Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Dritter Abschnitt. Johannes diese langen Reden Jesu genau behalten konnte,hat Paulus durch die Vermuthung zu lösen geglaubt, dass der Apostel wohl schon am nächsten Sabbat, während Je- sus im Grabe lag, die Gespräche des vorigen Abends sich in die Erinnerung zurückgerufen, und sie vielleicht auch niedergeschrieben habe 12). Allein in jener Zeit der Nie- dergeschlagenheit, welche auch Johannes theilte, wäre er wohl nicht im Stande gewesen, diese Reden wiederzuge- ben, ohne ihr eigenthümliches Colorit der ruhigsten Heiter- keit zu verwischen; sondern, wie der Wolfenbüttler sagt, wenn die Evangelisten in den paar Tagen nach Jesu Tode die Erzählung von seinen Reden und Thaten hätten zu Pa- pier bringen sollen, so würden, da sie selber keine Hoff- nung mehr hatten, auch alle verheissenden Reden aus ih- ren Evangelien weggeblieben sein 13). Daher hat auch Lü- cke, in Betracht der eigenthümlich johanneischen Ausdrucks- weise, welche sich namentlich in dem Schlussgebet findet, die Behauptung, dass Jesus mit denselben Worten gespro- chen habe, welche ihm Johannes in den Mund legt, oder die Behauptung der Authentie dieser Reden im engsten Sinn, aufgegeben, aber nur um ihre Authentie im weiteren Sinn, die Ächtheit des Gedankeninhalts, desto fester zu halten 14). Doch auch gegen diesen hat der Verfasser der Probabilien seinen Angriff gewendet, indem er namentlich in Bezug auf Kap. 17. fragt, ob es denkbar sei, dass Je- sus in der Erwartung des gewaltsamsten Todes nichts An- gelegeneres zu thun gehabt habe, als mit Gott von seiner Person, seinen bisherigen Leistungen, und der zu erwarten- den Herrlichkeit sich zu unterhalten? und ob es desswe- gen nicht vielmehr alle Wahrscheinlichkeit habe, dass die- ses Gebet nur aus dem Sinne des Schriftstellers geflos- 12) L. J. 1, b, S. 165 f. 13) Vom Zweck Jesu und seiner Jünger, S. 124. 14) 2, S. 588 f.
Dritter Abschnitt. Johannes diese langen Reden Jesu genau behalten konnte,hat Paulus durch die Vermuthung zu lösen geglaubt, daſs der Apostel wohl schon am nächsten Sabbat, während Je- sus im Grabe lag, die Gespräche des vorigen Abends sich in die Erinnerung zurückgerufen, und sie vielleicht auch niedergeschrieben habe 12). Allein in jener Zeit der Nie- dergeschlagenheit, welche auch Johannes theilte, wäre er wohl nicht im Stande gewesen, diese Reden wiederzuge- ben, ohne ihr eigenthümliches Colorit der ruhigsten Heiter- keit zu verwischen; sondern, wie der Wolfenbüttler sagt, wenn die Evangelisten in den paar Tagen nach Jesu Tode die Erzählung von seinen Reden und Thaten hätten zu Pa- pier bringen sollen, so würden, da sie selber keine Hoff- nung mehr hatten, auch alle verheiſsenden Reden aus ih- ren Evangelien weggeblieben sein 13). Daher hat auch Lü- cke, in Betracht der eigenthümlich johanneischen Ausdrucks- weise, welche sich namentlich in dem Schluſsgebet findet, die Behauptung, daſs Jesus mit denselben Worten gespro- chen habe, welche ihm Johannes in den Mund legt, oder die Behauptung der Authentie dieser Reden im engsten Sinn, aufgegeben, aber nur um ihre Authentie im weiteren Sinn, die Ächtheit des Gedankeninhalts, desto fester zu halten 14). Doch auch gegen diesen hat der Verfasser der Probabilien seinen Angriff gewendet, indem er namentlich in Bezug auf Kap. 17. fragt, ob es denkbar sei, daſs Je- sus in der Erwartung des gewaltsamsten Todes nichts An- gelegeneres zu thun gehabt habe, als mit Gott von seiner Person, seinen bisherigen Leistungen, und der zu erwarten- den Herrlichkeit sich zu unterhalten? und ob es deſswe- gen nicht vielmehr alle Wahrscheinlichkeit habe, daſs die- ses Gebet nur aus dem Sinne des Schriftstellers geflos- 12) L. J. 1, b, S. 165 f. 13) Vom Zweck Jesu und seiner Jünger, S. 124. 14) 2, S. 588 f.
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Dritter Abschnitt.
Johannes diese langen Reden Jesu genau behalten konnte,
hat Paulus durch die Vermuthung zu lösen geglaubt, daſs
der Apostel wohl schon am nächsten Sabbat, während Je-
sus im Grabe lag, die Gespräche des vorigen Abends sich
in die Erinnerung zurückgerufen, und sie vielleicht auch
niedergeschrieben habe 12). Allein in jener Zeit der Nie-
dergeschlagenheit, welche auch Johannes theilte, wäre er
wohl nicht im Stande gewesen, diese Reden wiederzuge-
ben, ohne ihr eigenthümliches Colorit der ruhigsten Heiter-
keit zu verwischen; sondern, wie der Wolfenbüttler sagt,
wenn die Evangelisten in den paar Tagen nach Jesu Tode
die Erzählung von seinen Reden und Thaten hätten zu Pa-
pier bringen sollen, so würden, da sie selber keine Hoff-
nung mehr hatten, auch alle verheiſsenden Reden aus ih-
ren Evangelien weggeblieben sein 13). Daher hat auch Lü-
cke, in Betracht der eigenthümlich johanneischen Ausdrucks-
weise, welche sich namentlich in dem Schluſsgebet findet,
die Behauptung, daſs Jesus mit denselben Worten gespro-
chen habe, welche ihm Johannes in den Mund legt, oder
die Behauptung der Authentie dieser Reden im engsten
Sinn, aufgegeben, aber nur um ihre Authentie im weiteren
Sinn, die Ächtheit des Gedankeninhalts, desto fester zu
halten 14). Doch auch gegen diesen hat der Verfasser der
Probabilien seinen Angriff gewendet, indem er namentlich
in Bezug auf Kap. 17. fragt, ob es denkbar sei, daſs Je-
sus in der Erwartung des gewaltsamsten Todes nichts An-
gelegeneres zu thun gehabt habe, als mit Gott von seiner
Person, seinen bisherigen Leistungen, und der zu erwarten-
den Herrlichkeit sich zu unterhalten? und ob es deſswe-
gen nicht vielmehr alle Wahrscheinlichkeit habe, daſs die-
ses Gebet nur aus dem Sinne des Schriftstellers geflos-
12) L. J. 1, b, S. 165 f.
13) Vom Zweck Jesu und seiner Jünger, S. 124.
14) 2, S. 588 f.
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