#x03C9;</foreign>.</note> und <hi rendition="#k">Kuinöl</hi> nachlesen:<lb/>
hier sollen nur kurz die Hauptversuche aufgeführt wer-<lb/>
den. Da die bezeichnete Abweichung ihren Hauptsiz in<lb/>
den Worten &#x1F00;&#x03C0;&#x03AE;&#x03B3;&#x03BE;&#x03B1;&#x03C4;&#x03BF; bei Matthäus, und <foreign xml:lang="ell">&#x03C0;&#x03C1;&#x03B7;&#x03BD;&#x1F74;&#x03C2; &#x03B3;&#x03B5;&#x03BD;&#x03CC;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03C2;</foreign><lb/>
bei Lukas hat: so lag es am nächsten, zuzusehen, ob nicht<lb/>
der eine dieser Ausdrücke auf die Seite des andern zu<lb/>
ziehen wäre. Die&#x017F;s hat man mit <foreign xml:lang="ell">&#x1F00;&#x03C0;&#x03AE;&#x03B3;&#x03BE;&#x03B1;&#x03C4;&#x03BF;</foreign> auf verschie-<lb/>
dene Weise versucht, indem dieses Wort bald nur die<lb/>
Beängstigungen des bösen Gewissens <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#k">Grotius</hi>.</note>, bald eine Krank-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">32 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[499/0518] Drittes Kapitel. §. 126. hung, der Verräther habe für den Lohn seiner Schandthat ein Grundstück sich erworben, sei aber jählings herabge- stürzt, und mitten entzweigeborsten, so daſs alle Einge- weide herausgetreten seien; das Grundstück aber habe man, weil die Sache in ganz Jerusalem bekannt gewor- den, ἀκελδαμὰ, d. h. Blutland, geheiſsen. Wozu dann der Referent den Petrus bemerken läſst, daſs dadurch zwei Psalmstellen in Erfüllung gegangen seien. Zwischen diesen beiden Berichten findet eine doppelte Abweichung statt: die eine über die Todesart des Judas, die andere darüber, wann und von wem das Grundstück erworben worden sei. Was das Erstere betrifft, so ist es nach Matthäus Judas selbst, welcher aus Reue und Ver- zweiflung Hand an sich legt: wogegen in der A. G. von keiner Reue des Verräthers die Rede ist, und sein Tod nicht als Selbstmord, sondern als zufälliger, oder näher vom Himmel zur Strafe verhängter Unglücksfall erscheint; ferner ist es bei Matthäus der Strick, durch welchen er sich den Tod giebt: nach der Darstellung des Petrus ist es ein Sturz, der durch ein gräſsliches Bersten des Lei- bes seinem Leben ein Ende macht. Wie thätig von jeher die Harmonisten gewesen sind, diese Abweichungen auszu- gleichen, mag man bei Suicer 1) und Kuinöl nachlesen: hier sollen nur kurz die Hauptversuche aufgeführt wer- den. Da die bezeichnete Abweichung ihren Hauptsiz in den Worten ἀπήγξατο bei Matthäus, und πρηνὴς γενόμενος bei Lukas hat: so lag es am nächsten, zuzusehen, ob nicht der eine dieser Ausdrücke auf die Seite des andern zu ziehen wäre. Dieſs hat man mit ἀπήγξατο auf verschie- dene Weise versucht, indem dieses Wort bald nur die Beängstigungen des bösen Gewissens 2), bald eine Krank- 1) Thesaurus, s. v. ἀπάγχω. 2) Grotius. 32 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/518
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/518>, abgerufen am 25.11.2024.