mals seine Erinnerung so weit verleugnen, dass er die Sce- ne in weit früherer Zeit, am hellen Tag und unter vielem Volke vorgehen liess? Um nicht auf diese Weise die Ächt- heit des johanneischen Evangeliums zu gefährden, bleiben Andere dabei, mit Berufung darauf, dass eine solche Stim- mung im lezten Abschnitte des Lebens Jesu mehrmals ha- be vorkommen können, die Identität der beiden Scenen zu leugnen 11).
Allerdings finden zwischen der synoptischen Darstel- lung des Seelenkampfs Jesu und der johanneischen, auch ausser der verschiedenen äusseren Stellung, im Inhalt bei- der Vorgänge noch bedeutende Differenzen statt, indem namentlich die johanneische Erzählung Züge enthält, wel- che in den Berichten der drei ersten Evangelisten über den Vorfall in Gethsemane keine Analogie finden. Wenn nämlich zwar das Flehen des johanneischen Jesus um Ret- tung aus dieser Stunde bei den Synoptikern vollkommen anklingt: so fehlt es doch für die bei Johannes hinzuge- fügte Bitte: pater, doxason sou to onoma (12, 28.), an ei- ner Parallele; ferner, wenn zwar in beiden Darstellungen von einem Engel die Rede ist, so ist doch von einer Him- melsstimme, welche im vierten Evangelium die Meinung, es sei ein Engel im Spiel gewesen, veranlasst, bei den Syn- optikern keine Spur. Sondern solche Himmelsstimmen fin- den wir in diesen Evangelien nur bei der Taufe und wie- der in der Verklärungsgeschichte, an welche leztere auch die Bitte des johanneischen Jesus: pater, doxason souto onoma, erinnern kann. In der synoptischen Beschreibung der Verklärung zwar findet sich der Ausdruck: doxa und doxazein nicht, dagegen lässt der zweite Brief Petri Jesu bei der Verklärung timen kai doxan zu Theil werden, und die Himmelsstimme aus der megaloprepes doxa erschallen (1, 17 f.). So bietet sich denn zu den beiden bisdaher be-
11)Hase, L. J. §. 134. Lücke, 2, S. 591 f. Anm.
Das Leben Jesu II. Band. 30
Drittes Kapitel. §. 122.
mals seine Erinnerung so weit verleugnen, daſs er die Sce- ne in weit früherer Zeit, am hellen Tag und unter vielem Volke vorgehen lieſs? Um nicht auf diese Weise die Ächt- heit des johanneischen Evangeliums zu gefährden, bleiben Andere dabei, mit Berufung darauf, daſs eine solche Stim- mung im lezten Abschnitte des Lebens Jesu mehrmals ha- be vorkommen können, die Identität der beiden Scenen zu leugnen 11).
Allerdings finden zwischen der synoptischen Darstel- lung des Seelenkampfs Jesu und der johanneischen, auch ausser der verschiedenen äusseren Stellung, im Inhalt bei- der Vorgänge noch bedeutende Differenzen statt, indem namentlich die johanneische Erzählung Züge enthält, wel- che in den Berichten der drei ersten Evangelisten über den Vorfall in Gethsemane keine Analogie finden. Wenn nämlich zwar das Flehen des johanneischen Jesus um Ret- tung aus dieser Stunde bei den Synoptikern vollkommen anklingt: so fehlt es doch für die bei Johannes hinzuge- fügte Bitte: πάτερ, δόξασόν σου τὸ ὄνομα (12, 28.), an ei- ner Parallele; ferner, wenn zwar in beiden Darstellungen von einem Engel die Rede ist, so ist doch von einer Him- melsstimme, welche im vierten Evangelium die Meinung, es sei ein Engel im Spiel gewesen, veranlaſst, bei den Syn- optikern keine Spur. Sondern solche Himmelsstimmen fin- den wir in diesen Evangelien nur bei der Taufe und wie- der in der Verklärungsgeschichte, an welche leztere auch die Bitte des johanneischen Jesus: πάτερ, δόξασόν σουτὸ ὄνομα, erinnern kann. In der synoptischen Beschreibung der Verklärung zwar findet sich der Ausdruck: δόξα und δοξάζειν nicht, dagegen läſst der zweite Brief Petri Jesu bei der Verklärung τιμὴν καὶ δόξαν zu Theil werden, und die Himmelsstimme aus der μεγαλοπρεπὴς δόξα erschallen (1, 17 f.). So bietet sich denn zu den beiden bisdaher be-
11)Hase, L. J. §. 134. Lücke, 2, S. 591 f. Anm.
Das Leben Jesu II. Band. 30
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Drittes Kapitel. §. 122.
mals seine Erinnerung so weit verleugnen, daſs er die Sce-
ne in weit früherer Zeit, am hellen Tag und unter vielem
Volke vorgehen lieſs? Um nicht auf diese Weise die Ächt-
heit des johanneischen Evangeliums zu gefährden, bleiben
Andere dabei, mit Berufung darauf, daſs eine solche Stim-
mung im lezten Abschnitte des Lebens Jesu mehrmals ha-
be vorkommen können, die Identität der beiden Scenen
zu leugnen 11).
Allerdings finden zwischen der synoptischen Darstel-
lung des Seelenkampfs Jesu und der johanneischen, auch
ausser der verschiedenen äusseren Stellung, im Inhalt bei-
der Vorgänge noch bedeutende Differenzen statt, indem
namentlich die johanneische Erzählung Züge enthält, wel-
che in den Berichten der drei ersten Evangelisten über
den Vorfall in Gethsemane keine Analogie finden. Wenn
nämlich zwar das Flehen des johanneischen Jesus um Ret-
tung aus dieser Stunde bei den Synoptikern vollkommen
anklingt: so fehlt es doch für die bei Johannes hinzuge-
fügte Bitte: πάτερ, δόξασόν σου τὸ ὄνομα (12, 28.), an ei-
ner Parallele; ferner, wenn zwar in beiden Darstellungen
von einem Engel die Rede ist, so ist doch von einer Him-
melsstimme, welche im vierten Evangelium die Meinung,
es sei ein Engel im Spiel gewesen, veranlaſst, bei den Syn-
optikern keine Spur. Sondern solche Himmelsstimmen fin-
den wir in diesen Evangelien nur bei der Taufe und wie-
der in der Verklärungsgeschichte, an welche leztere auch
die Bitte des johanneischen Jesus: πάτερ, δόξασόν σουτὸ
ὄνομα, erinnern kann. In der synoptischen Beschreibung
der Verklärung zwar findet sich der Ausdruck: δόξα und
δοξάζειν nicht, dagegen läſst der zweite Brief Petri Jesu
bei der Verklärung τιμὴν καὶ δόξαν zu Theil werden, und
die Himmelsstimme aus der μεγαλοπρεπὴς δόξα erschallen
(1, 17 f.). So bietet sich denn zu den beiden bisdaher be-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/484>, abgerufen am 22.11.2024.
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